NEUNUNDZWANZIG

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Als die beiden die Schmiede betreten, steht hinter dem Tresen ein junger Mann, der soeben einem Herren ein Schwert überreicht. Der Schmied nimmt den Beutel mit dem Gold zufrieden entgegen und bedankt sich mit einem weiten Lächeln.

Die Schmiede erweist sich als größer, als sie von außen den Anschein hatte. Beim Eintreten fällt Misas Blick zunächst auf einen massiven Amboss, der auf einem robusten Baumstamm fest verankert ist. An den Wänden hängen eine Vielzahl von Schmiedehämmern, Zangen und anderen Werkzeugen, von denen Misa viele zum ersten Mal sieht. Auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich ein massiver Tisch, an dem ein Schraubstock befestigt ist, der bereits einige Spuren von intensiver Nutzung trägt. Neben dem Schraubstock sind weitere Gerätschaften zu sehen, deren Zweck und Funktion Misa nur erahnen kann. Die schmalen Fenster am Eingang lassen nur spärliches Licht in den Raum eindringen, sodass die meisten Lichtquellen im Raum entweder der Kamin oder die an den Wänden befestigten Kerzen sind.

Als der Mann die Schmiede verlässt, wendet sich der junge Herr den beiden zu. „Nun, was kann ich für euch tun? Ich bezweifle, dass ihr auf der Suche nach einem idealen Schwert seid."
Seine breiten Schultern und dunklen schulterlangen Haare fallen Misa sofort auf. Seine Haut ist dunkler als die von Ean und seine Grübchen kommen zum Vorschein, als er lächelt. Ean schüttelt den Kopf, wobei sich Falten um seine Lippen bilden. „Dies habe ich schon", entgegnet er zufrieden. „Dies ist eurem Vater, wie auch euch zu verdanken, Ajax."

Sein Gegenüber mustert ihn, mit seinen grünen Augen, ganz genau und beginnt zu lachen. „Ich bezweifle, dass ich da großartig etwas beigetragen habe. Ihr sollt wissen, ich sehe älter aus, als ich bin."

Ean zieht sein Schwert und legt es auf den Tresen. Ajax' Lächeln vergeht und er nimmt es verblüfft in die Hand.
„Dies ist nicht euer Schwert. Aber ich wäre euch dankbar, wenn ihr mir verraten würdet, wo ihr es herhabt", sagt Ajax, wobei sein Blick voll und ganz auf Ean gerichtet ist, während er Misa kaum Beachtung schenkt.

„Dass du deinen alten Freund wegen paar Falten nicht erkennst", gibt Ean amüsiert von sich. Ajax will gerade anfangen zu lachen, als Ean ihm sein Ring auf den Tresen legt. Misa beobachtet dies neugierig von der Seite. Dieser ist ihr noch nie aufgefallen. Weder an seinem Finger noch an seinem Hals trug er diesen. Anscheinend behält er diesen bloß in seinen Taschen.

Es ist ein dünner Ring. Vorne wird er dicker und auf der kleinen runden Fläche ist auf den ersten Blick ein Greifvogel eingraviert. Als sie genauer hinsieht, erkennt sie einen Phönix, der seine Flügel ausstreckt. Es sieht nicht aus, als würde dieser Ean passen. Der Ring hat eher die Passform für Frauenhände.

„Wenn ich dir anfange, über mein letztes halbes Jahr zu erzählen, wirst du mir sowieso nichts glauben." Ajax jedoch erweckt nicht wirklich den Eindruck, Ean zu glauben.
„Wann habe ich Geburtstag?", fragt er, ohne zu zögern. „Am 28. Mai."
„Wie hieß mein Hund?"
„Du hast ihn Hemer genannt. Bis heute verstehe ich nicht, wieso du diesen Hund mit einem Namen bestrafen wolltest", kommt es verdutzt von Ean, der ihn dies wohl bis heute vorwirft.

„Wie heißt meine Schwester?"
„Du hast keine." Auf die Antwort schaut Ajax ihn wütend an. „Du bezeichnest deine Cousine als Schwester, das zählt nicht", korrigiert er sich. „Letzte Frage-", Ajax schaut seinem Freund prüfend in die Augen. „Was waren deine Intentionen, nach Celestia zu gehen?"

Ean seufzt. „Du kennst die Antwort selbst nicht", kommt es zögernd als Antwort. „Und?" Ean schaut ihn mit zusammen gekniffenen Augen an und atmet genervt aus. „Einer der Gründe war Frey. Mehr will ich jetzt nicht wiederholen." Ajax nickt verständnisvoll und wendet seinen Blick zu Misa.

„Dies ist im Übrigen die Prinzessin", wechselt Ean das Thema. Ajax schaut sie verblüfft an und kommt hinter dem Tresen hervor.

„Schön, euch kennenzulernen. Ich habe mir euch jünger vorgestellt, aber ihr seid trotz allem verzückend", kommt es charmant von ihm, als er sich leicht verbeugt. Seine Augen bleiben besonders lang an ihren hängen. Während ihr gesamtes Äußeres sich verändert hatte, behielten ihre Augen trotz allem den hellen blauen Unterton und die Jugend bei.

