In der Falle

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Lissa hetzte zwischen den nach Schweiß und unterschiedlichen Parfüms riechenden Clubbesuchern hindurch. Sie stolperte über Füße, stürzte gegen ein engumschlungen dastehendes Pärchen, das ihren Sturz bremste. Schnell fing sie sich, erhielt ihr Gleichgewicht zurück.

„Kannst du nicht besser aufpassen?", keifte ihr die Frau hinterher, doch es waren nicht ihre Worte, vor denen sie flüchtete. Donns verletzter Blick. Ihr Kollege spielte doch nur mit ihr. Wieso reagierte er dann auf diese Weise? Sollte sie umdrehen? Mit ihm reden? Sich für ihr Verhalten entschuldigen und seinen Vater anflehen, damit sie den Job behielt? Ihr Herz flehte sie an, umzukehren, sich mit Donn auszusprechen. Doch ihr Verstand riet ihr, sich in Sicherheit zu bringen, aus Angst vor neuen Gemeinheiten.

„Aus dem Weg!" Die Stimme ihres Kollegen, die durch den Saal wie eine Lawine aus Eiszapfen fegte, bohrte sich in ihren Körper. Er war wütend, mehr als das sogar. Eine Hitzewelle traf sie im Rücken, schien ihre Haut zu versengen.

Bloß weg hier.

Sie rannte weiter, als ob der Tod persönlich hinter ihr her wäre, nach ihr mit seinen langen Knochenfingern griff. Glas zerschellte auf dem Boden, als sie einen Tisch in ihrer Hast umwarf. Sie sprang instinktiv hoch, wich den winzigen spitzen Geschossen aus. Ein kurzer Schmerz an ihrem Knöchel, wie der Kratzer einer Katze. Nicht vergleichbar mit dem Orkan, der in ihrem Herzen wütete.

„Lissa! Bleib verdammt nochmal stehen!" Dichter als zuvor. Er war ihr auf den Fersen, holte sie bald ein. Roch sie da etwa schon seinen pfefferminzgeschwängerten Atem? War er ihr so nah?

Nein. Nein. Nein.

Lissa keuchte, ihre Lungen krampften, ihre Beinmuskeln brannten. Immer weiter, niemals aufgeben. Gewissenlos schubste sie Menschen zur Seite, die ihr in die Quere kamen. Sie hörte Donn hinter sich fluchen, als sie jemanden vor seine Füße stieß. Für Entschuldigungen hatte sie keine Zeit. Sie wollte nur ihrem Kollegen entgehen. Ein kühlender Lufthauch von rechts. Eine Tür. Das Mädchen änderte im vollen Lauf die Richtung, spürte ihre Knie ächzen. Unbeirrt stürmte sie zum Ausgang, der kalten Nacht entgegen. Bloß weg aus der Hölle!

Sie taumelte nach draußen, erblickte ein metallenes Meer aus Fahrzeugen. Der Parkplatz des Clubs. Sie warf einen schnellen Blick nach hinten. Kein Donn. Erleichtert atmete sie die erfrischende Luft ein, lief an den Autos entlang, ließ die Fingerspitzen über die Kurven der Karosserien gleiten. Das schwarze Tor ragte am Ende der Parkfläche auf wie das weit aufgerissene Maul eines Hais. Zu beiden Seiten flankierten sitzende Dämonenstatuen die Ausfahrt. In ihren Augen leuchteten rote Lampen wie glühende Kohlen. Lissa schüttelte schmunzelnd den Kopf. Hadal hatte wirklich einen Knall, doch das war nicht länger ihr Problem. Nur wenige hundert Meter, dann lag die Hölle hinter ihr. Sie lauschte hinein in die stille Nacht. So friedlich im Vergleich zum Club, aus dem die Bässe wie dämonischer Trommelklang zu ihr hallten, sie zurück nach drinnen zu rufen schienen.

„Das könnt ihr schön vergessen", brummte sie, lief unentwegt weiter auf das Tor zu. Gleich war sie frei. Ein Lichtblitz. Stechende Schmerzen hinter ihrer Stirn. Keuchend stützte sie sich mit den Händen oberhalb der Knie ab, atmete gegen die Pein an. Jemand packte sie, hob sie mühelos hoch, trug sie zu einem Fahrzeug, das ihr schmerzlichst bekannt vorkam. Donns Wagen.

„Netter Versuch. Ich glaub, wir müssen miteinander reden." Er schmiss sie auf den Beifahrersitz, warf die Tür hinter ihr ins Schloss und stieg auf der Fahrerseite ein. Ein leises Klicken. Lissa rüttelte an der Beifahrertür. Vergebens. Er hatte diese verriegelt, sie somit mit ihm eingesperrt. „Schnall dich lieber an." Donn drehte den Schlüssel in der Zündung, der Motor schnurrte wie ein Tiger im Zoo, wenn der Wärter ein besonders großes und saftiges Stück Fleisch brachte.

„Du willst doch wohl nicht in diesem Zustand fahren?" Ihr fielen die Longdrinkgläser ein, die er in den Stunden zuvor oft in einem Zug geleert hatte. „Wie viel Alkohol hast du eigentlich getrunken?" Lissa wich so weit wie möglich vor ihm zurück. Seine Augen glitzerten amüsiert. Dem Mistkerl gefiel die Situation, dachte sie bitter.

„Genug für einen Menschen, um im Koma zu liegen. Zu meinem Glück vertrage ich das ohne Probleme." Er beugte sich vor, zog den Gurt über ihren zitternden Oberkörper und schnallte sie an. „Keine Angst, dir wird schon nichts passieren. Zumindest nichts, was ich nicht will", raunte er, leckte sich über die Lippen und weidete sich an ihrem panischen Blick. Ohne Vorwarnung trat er aufs Gaspedal. Das Auto schoss wie eine Kanonenkugel aus der Parklücke, vom Parkplatz runter auf die Straße. Weg vom Club und der Stadt, hinaus in die Wildnis. Lissa schloss resignierend die Augen. Wäre sie nur etwas schneller gewesen, säße sie jetzt nicht wie die Maus in der Falle.

Dem Tode zu naheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt