Eine unerwartete Reise

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Ich durchschaute diese Lüge sofort, schließlich hatte ich Camilla vor wenigen Minuten noch in diesem Zimmer gesehen, was alles andere als dafür sprach, dass sie vergangene Nacht bereits wieder gegangen war. „War denn wirklich alles in Ordnung?" fragte ich ihn misstrauisch, woraufhin er mir lediglich einen irritierten Blick zuwarf. Üblicherweise stellte ich ihm solche Fragen nicht, es war also nicht verwunderlich, dass ihm dies ein wenig sonderbar vorkam. „Hast du mir eben nicht zugehört?" stellte er schließlich als Gegenfrage und stieg anschließend aus dem Bett. Ich trat sicherheitshalber ein paar Schritte zurück, für den Fall, dass er mich erneut aus dem Raum jagen wollte.

„Du warst wieder die halbe Nacht wach, Kiyan. Ich möchte dir wirklich nichts vorschreiben aber das ist auf Dauer sicherlich nicht gesund." Bereits seit Jahren bekam ich mit, wie Kiyan nächtelang wach blieb und mich dadurch nicht selten ebenfalls mit aus dem Schlaf riss. So wie in der letzten Nacht. Den Grund dafür kannte ich nicht, doch irgendwann musste er damit aufhören. „Wir sollten nun hinuntergehen oder möchtest du Vater etwa warten lassen?" fragte er mich und wechselte dadurch abrupt das Thema, während er sich bereits auf den Weg zur Tür machte. Diese Worte zeigten Wirkung, denn ich wollte ganz sicher nicht, dass Vater unser Zuspätkommen missfiel.

„Hast du die Einteilung der Zofen bereits vorgenommen?" fragte mich mein Bruder, kurz nachdem wir sein Schlafgemach verlassen hatten und die breite Treppe in der Eingangshalle hinunterstiegen. Auf direktem Weg zum Speisesaal, ich hatte einen Bärenhunger. Dass es Kiyan nicht ebenso erging, war beinahe unmöglich. „Vater hat beschlossen, die Einteilung selbst zu übernehmen. Ich brauchte sie nur noch in ihre Aufgaben einweisen." Ein langsames Nicken kam von Kiyan als Antwort. „Camilla hat keine Möglichkeit, ihre ehemalige Stelle zurückzubekommen, habe ich Recht?" fragte er schließlich und irgendetwas in seiner Stimme schien mir zu sagen, dass er damit alles andere als zufrieden war.

„Diesmal sind es drei Zofen. Theoretisch wäre es möglich, ihr die vierte Position zuzuteilen. Vater besteht jedoch darauf, dass es bei dieser geringen Anzahl bleibt." Auch mir gefiel diese Entscheidung nicht und besonders Camilla war darüber sicherlich nicht erfreut. Vater wollte vermeiden, dass ein Vorfall wie beim letzten Mal erneut vorkam. Aus diesem Grund hielt er die Anzahl der Zofen so gering wie möglich, damit diese so viel Arbeit zu erledigen hatten, dass sie nicht einmal ansatzweise genug Zeit fanden, um einen ähnlichen Plan wie den von Thekla, zustande zu bringen. Ein verständliches, wenn auch nicht unbedingt gerechtes Vorhaben.

Welche Zofe Camillas ehemalige Position nun übernommen hatte, behielt ich vorerst für mich. Dieses Detail brauchte er im Augenblick nicht zu wissen. „Es wundert mich, dass du dir ihretwegen Gedanken machst. Ich dachte, du würdest die Annahme vertreten, die Bediensteten seien keiner Beachtung würdig." Mit dem Anzeichen eines Schmunzelns auf den Lippen, richtete ich meinen Blick auf Kiyan, der mir jedoch nur einen bösen Blick zurückwarf. „So ist es, Phileas. Ich wollte dir mit diesem gespielten Hauch von Interesse, lediglich eine kleine Freude bereiten." Mir fiel es schwer, in seinem Gesichtsausdruck zu erkennen, ob er log und er wusste das durchaus. Dieses Spielchen spielten wir bereits seit Jahren und mir fiel es nicht einfach festzustellen, welche Worte er ernst meinte und welche nicht.

„Ihr seid zu spät." Schallte die raue Stimme unseres Vaters durch den Raum, sobald wir die Tür des Speisesaals geöffnet und diesen betreten hatten. „Wir bitten um Verzeihung, Vater." Gab ich mit einem Hauch von Genervtheit in der Stimme von mir, woraufhin mein Bruder mir augenblicklich seinen Ellenbogen in die Seite rammte. Lediglich ein zusätzlicher, strafender Blick genügte, um mich daran zu erinnern, dass es nicht die beste Idee war, Vater zu provozieren. Besonders nicht an diesem Morgen, wenn im Schloss ein wenig mehr Treiben herrschte, als in den Tagen zuvor.

Ohne ein weiteres Wort von uns zu geben, ließen wir uns schließlich auf unseren üblichen Plätzen nieder. Wir saßen nicht einmal wenige Sekunden, da schallte die Stimme unseres Vaters erneut durch den Raum. „Finden sich die Zofen mittlerweile zurecht?" Sein Blick war auf ein paar Dokumente gerichtet, die direkt vor ihm auf dem Tisch lagen. Er hob bei dieser Frage nicht einmal den Kopf. „Es wird noch ein paar Tage dauern, bis sie sich problemlos zurechtfinden, doch sie haben ihre Aufgaben verstanden.." begann ich und zögerte einen Augenblick, ehe ich eine Frage stellte, die ich eigentlich nicht hatte stellen wollen. „Vater.. was Calliope betrifft.. ich bin mir nicht sicher, ob.."

Ich verstummte und verzog leicht das Gesicht, als mich etwas schmerzhaft am Schienbein traf. Mein Blick flog augenblicklich zu Kiyan, der mir mit dem leichten Andeuten eines Kopfschütteln zu verstehen geben wollte, nicht weiter zu sprechen. Es war nicht einmal notwendig, dass ich meinen Satz vollendete, denn Vater wandte seinen Blick von den Dokumenten ab und sah stattdessen mit einem kühlen Gesichtsausdruck in meine Richtung. „Zweifelst du meine Auswahl etwa an, mein Sohn?" Ich hasste es, wenn er mich mit diesem Blick ansah. Jedes Mal wenn er dies tat, fühlte ich mich schuldig, obwohl ich kein Vergehen begangen hatte. Bereits in meiner Kindheit hatte mich dieser Blick dazu gebracht, mich nicht gegen ihn aufzulehnen und bis heute hielt er mich damit noch immer davon ab, ihm zu widersprechen.

„Nein, natürlich nicht." Gab ich mit einem eingeschüchterten Murmeln von mir, was Vater zu beruhigen schien, denn er gab kein weiteres Wort von sich, sondern lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf die Dokumente vor sich. Meine Worte bzgl. der neuen Zofe ließ er unbeachtet im Raum stehen, ohne sich anhören zu wollen, was genau ich hatte sagen wollen. Um mich nicht weiter auf diese unangenehme Stille im Raum konzentrieren zu müssen, begann ich, mich an dem Essen auf der langen Tafel zu bedienen, um endlich den stetig wachsenden Hunger zu stillen. Mein Bruder sah es wohl nicht als notwendig an, etwas zu essen, denn er gab einer der Bediensteten lediglich mit einer kurzen Handbewegung zu verstehen, dass sie ihm eine Tasse Kaffee eingießen sollte. Bei dem Schlafmangel den er haben musste, wunderte mich das mittlerweile nicht mehr.

„Die Verhandlungen aufgrund der Konflikte im Westen halten noch immer an, ich werde mir das einmal persönlich ansehen müssen." Erklang erneut die raue Stimme meines Vaters, der meine Aufmerksamkeit mit diesen Worten sofort auf sich zog. „Du wirst mich während meiner Abwesenheit vertreten, Kiyan." Nach diesen Worten erhob er sich von seinem Platz, sammelte die Dokumente auf dem Tisch zusammen und setzte sich schließlich in Bewegung. Noch während dem Kauen beobachtete ich unseren Vater aus dem Augenwinkel, bei jeder einzelnen Bewegung. Die Verhandlungen dort dauerten bereits seit Monaten an, sie waren bisher noch zu keiner Einigung gekommen. Es enttäuschte mich jedoch ein wenig, dass Vater so kurz nach Mutters Tod bereits seinen alltäglichen Geschäften nachging. Ich hatte erwartet, dass er wenigstens den Hauch von Trauer zeigen würde. Nichts davon war geschehen. Es war fast so, als hätte sie in seiner Welt niemals existiert.

„Sobald ich zurück bin, erwarte ich, dass diese Zofen ihre Aufgabenbereiche kennen, Phileas. Es sollte nicht sonderlich schwer sein, ihnen deutlich zu verstehen zu geben, was von ihnen erwartet wird." Die Art und Weise wie er über unsere Bediensteten sprach, hatte mir noch nie zugesagt. Er sah sie lediglich als austauschbare Objekte an, die nur zur Verrichtung der von ihm zugetragenen Dienste existierten. Erst als ich die breite Flügeltür des Speisesaals zufallen hörte, wurde mir bewusst, dass unser Vater den Raum verlassen hatte. Während ich mich mit einem flüchtigen Blick in dem Saal umsah, für den Fall, dass ich mich getäuscht hatte, traf mich erneut etwas am Schienbein und ich wandte mich mit einem bösen Blick meinem Bruder zu.

„Könntest du das bitte bleiben lassen?" Dieser legte jedoch nur seinen Kopf ein wenig schief und warf mir ein verschwörerisches Grinsen zu. „Lass mich raten.. du denkst darüber nach, dass Camilla sich nun wieder in deiner Nähe aufhalten darf." Ich rollte unbeabsichtigt mit den Augen. Mein Bruder hatte wohl noch immer nicht verstanden, dass sie mir etwas bedeutete, ich aber nicht mehr als eine gute Freundin in ihr sah. „Musst du dich nicht um ein paar geschäftliche Angelegenheiten kümmern?" konterte ich, woraufhin das Grinsen aus seinem Gesicht verschwand. Ihm gefiel diese Tatsache wohl nicht sonderlich.

„Camilla würde sich sicher freuen, das Schloss für eine kurze Zeit verlassen zu können. Warum verschaffst du ihr diese Möglichkeit nicht und verbringst ein wenig Zeit mit ihr?" schlug Kiyan anschließend vor, was mich ein wenig das Gesicht verziehen ließ. Nicht aufgrund dieser Idee, sondern eher aufgrund der Folgen die daraus herrührten. „Damit mich Jurian noch weniger leiden kann? Er soll kein falsches Bild von meinen Ansichten bekommen." Gab ich zurück, was Kiyan auflachen ließ. „Du siehst ihn doch nicht wirklich als eine Bedrohung.." Ich schüttelte sofort den Kopf. „Auf keinen Fall, Kiyan. Doch er scheint UNS durchaus als solche zu sehen." 

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt