Im Licht der goldenen Sonne

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P.o.V. Phileas

Vater nutzte diesen kurzen Augenblick, in dem Kiyan seine volle Aufmerksamkeit auf unsere neue Mitbewohnerin lenkte, und wandte sich von uns ab, ehe er einem der Wachmänner ein kaum merkliches Handzeichen gab. Kurz darauf stachen, nur wenige Meter von uns entfernt, Flammen in den Himmel hinauf. Mein verweilender Griff um den Arm meines Bruders, hinderte ihn in diesem Moment daran, sich diesem nun brennenden Berg aus Stoff und kleinen Habseligkeiten zu nähern. Es war ohnehin zu spät. 

Ich konnte Kiyans Entsetzen tiefgehend nachempfinden. Selbst nach Mutters Tod, hatte Vater ihr Schlafgemach vollkommen unangetastet gelassen. Nun schien er seine Meinung geändert zu haben. Nach allem was in den vergangenen Jahren geschehen war, würde ich die Taten unseres Vaters womöglich niemals nachvollziehen können. Mit starrem Blick verfolgte ich das züngelnde Spiel der Flammen und war beinahe froh darüber, Kiyan ein wenig in Schach halten zu können. Er wurde nur selten gewalttätig, so kannte ich ihn nicht. Doch Mutter hatte ihm ebenso viel bedeutet wie mir, daher nahm ich an, dass es ihn nicht weniger schmerzte, dies nun mit anzusehen.

Im nächsten Moment riss Kiyan sich aus meinem Griff los und lief von Schweigen umhüllt zum Schloss zurück. Selbst die fremde junge Frau, die mir nun wortlos gegenüberstand, blickte ihm mit einem fragenden Blick hinterher. Ich entschied mich, mir dieses von Vater arrangierte Spektakel, nicht weiter anzusehen, sondern meinem Bruder mit einem stummen Kopfschütteln zu folgen. Mary Boleyn die II., so hatte Vater sie uns jedenfalls vorgestellt, konnte meinetwegen von uns halten was sie wollte. Aus welchem Grund auch immer sie nun bei uns war, sie würde hoffentlich nicht lange bleiben, denn bereits jetzt hatte sie keinen Hauch von Sympathie von Seiten meines Bruders und mir zu erwarten.

Sobald ich das Schloss betrat und somit das weiter wachsende Feuer hinter mir zurückließ, blickte ich noch einen Augenblick meinem Bruder hinterher, der in genau diesem Moment in einen Gang einbog und somit aus meinem Sichtfeld verschwand. Er hatte seinen eigenen Weg, um mit solch einem Schmerz zurechtzukommen. Diese plötzliche Veränderung der Umstände, würde ich nicht grundlos akzeptieren können. Aus meiner Sicht spürte ich in diesem Augenblick den Wunsch, an einem völlig anderen Ort zu sein. Camilla konnte sich glücklich schätzen, diesem Wunsch jederzeit nachgehen zu können.

„Eure Hoheit.. fühlen Sie sich nicht gut?" drang eine sanfte und dennoch deutlich zu hörende Stimme an mein Ohr. Beinahe automatisch drehte ich meinen Kopf in diese Richtung und erkannte eine der neuen Zofen, welche sich mir aufmerksam zugewandt hatte. Zu ihrem Bedauern, war mir in diesem Moment jedoch nicht nach einem angemessenen Gespräch zumute. „Sie haben sicherlich noch einiges an Arbeit zu erledigen. Dafür hat mein Vater Sie doch eingestellt, oder nicht?" antwortete ich deutlich gereizt, ohne auf ihre Frage einzugehen. Dieser Tag hatte bereits schlecht begonnen und würde in den nächsten Stunden auch nicht sonderlich besser enden.

Calliope wirkte daraufhin ein wenig bedrückt, allerdings war mir dies im Augenblick nicht großartig von Bedeutung. Obwohl ich Vaters Entscheidung nachvollziehen konnte, neue Zofen einzustellen, empfand ich seine Wahl als besonders unpassend. Besonders Calliope war mir bereits zu Beginn ein Dorn im Auge gewesen. Die blonden Haare, die grünen Augen.. selbst aus weiter Entfernung war nicht schwer zu erkennen, wie ähnlich sie Camilla war. Er sendete durch diese junge Frau ein deutliches Zeichen an Camilla. Das Zeichen, dass er sie vollständig ersetzt hatte. Vater war unbarmherzig, was solche Dinge betraf. Er war äußerst direkt und verschwieg nur selten seine Meinung.

Ich ließ Calliope ohne ein weiteres Wort dort in der Eingangshalle zurück und folgte meinem Instinkt, als ich in den Gang einbog, in dem Camillas neues Schlafgemach lag, nachdem sie ihre Stelle als Zofe verloren hatte. Womöglich war ich naiv, nach ihr zu suchen, obwohl Vater vor Kurzem erst von seiner Reise zurückgekehrt war. Der heutige Tag fühlte sich endlos an, die Zeit schien lediglich in Zeitlupe zu vergehen. Ich konnte nur hoffen, dass mich die neuen Zofen wenigstens für ein paar Stunden in Frieden lassen würden.

„Camilla?" sprach ich vorsichtig aus, gefolgt von einem zögerlichen Klopfen an ihrer Zimmertür. Es war durchaus möglich, dass sie noch ihrer Arbeit nachging und sich nicht hinter dieser Tür befand. Da keine Antwort aus dem Inneren des Raumes folgte und auch die Tür nicht geöffnet wurde, entfernte ich mich nach einem kurzen Seufzen wieder von dieser. „Sie ist im Garten." Hörte ich plötzlich eine mir bekannte Stimme sagen, bevor ich mich noch weiter von der Tür entfernen konnte. Mein Kopf drehte sich wie automatisch in die Richtung und ich entdeckte Keylam, der nur wenige Meter von mir entfernt im Gang aufgetaucht war.

„Ich hatte nicht vor, sie bei ihrer Arbeit zu stören. Ich dachte nur.." begann ich, verstummte aber, als Keylam den Kopf schüttelte und ein leichtes Schmunzeln auf seinen Lippen erschien. „Sie arbeitet im Augenblick nicht. Ich denke nicht, dass du sie stören würdest." Ich runzelte die Stirn, als er dies sagte, musste mich jedoch daran erinnern, dass sich die Situation im Schloss vor Kurzem wieder geändert hatte. „Ich kann dieses Risiko nicht eingehen, Keylam. Für Camilla steht zu viel auf dem Spiel." Hier in ihrem Zimmer, wäre die Wahrscheinlichkeit äußerst gering, dass Vater uns zusammen entdeckten könnte. Es folgte ein kurzes Auflachen seinerseits, welches ich nicht gänzlich nachvollziehen konnte. „Geh zu ihr, Phileas. Dein Vater ist eindeutig zu beschäftigt damit, die Habseligkeiten deiner Mutter loszuwerden, als dass er nach einem von euch suchen würde."

Nach einem kurzen Augenblick des Zögerns, gab ich schließlich nach und nickte als Antwort. „Sie wird womöglich eine Erklärung verlangen. Unser Gast.. kam sehr überraschend. Camilla wird wissen wollen, was hier vor sich geht." „Solange dies das einzige Problem ist, welches du mit ihr in Verbindung setzt.." fiel der Junge mir beinahe ins Wort. Fragend blickte ich zu ihm, während wir uns in Bewegung setzten und den Weg zum Garten anstrebten. „Ich spreche von Jurian. Er wird mit jedem Tag unruhiger. Vor Kurzem wäre er mir beinahe an die Kehle gesprungen, als ich nachzufragen versuchte, warum er nicht auf seinem Posten sei."

Jurian nahm seine Pflichten im Schloss nicht ernst genug, was ihm nur Schwierigkeiten einhandeln würde. Diese Einstellung verstand ich in keiner Weise. Seine Ausflüge zu Camilla hatten nach der Ankunft meines Vaters vorerst aufgehört und ich hoffte sehr, dass es in Zukunft so bleiben würde. „Wenn er nicht seiner Arbeit nachgeht, kann er nicht hierbleiben. Diese Bedingung sollte ihm bewusst sein." Es folgte ein Moment des Schweigens, in dem ich darüber nachdachte, wie ich dieses Problem lösen konnte. „Erstatte mir Bericht, sobald er sich entgegen seiner Anweisungen verhält. Er hat nicht das Recht, dir gegenüber aufdringlich zu werden. Sollte es ihm schwer fallen, sich an diese Bedingungen zu halten, wird er sich direkt an mich wenden müssen."

Es folgte ein verständnisvolles Nicken seinerseits. Bereits zu Beginn hatte ich geahnt, dass es nicht leicht werden würde, Camilla und Jurian voneinander fernzuhalten. Allerdings schien es Jurian deutlich schwerer zu fallen, als Camilla. Sie brauchte nicht viel, um an diesem Ort ein wenig Frieden zu finden. Das bewunderte ich sehr an ihr. Mit Jurian musste ich demnächst einmal eine Unterhaltung führen. Es stand ihm nicht zu, sich auf diese Weise zu verhalten. „Bleib nicht all zu lange bei ihr, Phileas. Ich bin mir nicht sicher, wie lange ich den König nach seinem Procedere noch beschäftigen kann." gab der Junge von sich und ich begann zu schmunzeln. „Ich danke dir, Keylam."

Nach diesem Satz wandte er sich auch schon von mir ab und schlug den Weg in einen anderen Gang ein, während mich meine Beine noch in die Richtung des Gartens trugen. Ich war nicht oft außerhalb des Schlosses, das musste ich gestehen. Bei dem Ausflug zum Dorf hätte ich nur allzu gerne mit Kiyan den Platz getauscht. Doch ich wusste, wie sehr er solche Momente brauchte, um nicht gänzlich unter der Regentschaft unseres Vaters unterzugehen. Die Last auf seinen Schultern lag schwerer, als ich jemals würde erahnen können.

Zögernd öffnete ich die bereits teilweise morsch gewordene Tür zum Garten und wurde augenblicklich von der niedrig stehenden Sonne geblendet, die ein goldenes Licht auf die Umgebung des Schlosses warf. Somit wurde auch der Garten in ein leichtes Gold gehüllt und es dauerte einen Moment, bis ich Camilla dort erkennen konnte. Ich musste einige Schritte aus dem Schloss heraustreten und durch den Garten wandern, bis ich ihr blondes Haar in der Sonne leicht schimmern sah und sie mir dadurch direkt ins Auge fiel.

Sie saß, angelehnt an den Stamm eines Baumes, welcher sich am hinteren Ende des Gartens befand, auf dem Boden und widmete ihre Aufmerksamkeit einem Buch. Mehr konnte ich aus dieser Entfernung nicht erkennen, weshalb ich mich ihr mit zögernden Schritten näherte. Der Platz an dem sie saß, wurde zu meinem Glück beinahe vollends vor den Blicken aus dem Schloss geschützt. „Camilla?" sprach ich vorsichtig aus, um sie nicht zu erschrecken. Als hätte ich sie aus einem Traum gerissen, drehte sie ihren Kopf schlagartig in meine Richtung und schloss augenblicklich das Buch in ihren Händen.

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt