93: Die Wahrheit tut weh

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Genau wie Yeonjun es Jungkook und Hoseok beschrieben hatte, schien die Unterwelt aus wahren Albträumen erschaffen worden zu sein.

Es war so dunkel, dass man kaum die Hand vor Augen sehen konnte und so klirrend kalt, dass sich die Dream Chapter - Gang auf ihrem Weg eng aneinander kuscheln musste, um nicht noch zu erfrieren.

Wenige Meter vor den Fünfen sausten Suga und Jimin auf Kuroi und Mochi, hatten sich orangerot glühende Fackeln gehext, mit denen sie die drückende Finsternis erhellten.

Taehyung lief neben ihnen, warf jedes Mal einen kurzen Blick über die Schulter, wenn er irgendein undefinierbares Geräusch vernahm.

Ein bisschen von dem warmen Schimmer erreichte auch ihre Freunde, sodass Yeonjun, Beomgyu, Kai, Taehyun und Soobin wenigstens nicht mehr - Verzeiht für diesen erneuten Wortwitz - im Dunkeln tappen mussten.

Jungkook und Hoseok waren mit ihnen gekommen, wobei Hoseok es nicht lassen konnte, das nun lilafarbene Feuer um seine Handflächen tanzen zu lassen.

Die trostlose, verfaulte Landschaft, die das Reich der Toten bildete, war übersät mit den säuberlich abgenagten Knochen und Schädeln von unglücklichen Lebenden, die sich einst hierher gewagt und ein grausames Ende gefunden hatten.

Hin und wieder kreuzten riesige Höllenhunde mit blutroten Augen und dichtem schwarzen Fell den Weg der Truppe, verzogen sich jedoch kurz darauf zurück in die Schatten, als sie den für sie tödlichen Klang von Beomgyus Flöte vernahmen.

Soobin feuerte einige Leuchtzauber ab, um Jin, Namjoon und den anderen ihre Route mitzuteilen, während Taehyun mit seinem Schwert wild in der Luft herum hieb, hoffend, er würde in der nächsten Minute endlich den Schwarzen Schwan durchbohren.

Doch nach bereits drei Stunden Fußmarsch durch die schier endlose Ödnis war niemand von ihnen allen auf den Dämon gestoßen, geschweige denn auf irgendwelche Anzeichen seiner schrecklichen Aktivitäten.

Alles, was Jin, Namjoon und Lio - Chen begegnete, waren lediglich einige rangniedere Bärendämonen, die wohl gerade Winterschlaf hielten, ihr ohrenbetäubendes Schnarchen klang wie aneinander schlagende Steine.

Der Dämonenjäger erlegte zwei lästige Riesenhummeln, deren mit lähmenden Gift geladenen Stacheln Jin beinahe getroffen hätten, wäre Namjoon nicht sofort zur Tat geschritten.

Und schließlich nutzte Lio - Chen ihre Hexkraft, um ihnen ein wärmendes Lagerfeuer mitten im Nirgendwo zu erschaffen, ein freundlicher Anblick in dieser wahrhaft bösartigen Gegend.

Während Namjoon und Jin sich in eine kuschelige Decke hüllten und den orangeroten Schein der Flammen beobachteten, hielt die Königsschwester es für den perfekten Anlass, ihnen beiden etwas zu beichten.

"Ich habe nie verstanden, warum meine Schwester unbedingt mit dir zusammen sein wollte, Jin!", murmelte Lio - Chen und stützte nachdenklich den Kopf in die Hände.

"Shin - La hat sich nie besonders für die Menschen interessiert, sich immer darüber aufgeregt, wie kompliziert sie die Dinge doch angehen. Die niedere Spezies, die keine Magie benutzt, um Probleme zu lösen, jener höheren Macht noch nicht einmal gewachsen ist. Ich war stets diejenige von uns beiden, die eure wahrhaft faszinierende Welt hinter dem Schleier tagaus tagein beobachtet und studiert hat. Mein größter Traum war es, diese Welt einmal persönlich kennenzulernen und mir all ihre Sitten anzueignen, genau wie es meine Ururgroßmutter einst getan hatte."

Lio - Chen seufzte tief, ihr rosiges Gesicht von tiefer Trauer gezeichnet.

"Meine Schwester und ich standen uns nie sehr nahe!", fuhr sie schließlich fort, wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.

