12 - Clara de Flocon

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Als es an die Tür des Zimmers klopft, in dem mich Hendrik für letzte Nacht einquartiert hat, wird mir heiß und kalt. Doch es ist nur eben jener warmherzige Butler, der mir pflichtschuldig Bleistiftrock, Blazer, zwei Feinstrumpfhosen, schwarze Pumps und einen Katzenkorb überreicht, aus dem blau schimmernde Tentakeln quellen. Außerdem warnt er mich vor, dass man mich wahrscheinlich heute noch einmal in offiziellerem Kontext sehen will.
„Ich dachte, sie wären dankbar, wenn das nicht ganz spontan verkündet wird", zwinkert er. Er selbst müsse jetzt dringend Bonsais trimmen und da Matt ja gerade das zweifelhafte Vergnügen habe, sich von einem departmentgeprüften Psychologen durchleuchten zu lassen, bliebe also mal wieder nur ich als Oktopussitterin.
Ganz wie in den guten alten Zeiten, als ich noch auf einem Rekrutenkreuzer durchs Alls geschippert bin und es meine größte Sorge war, bloß nicht Sirens Missfallen auf mich zu ziehen. 

„Hi", mache ich leise, als ich im Schneidersitz vor dem Katzenkorb sitze. Das Babyalien kringelt seine Tentakeln um mein Handgelenk. Es ist ein sehr seltsamer Anblick: ein leuchtender Oktopus in einem Katzenkorb. Ich öffne vorsichtig die Klappe und Grabsy verlässt sein Gefängnis, um sich vor mir auf dem Teppichboden niederzulassen und dann in Richtung meines rechten Knies zu wandern. Der Oktopus kuschelt sich gegen meine Jeans und kringelt die Tentakeln um meinen Zeigefinger.
„Du bist genauso süß, wie ich dich in Erinnerung habe."

Grabsy beginnt den Bonsai auf dem Fensterbrett anzuknabbern, während ich mich in Schale werfe. Ich bin Hendrik mehr als dankbar für die Warnung, denn wie ich das Department - und Matt - kenne, wären sie drei Minuten vor dem Termin in der Tür gestanden. Ich werfe einen Blick auf den altmodischen Wecker auf dem Kirschholznachtkästchen. Lange kann es nicht mehr dauern, bis sie fertig sind.

Als ich letztendlich in den Gang hinaus trete, steht Matthias Green in einem dunkelblauen Anzug vor dem Spiegel an der gegenüberliegenden Wand und versucht augenscheinlich vergeblich, sich eine Krawatte zu binden. Ich lehne mich mit seinem Oktopus auf der Schulter neben meiner Tür an die Wand und verschränke die Arme vor der Brust. Er hat mich noch nicht bemerkt, schließlich steht er am anderen Ende des dunkelroten Teppichs, auf dem sich Füllhörner, Sonnen und antike Götter in Streitwägen tummeln.

„Wer zum Fick hat das erfunden", murrt der Geheimagent, „Es ist leichter, eine Bombe zu entschärfen."

Er wirft einen Blick auf seine Uhr und lässt die Krawatte, Krawatte sein. Er strafft sich, schlägt sich mit den Handflächen leicht auf die Wangen, sagt „Das Schlimmste, was sie tun kann, ist uns in die Eier zu treten und das halten wir aus" zu seinem Spiegelbild und dreht sich dann so entschlossen um, dass seine Turnschuhe auf dem Parkett quietschen. Dann sieht er mich und friert mitten in der Bewegung ein, wie ein kleines Tier, das sich tot stellt, was ziemlich komisch aussieht in Anbetracht der Tatsache, dass er die Statur eines Ringers hat.

„Hallo", macht er langsam, „Das ist jetzt etwas unangenehm."

„Komm näher und hol dir deinen Tritt in die Eier ab."

„Ja", macht er langgezogen, während seine Augen an meinen High Heels ansetzen und sich dann zentimeterweise in die Höhe arbeiten, „Eher ungern, wenn ich ehrlich bin. Ich wollte irgendwann mal Kinder haben."

„Du glaubst wirklich, dass du bei den Strahlendosen, die du abbekommst irgendwann kleine verräterische Blondinen in die Welt setzen kannst?"

„Ist mir jetzt ein etwas zu sensibles Thema, um es in dem Kontext zu besprechen", sagt er aalglatt, „Wir haben noch ungefähr fünf Minuten, bevor wir losmüssen, also wenn du mir eine reinhauen willst, dann möglichst schnell, damit ich genug Zeit habe, mich wieder zu sammeln."

„Ich mache es dann, wenn du am wenigsten damit rechnest", knurre ich, „Aber verlass dich drauf, du bekommst noch eine Abreibung."

Er wirft meinen Pumps einen angespannten Blick zu, wohl halb überlegend, ob die wohl mehr weh tun als meine Turnschuhe, sollte ich ihn damit wirklich treffen.

„Zieh deine anderen Schuhe an, Clara", sagt er dann aber, „Nimm die Mordsdinger da besser in die Hand."

Es pisst mich direkt an, dass er einen Imperativ verwendet und keinen Konjunktiv. Seine ganze Erscheinung pisst mich an.

„Clara", flöte ich deswegen, „Ich würde dir raten, andere Schuhe anzuziehen, aber ich würde es mir nie anmaßen, dir einen Befehl zu geben, weil ich dafür zu viel Respekt vor dir habe."

Er hebt ergeben die Hände.
„Selber Punkt."

„Wo müssen wir eigentlich hin?", frage ich misstrauisch, während ich Schuhe wechsle. Mit den High Heels in der Hand komme ich auf ihn zu. Mit jedem Schritt wird der Wunsch größer, ihm eins überzuziehen. Matt richtet sich höher auf. Irgendwas in seinem Gesicht kippt, tendiert plötzlich zu einem anderen Gefühl als zuvor.

„Headquarter. Die Forensiker haben die Leiche, wie es sich anhört. Du kannst nicht zufällig Krawatten binden?"

Ich bin wie vor den Kopf gestoßen. Die Forensiker haben die was? Ich stehe vor Matt, der noch einmal missmutig an seiner Krawatte zupft, bevor er auf und in mein geschocktes Gesicht sieht. Eine Mischung aus Überraschung und Missbilligung malt plötzlich scharfe Falten zwischen seine Augenbrauen.
„Sie haben es dir nicht gesagt", stellt er fest, noch bevor ich den Mund aufbekomme.
„Welche Leiche?", platzt es dann aus mir heraus, noch vor ‚Ich hasse dich' und ‚Wieso zur Hölle bin ich hier?'.

„Du weißt noch keine Fakten zum Fall?"
„Niemand sagt mir irgendwas!", schreie ich, jetzt, wo ich endlich ein Ventil gefunden habe, um meine Wut abzubauen, „Verdammt, Green, Sie haben mir Blut abgenommen, mich psychologisch untersucht und gedroht, mein Stipendium zu streichen, aber warum das alles, weiß ich nicht."

Matt sieht mich einfach nur an. Ich würde ihn gerne erwürgen, aber anscheinend ist er derjenige, der mir erklären soll, wieso Joey mich drei Monate lang gestalked hat und seine Koordinatorin im Büro meines Professors mit Cocktailschirmchen Kreisel spielt. Es scheint sehr Avas Stil zu sein, dieses unangenehme Gespräch an ihn zu deligieren, damit ich ihn nicht nach erstem Blickkontakt niederschlagen kann. Matt scheint ebenfalls eins und eins zusammenzuzählen. Ich balle neben meinem Körper die Fäuste, was er mit einem gemessenen Blick zur Kenntnis nimmt.

„Das wird sportlich in 30 Minuten", sagt der Sunhunter, „Aber ich krieg das hin."

Meine Watch blinkt in eben jenem Moment auf, in dem Matt sich zur Treppe dreht. Er bleibt wie angewurzelt stehen und auch ich senke den Blick auf das schwarze Display. Ein roter griechischer Buchstabe erscheint im Kreis der Sunhunter Sonne, blinkt zweimal kurz auf und verschwindet nach zwei Sekunden wieder. Matt starrt auf das nun wieder schwarze Display, als hätte er gerade einen Geist gesehen.

„Wow", macht er nur, „Das ist heftig."
„Was ist heftig?"
Meine Stimme ist rau vor Frustration. Wenn das so weitergeht, breche ich heute doch noch jemandem die Nase. Vielleicht mir selbst, weil ich in Ohnmacht und dann die Treppe hinunter falle. Matt räuspert sich und will gerade ansetzen, als ...

„Hunter?", Joey kommt aus dem Wohnzimmer, er trägt bereits seinen langen dunklen Mantel, „Wir müssen gehen. Wahrscheinlich kommen wir ohnehin schon zu spät."

Er steuert auf die Tür zu, ohne mich zu registrieren, doch Matt schnalzt mit der Zunge.
„Nicht da lang, du Anfänger. Wir nehmen den Tunnel."

„Natürlich nehmen wir den Tunnel", ätze ich und versuche nicht an mich heranzulassen, was für ein bedrückendes Gefühl mir gerade den Rücken hinuntergekrochen ist, während ich Matt hinunter in den Keller folge. Dort verbirgt sich hinter einem Töpferofen und zwei Regalen voller alter Bücher eine schwarze Eisentür, mit mehreren Schlössern, die aussieht, als würde sie direkt in einen Bunker führen. Dahinter gähnt Dunkelheit, bis der Sunhunter seine Watch noch einmal an die Wand hält und flackernd Neonröhren zum Leben erwachen. Es ist die pure Horrorfilm Ästhetik.

„Wohlan, die Dame", Matt lässt mir den Vortritt, „Wir haben einiges zu besprechen."

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Starshakers (Sunhunters pt. 2)Where stories live. Discover now