Wo Rauch ist ...

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Lissa genoss die Pause auf der Parkbank. Zusammen mit einigen Dämonen hatte sie am frühen Morgen Möbelstücke und Spielzeugkisten aussortiert, die die ehemaligen Bewohner in Absprache mit Hadal zurückgelassen hatten. Ana, die so lange gebettelt hatte, bis Flaga eingeknickt war und der Kleinen die Erlaubnis zum Helfen gegeben hatte, saß mit einer alten Barbiepuppe dick eingemummelt auf der Bank neben ihr. Es war so frisch, dass man seinen eigenen Atem sehen konnte. Dennoch störte sich das Mädchen nicht daran. Die Wangen von der Aufregung gerötet, spielte sie mit leuchtenden Augen mit Andhaka, der eine weitere Barbie in der Hand hielt.

„Wir müssen gleich umkehren und drinnen weitermachen", mahnte Aswa. „Sonst kühlt Ana uns zu sehr aus."

„Ich glaube, bis ihr kalt wird, sind wir drei erfroren." Lissa zupfte die Mütze des spielenden Kindes zurecht. Dessen Puppe lieferte sich gerade einen Zweikampf mit der anderen. Ihr quietschendes Lachen brachte die Erwachsenen zum Schmunzeln.

„Nur Unfug lernst du von den Dämonenkindern." Andhaka schaute verstört auf seine Barbie, die von der anderen gerade einen Tritt in den Bauch erhalten hatte. „Okay, wer hat Ana beim Kampftraining zuschauen lassen?"

Lissa bemerkte aus dem Augenwinkel, wie Aswa unauffällig auf sie zeigte. Sie zuckte nur mit den Schultern und begegnete den vorwurfsvollen Blicken der Männer mit Gelassenheit. „Jetzt tut mal nicht so entsetzt. Es ist wichtig, dass Ana frühzeitig lernt, sich zu verteidigen. Luriel würde es bestimmt so wollen." Ihr Brustkorb zog sich kurz bei der Erinnerung an den Engel mit den goldblonden Locken zusammen. Lebte er noch oder hatte sein Herr ihn umbringen lassen?

„Was ist das?" Die glockenklare Stimme des Mädchens riss sie aus ihren Gedanken. Die Kleine wies auf einen dunklen Fleck hoch oben am Himmel. Lissa lenkte all ihre Konzentration darauf. Es wirkte auf sie wie ein brennendes Objekt, das sich im rasanten Fall befand und von dem eine zittrige Rauchsäule aufstieg. Die Dämonen bei ihr atmeten scharf ein. Was sahen sie, was sie nicht erkannte?

„Wo Rauch ist, ist ein fallender Engel." Aswa löste sich vor ihren Augen in Luft auf und materialisierte sich ein gutes Stück weiter hinten auf der Wiese. Den Blick zum Himmel gerichtet schien er zu berechnen, wo die richtige Stelle war.

Andhaka betrachtete ihn einen Moment nachdenklich, sah dann mit zusammengekniffenen Augen zu dem stetig näherkommenden Objekt, das bald auf dem Boden aufschlagen würde. Er legte die Barbie zur Seite und erhob sich. „Er wird meine Hilfe benötigen." Im nächsten Moment stand er schon neben dem Freund, die Arme weit ausgebreitet.

„Lissa, ich habe Angst." Ana kletterte auf ihren Schoß und drückte sich eng an sie.

„Die zwei schaffen das schon", versuchte sie, das Kind zu beruhigen, doch die Kleine schüttelte vehement den Kopf.

„Aber das ist mein Schutzengel, der dort fällt. Ich spüre, dass er es ist." Tränen liefen dem Mädchen über die Wangen. „Er hat große Schmerzen."

Lissas Atmung setzte für einen Moment aus. Mit Herzklopfen sah sie, wie die menschliche Form, wie sie jetzt erkannte, den beiden Dämonen entgegenstürzte. Im letzten Augenblick änderten sie noch einmal ihre Position und fingen den gefallenen Engel gemeinsam auf. Eine schmale Rauchsäule stieg von ihm auf.

Ana sprang von Lissas Schoß und rannte ihnen entgegen. Aswa trug den Mann, der leblos in seinen Armen hing. Die einst schneeweiße Toga klebte in Fetzen und mit Asche verschmiert an seinem Körper.

„Ist er?" Lissa traute sich nicht, weiterzusprechen. Ihr Blick war auf das geheftet, was einst die Engelsflügel waren. Verkohlte, rauchende Stumpen, die an einige Stellen noch leicht nachglühten. Wieso waren sie völlig verbrannt? Wie hatte das passieren können? Hatten der Alte oder seine Generäle ihn etwa brennend und damit hilflos aus der Wolkenstadt geworfen? Galle stieg ihre Kehle hoch, sie würgte leise.

Aswa nickte ihr begreifend zu. „Er lebt, aber er braucht dringend medizinische Unterstützung." Er ließ den Blick über den Bewusstlosen streifen, seine Miene verhärtete sich. „Ich bringe ihn besser direkt in die Hölle. Dort wird man sich vorerst um ihn kümmern." In einem Lichtblitz verschwand er.

„Wir kehren besser zum Büro zurück", murmelte Andhaka nach einem raschen Seitenblick auf das leichenblasse Mädchen, das seine Barbie umklammert hielt. Tränen liefen in Strömen über ihr Gesicht. Er nahm Ana hoch, drückte die zitternde Kleine behutsam an seine Brust und trug sie zum Auto.

Lissa folgte ihnen nachdenklich. Die Reaktion des Kindes ließ ihr keine Ruhe. Woher hatte das Mädchen gewusst, dass es Luriel war, der fiel?

Dem Tode zu naheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt