ACHT

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„Meinst du nicht, dass es ziemlich merkwürdig ist, dass das Boot einfach so dastand?", hinterfragt Misa, nachdem die beiden schon auf dem offenen Gewässer sind. Auch Ean hat die Idee, einfach so ins Boot gestiegen zu sein, schon bereut. Er schaut Misa mit einem schmerzhaften Blick beim Paddeln zu, als würde er derjenige sein, der mit seinem verletzten Arm das Boot vorantreibt.

Sie hingegen, lässt sich nicht ablenken und paddelt munter vor sich hin. Als Ean weiterhin, bloß genervt zuschaut, erläutert Misa besorgt ihre Befürchtung: „Ean, das Gewässer ist ganz merkwürdig. Das Wasser ist still, aber ich sehe, wie sich andauernd irgendwas Schwarzes drin bewegt. "Er packt sie plötzlich an der Hand und zieht ihr die Paddel weg. Misa sieht, wie er wegen seiner Schmerzen im Arm und nach hinten zuckt. Es sind Sekunden, in denen Misa die Paddel ins Wasser fallen lässt und das Boot anfängt, wie wild zu schaukeln.

„Ean!", schreit Misa laut. Er sitzt zusammengekrümmt da, eine Hand auf seiner Schulter und mit der andern am Boot festhaltend, um nicht ins Wasser zu fallen.
Misa klammert sich mit beiden Händen an den Seiten des Bootes fest und hofft bloß, dass dieses nicht umkippt. Das Boot beruhigt sich schnell wieder und die beiden schauen sich bloß beängstigt an. Zumindest bis Misa anfängt in Panik zu verfallen.

„Wir werden hier sterben!", bringt sie panisch heraus, ihre Stimme zitternd vor Angst. Er sitzt im Gegensatz bloß da und versucht ruhig zu bleiben.
„Wir sind nicht mehr weit von Ayan entfernt, Prinzessin." Er hat die Augen geschlossen und atmet tief ein und aus. Misas Herz hat sich immer noch nicht beruhigt. Ihre Hände zittern so sehr, dass sie kaum die Kraft hat, sich festzuhalten, sie versucht sich bloß auf ihre Atmung zu konzentrieren. Ihr einziger Gedanke ist es, nicht in Panik zu verfallen, doch die bedrohlichen Wellen und das tosende Wasser machen es ihr schwer, ruhig zu bleiben.

„Wieso musstest du dir überhaupt die Paddel nehmen?", motzt sie Ean an, der ihr weiterhin keine Beachtung schenkt und sich nur auf sich konzentriert. Er versucht sie voll und ganz zu ignorieren und scheint sich mit größter Anstrengung zu konzentrieren. Doch das bringt ihn nicht weit, denn das Wasser wird immer unruhiger. Zu Anfang sind es kleine Wellen, die über das Wasser laufen, doch sie werden immer größer und dunkler. Als das Boot sich nur noch mühsam auf dem Wasser hält, wirft sich Misa auf die Seite von Ean und klammert sich um seinen Hals.

„Bitte mach, dass es endet!", kommen Misas Worte schon fast in Tränen von ihr, ihre Stimme von Panik erfüllt. Sie klammert sich fest an Ean, ihre Hände zittern vor Angst, während ihr Herz wild in ihrer Brust hämmert.
Ean hält sie feste bei sich und dass, trotz des anhaltenden Schmerzes. Misa spürt, wie sehr er um ihre Sicherheit besorgt ist, doch sie wünscht sich in dem Moment eher, dass er sich mal anfängt um sich selbst zu sorgen.

Und sollten jetzt noch höhere Wellen auftreten, weiß Misa, dass Ean sie nicht retten kann. Sie sieht die Verzweiflung in seinen Augen, während er sich ebenfalls mit der Situation überfordert fühlt.

Die Wellen werden größer und es fühlt sich nicht mehr an, wie auf einem ruhigen Gewässer, sondern wie auf dem offenen Meer. Das Letzte, was die beiden sehen, ist eine Welle, die sie in das Wasser zieht.
Die Dunkelheit des Ozeans umgibt die beiden, als das Wasser sie in seine eiskalten Arme schließt. Beide versuchen nach Luft zu ringen, nach oben zu schwimmen, doch sie werden ununterbrochen nach unten gezogen.

Die Panik erfasst sie mit eiserner Faust, während sie kämpft, um an die Oberfläche zu gelangen. Für einige Momente spürt sie Eans Berührung an sich, wie er ihr hilft nach oben zu ringen, doch mit jeder Sekunde werden sie schwächer und lassen irgendwann dann ganz nach.

Die Welt um sie herum verschwimmt zu einem undurchdringlichen Wirbel aus Dunkelheit und Wasser. Doch plötzlich, nach einer unendlich langen Zeit des Ringens, bricht Misa endlich durch die Oberfläche. Ein Augenblick der Erleichterung durchströmt sie, als sie die kalte Luft über sich spürt. Sie schnappt nach Luft, während ihr Herz wild in ihrer Brust pocht. Jeder Atemzug fühlt sich kostbar an, als wäre es das unnatürlichste, doch teuerste Geschenk durchzuatmen.

Ihre Brust schmerzt und es sind Sekunden, in denen sie bloß ein und ausatmet. Als sie sich umschaut und Ean nicht an der Wasseroberfläche sieht, beginnt ihr Herz, noch schneller zu schlagen.
„Ean?" Ihr Atem wird schneller und sie schaut sich weiter im Wasser um, in der Hoffnung, dass er jeden Moment an der Wasseroberfläche erscheint. „Ean!", schreit sie in Panik, doch niemand hört sie. Sie ist allein.

Ohne noch lange zu überlegen, nimmt sie ein letztes Mal tief Luft und taucht nach unten. Jeder Muskel schmerzt, jeder Atemzug ist eine Qual, aber sie kann nicht aufgeben. Sie will nicht aufgeben.

In der tiefen Dunkelheit sieht sie ihn dann. Sie sieht, wie er im Wasser schwebt, die Tiefe ihn weiter zu sich zieht und wie er sich kein Stück bewegt.
Der letzte Sauerstoff verlässt gerade seinen Körper, als Misa es schafft ihn zu erreichen und nach seiner Hand zu greifen. Sie greift ihn feste, mit dem Willen, ihn nie wieder loszulassen.

Als Misa seine Hand greift, ist sie kalt und regungslos. Sie zieht ihn das kleine Stück, dass sie über ihm ist zu sich, doch zu mehr fehlt ihr die Kraft. Ihre Lippen legt sie auf seine und gibt ihm den letzten Atemzug, den sie hat. Er öffnet seine Augen ganz leicht, doch schließt sie ein Moment später wieder. Misa versucht, ihn nach oben zu ziehen, aber sie fühlt erneut den Druck auf ihrer Brust und ihr brennt die Lunge. Es dauert nicht lange und sie realisiert, dies ist ihr Ende. Alle Hoffnungen, die sie hat, ziehen an ihr vorbei. Ihr Griff um Eans Hand wird schwächer und die Kälte überfällt nun auch sie.

Wieso konnte ich mich nicht mit einem friedlichen Familienleben zufriedengeben? Wieso will ich mehr? Ein Stich im Herzen ist, das Letzte, was sie fühlt. Bitte Hilf mir!

Sie ruft jemanden, doch sie weiß selbst nicht, wen sie sich erhofft. 

The LegacyWhere stories live. Discover now