"Shin - La hat sich immer von jedem umgarnen lassen, Kammerdiener und Zofen haben ihr die Füße geküsst vor Neid. Sie ist bereits als Kind wie eine zukünftige Königin behandelt worden und hat sich dementsprechend auch so verhalten - arrogant, hochnäsig und stets einen abwertenden Spruch auf den Lippen."

"Sie und ich kamen aus zwei völlig verschiedenen Welten, obwohl wir gemeinsam im Palast gewohnt haben und denselben Stand inne hatten. Sie hat ihren ersten Besen mit 12 bekommen, während ich mich mit einem klapprigen Reisigzweig begnügen musste. Sie ist in den hohen Künsten des Wahrsagens und der Musikmagie unterrichtet worden, ich musste währenddessen stinkende Zaubertränke gegen Verdauungsstörungen brauen. Sie hat tagaus tagein unzählige Heiratsanfragen von Hexenprinzen im ganzen Land erhalten, während ich jede Nacht von einem heimlichen Verehrer in der Menschenwelt träumte, jemand, der mich so nahm, wie ich war."

"Und dann, eines Tages, wäre mein Traum sogar Wirklichkeit geworden - wenn meine törichte Schwester mir nicht wie immer zuvor gekommen wäre."

Lio - Chen ballte die Fäuste, war sie doch gerade dabei, diesen so qualvollen Moment noch einmal zu erleben.

Sie schluckte hörbar und konzentrierte sich wieder auf ihre Geschichte, die nächsten Wörter brannten ihr wie Feuer in der Kehle:

"An diesem Tag hatte man Shin - La zum Kräutersammeln in den Wald geschickt, meine perfekte Gelegenheit, ihr eins für die jahrelangen Schikanen auszuwischen. Im Wald stieß ich schließlich auf das sagenumwobene Portal in die Menschenwelt, dessen Durchschreiten uns von den königlichen Wachen stets verboten worden war, ich dennoch für die lang geplante Umsetzung meiner Rache nutzen wollte."

"Da ich die Abneigungen meiner Schwester den Menschen gegenüber nur zu gut kannte, lockte ich Shin - La also durch das Portal und versiegelte es mit einem einfachen Zauber, der es unmöglich machen würde, den Durchgang wieder zu öffnen...natürlich nicht, ohne vorher selbst hindurch zu gehen. Während ich also glaubte, dass Shin - La diese andere Welt alles andere als angenehm fand und so schnell wie möglich wieder zurück in unsere Dimension wollte, machte ich mich auf die Suche nach meinem Traumprinzen. Nur, um ihn schließlich in den Armen meiner verhassten Schwester zu erblicken. Ihr könnt euch sicher denken, wie ich mich dabei gefühlt habe - und du, Jin, hast alles nur noch schlimmer gemacht."

Lio - Chens Lippen zitterten richtig, die Königsschwester konnte das eben Gesagte nicht so leicht verarbeiten.

Heiße Tränen liefen ihr über die Wangen, Tränen der Wut und der Verzweiflung, die sie so lange zurück gehalten hatte und die sich jetzt Bahn brachen.

Jin und Namjoon saßen stumm da und hörten ihrer Geschichte aufmerksam zu, Jin fühlte sich auf einmal richtig elend.

Lio - Chen hatte die ganze Zeit von ihm geträumt, dem gutaussehenden Märchenprinzen aus der Welt hinter dem Schleier.

Sie hatte sich nach Jin verzehrt, wie es nur jemand konnte, der sich nach wahrer, ehrlicher Liebe sehnte und alles daran gesetzt, ihn auch zu bekommen.

Nur, um ihren Geliebten letztlich in den Armen einer anderen zu sehen, in den Armen ihrer eigenen Schwester.

Shin - La war die ganze Zeit die falsche Schlange in ihrem Spiel gewesen und nicht Lio - Chen, hatte ihr ihre große Liebe weg genommen und sie für immer im Stich gelassen.

All das hatte Lio - Chen schließlich zu ihrer grausamen Bluttat verleitet, für die sie der Hexenrat eigentlich hätte anklagen und ins Gefängnis sperren sollen.

All das hatte sie, die einst so einsame und ungeliebte Prinzessin, zum Äußersten getrieben, wofür Jin sie so sehr gehasst hatte.

Doch jetzt sah er die boshafte und kaltherzige Königsschwester plötzlich mit ganz anderen Augen.

Und er bereute es zutiefst, sie all die Jahre abgewiesen zu haben.






































Witch Hunt - Die Prüfung ✔Tempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang