„Und dass ihr mir ja vorsichtig seid", schrie Hadal ihnen hinterher, als sie sein Büro hinter sich ließen.
„Der reißt mir den Kopf ab, wenn ich dich mit auch nur einem Kratzer zurückbringe", stöhnte Donn. „Aber das wird schon nicht passieren. Du bist nicht so ein Draufgänger, wie ich es war, als ich fliegen lernte."
„Luriel hat da etwas erwähnt in die Richtung erwähnt." Lissa versuchte, sich ein Grinsen zu verkneifen.
„Ich fasse es immer noch nicht, dass du dich vor ihm ausgezogen hast", murrte ihr Freund und zog sie die Treppe hoch zur Dachterrasse.
„Zum letzten Mal, er hat nur meinen Rücken gesehen und mir erklärt, wie ich meine Flügel aktiviere. Er hat mir nicht wie ein sexsüchtiger Dämon auf die Brust gestarrt." Lissa befreite ihre Hand aus Donns Griff. „Bist du etwa eifersüchtig?"
„Lass es mich so sagen." Er hielt mitten in der Bewegung inne. „Ich werde ruhiger schlafen, wenn wir erst einmal verheiratet sind. Dann kannst du meinetwegen in Ruhe das College beenden und danach noch ein Studium anfangen."
„Angst davor, zu schnell Papa zu werden?", stichelte sie weiter.
„Angst?" Er lachte leise. „Dir ist schon klar, dass du die Arbeit mit einem Baby oft genug allein stemmen müsstest, weil ich regelmäßig unterwegs sein werde. Das ist für uns beide zu früh." Er schüttelte den Kopf. „Ich möchte noch ein wenig die Zeit mit dir allein verbringen und später bei der Schwangerschaft und nach der Geburt für euch beide da sein. Dafür muss ich aber erst noch ein paar Leute einarbeiten."
„Und das dauert einige Jahre, wie du mir erzählt hast." Sie stapfte an ihm vorbei zum Rand des Bürogebäudes und atmete tief durch. „Das wird mein erster Start aus großer Höhe."
Donn trat neben sie und legte den Arm um sie. „Wenn es dir lieber ist, können wir es auch verschieben. Ich habe eine Idee, wie wir uns stattdessen die Zeit vertreiben."
„Das können wir gern danach machen. Ich möchte endlich wissen, wie es ist, sich in die Tiefe zu stürzen und vom Aufwind auffangen zu lassen."
„Ähm, ich glaube, wir lassen es doch lieber sein." Ihr Freund zog sie vom Rand weg. „Das hört sich gerade verdächtig danach an, dass du irgendwelchen Unfug planst, auf den ich nicht vorbereitet bin."
„Hat der Tod etwa doch Angst?" Lissa verschränkte die Hände hinter Donns Nacken und küsste den Mann sanft, der sie misstrauisch musterte.
„Um deine Sicherheit immer", gab er leise zu. „Also keine verrückten Aktionen."
„Versprochen." Sie trat einen Schritt zurück und fuhr ihre Schwingen aus. Selbst nach unzähligen Flügen überraschte es sie noch immer, dass ihre Kleidung beim Ausfahren der Flügel nicht zerriss. Mit Naturwissenschaft ließ es sich nicht erklären. Allerdings hätte die Wissenschaft auch keine Erklärung dafür, dass es hoch oben in den Wolken eine ganze Stadt gab, oder dass man durch einen Sturzflug direkt in der Hölle landete. „Meinetwegen können wir." Sie stellte sich erneut an den Rand. Ihr Freund stellte sich neben sie und fasste ihre Hand.
„Zusammen", wisperte er. Sie kippten beide vor, ließen sich fallen. Der Wind rauschte durch Lissas Haare, spielte mit ihren Federn. Zwei Flügelschläge genügten, um den Sturzflug zu stoppen und auf der Strömung zu gleiten.
Nach einer Weile ließ Donn ihre Hand los und vollführte einen Salto in der Luft. Dabei zwinkerte er ihr verschmitzt zu. Lissa nahm die Herausforderung an. Ihr Looping verwackelte ein wenig, doch sie erinnerte sich daran, wie viel Jahrhunderte oder Jahrtausende Erfahrung ihr Freund hatte. Ihr kam eine Idee. „Eigentlich bist du mir etwas zu alt. Ich flieg jetzt los und suche mir jemanden, der nicht aus der Steinzeit stammt." Mit kräftigen Flügelschlägen schaffte sie Abstand zum Todesengel, der einen Moment völlig überrascht in der Luft verharrte. Dann jagte er ihr durch die tiefschwarze Nacht hinterher. Über Dächer, durch enge Gassen, im Slalom um Straßenlaternen und Bäume herum folgte er ihr.
„Lass das", rief er ihr zu. „Bist du wahnsinnig geworden?"
Lissa spürte, wie ihre Muskeln schwerer wurden. Solch einen rasanten Flug war sie nicht gewöhnt. Sie kehrte in einem weiträumigen Bogen um und flog zurück auf das Dach des Bürogebäudes. Donn landete wutschnaubend neben ihr.
„Wenn du noch einmal so halsbrecherisch fliegst, rupfe ich dir die Federn einzeln aus."
„Versorgst du mich danach auch brav und bringst mir das Essen ans Bett?" Sie küsste ihn blitzschnell auf den Mund. Dann wandte sie sich ab und rannte zum Treppenhaus.
„Nein, das kannst du dir selbst holen. Immerhin hast du dann keine kaputten Füße." Donn holte sie noch vor der ersten Treppenstufe ein und warf sie über seine Schulter. „Jetzt bringe ich dich aber erst einmal ins Bett."
Dagegen hatte Lissa nichts einzuwenden.
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Dem Tode zu nahe
ParanormalEin Mädchen - ein Job. Das Unternehmen? Rätselhaft bis skurril. Die Kollegen? Wie den Covern von Modezeitschriften entsprungen. Der Chef? Zwischen unheimlich und charmant. Der direkte Kollege ein Arsch und obendrein Sohn des Chefs. Was kann da schon...