„Ich hätte auch nicht gedacht, dass ich mit 19 so aussehen würde", entgegnet sie ihm ironisch und auf seinen Lippen bildet sich ein breiteres Lächeln. Als Ajax nicht aufhört, Misa neugierig zu betrachten, kriegt er einen genervten Blick von Ean.
„Hör auf, mit der alten Dame zu flirten und lass uns zum Punkt kommen", unterbricht Ean den Blickkontakt der beiden mit einem warnenden Unterton.

„Du kannst sie ruhig behalten. Ich will es hier dem alten Herren nicht weiter schwer machen", entgegnet er und hebt unschuldig seine Hände. Misa kann nicht anders, als ein Lachen von sich zu lassen und bekommt darauf auch einen amüsierten Blick von Ajax.

„Nun, bei welchen Fragen soll ich anfangen?", wechselt Ajax das Thema. Ean holt, ohne zu zögern, den Beutel mit Misas Schmuck raus und legt es auf den Tresen. Ajax schaut sich diesen neugierig an und schaut dann wieder hoch zu den beiden. Er zieht eine Augenbraue hoch und schaut ihn entsetzt an.

„Ein Jahr nicht gesehen und du kommst mich besuchen, damit ich euch Schmuck abkaufe?" Ean fängt direkt an, in sich hineinzulachen.
„So in etwa", beginnt er. „Aber nein, ich bin zu dir gekommen, weil du der Einzige bist, dem ich sogar in meiner jetzigen Situation traue. Ich weiß, dass du den Gerüchten keinen Glauben schenkst und der Prinzessin und mir helfen wirst." Ajax schaut seinen besten Freund zufrieden an.

„Ich brauche jemanden, der den Schmuck nicht so verkauft, sondern ihm neue Form verleiht und ich weiß, dass du ein Talent darin bist." Ajax nickt und lächelt selbstverliebt auf Eans Worte hin.

„Na ja, wenn du mich so drum bittest." Nun tritt auch Misa vor. Sie nimmt sich das Diadem, das einen dicken Rubin in der Mitte trägt.

„Ich habe noch eine andere Bitte." Sie tut sich schwer, ihren Rücken gerade zu halten. Das Gefühl, die ganze Zeit eine Last auf ihrem Rücken zu tragen, obwohl dies nicht der Fall ist, erdrückt sie fast.

„Ich will, dass du mir ein Schwert schmiedest. Ich kenne Eans und ich möchte, dass du auch extra eins für mich anfertigst. Ich werde leider nur in der Lage sein, dich mit dem Schmuck zu bezahlen, aber die Steine kannst du für ein Vermögen verkaufen. Viele dieser Teile gehören meiner Familie seit Generationen. Das Einzige, was ich möchte, ist der Rubin in diesem Diadem, dass du mit ins Schwert integrieren sollst."

Ean schaut sie überrascht an. Sie weiß, was sie will. Das hört man daran, wie sie über ihre Bitte erzählt. Ajax wirft Ean ein Nicken zu und schaut mit einem noch breiteren Lächeln wieder zu Misa. „Mit Vergnügen, Prinzessin. Ihr habt mir soeben einen Wunsch erfüllt, von dem ich nicht wusste, dass ich ihn habe." Ean mustert Misa weiter. Er hat mit vielem gerechnet, bloß nicht damit.

„Bis wann habe ich Zeit?", fragt er die beiden. Sein Blick liegt weiterhin auf Misa. Sie schaut zu Ean und zusammen im Chor sagen sie: „Sechs Tage." Ajax nickt überfordert.

„Du kannst froh sein, dass du die Prinzessin dabeihast, mein Freund", entgegnet er Ean gestresst.
„Nun, und wie es scheint, braucht ihr noch eine Unterkunft", fügt er besserwisserisch hinzu. Ean nickt vergebens. Ajax schaut seinen besten Freund bloß zufrieden an.

Misa kann nicht übersehen, dass Ean versucht, seine Freude nicht zu zeigen, wie glücklich er ist, ihn wiederzusehen. Sie fragt sich, wann sie sich wohl das letzte Mal gesehen haben und ihr fällt schnell auf, dass Ean lange vor ihrem Verschwinden aus dem Schloss auch nicht mehr nach Esmeraya gereist ist.

„Ihr habt Glück, im Moment kommen nur wenige Reisende vorbei und zufällig habe ich auch Zimmer für euch frei", bietet er an und Misa nickt erfreut. „Oder teilt ihr euch ein Zimmer?", neckt er die beiden mit einem riesigen Grinsen im Gesicht. „Wir sind zwar verlobt, jedoch nicht verheiratet", entgegnet Ean ihm trocken und mit einem unbewegten Gesichtsausdruck.

Misa stockt kurz und überlegt. „Nun, das stimmt zwar. Aber es wäre ja nicht das erste Mal, dass wir uns nicht an diese Regel halten", stellt sie fest und schaut Ean an, der ihr mit einem zustimmenden Nicken beipflichtet. Ajax schaut die beiden perplex an. „Eigentlich sollte das ein Witz sein, aber wenn ihr wollt ...", beginnt er. „Ich will ein eigenes Zimmer", unterbricht Misa ihn jedoch im selben Moment und Ean stimmt zu.

The LegacyWhere stories live. Discover now