SECHSUNDZWANZIG

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„Woher nehmt ihr euch dieses Recht?!", schreit Lurra Cyrus an, während er entgeistert dasteht und sie anschaut, als wäre sie diejenige, die den eigentlichen Plan sabotiert hat. Lurra hat schnell verstanden, wer derjenige war, der den Pfeil geschossen hat. Es ist nicht schwer zu erraten, wenn man bedenkt, wer von Anfang an gegen die Idee war.

„Der Drache war ruhig! Ich habe verstanden, was er gesagt hat! Wieso habt ihr das getan?", fragt sie verzweifelt. Sein Augenrollen deutet an, wie wenig ihm Lurras Worte bedeuten. Der Kampf ist gerade erst gewonnen und die Leute kommen noch nicht einmal dazu, sich zu freuen.
„Du kannst keinen Drachen zähmen, naives Mädchen. Früher oder später hätte er uns unser Leben gekostet!", ertönt seine gereizte Stimme.

Misa ist gerade dabei, sich vom ganzen Schock zu beruhigen, als auch sie den versammelten Haufen sieht. Ean ist direkt dabei, sich durch die Menge zu drängeln und Misa folgt ihm. Lurras ballt ihre zitternden Hände zu Fäusten.

„Dein Plan war gut, zumindest ab der zweiten Hälfte. Du hast Potenzial, aber deine Gefühle stehen dir im Weg", lobt Cyrus Lurra, in einem ruhigen Ton, doch in Lurra brodelt die Wut weiter.
„Lurra beruhig dich. Alle sind in Sicherheit und außer paar Ausnahmen wurde niemand verletzt. Er hat getan, was er tun musste", verteidigt Ean ihn und stellt sich zwischen die beiden. Aidon hat sich hingegen behütend hinter Lurra aufgestellt und widmet Cyrus einen verärgerten Blick.

„Ean, misch dich nicht ein! Dieser Mann ist für den Tod eines Drachens verantwortlich. Eine Art, die sowieso schon fast ausgestorben ist", schimpft Lurra laut. Nun ist auch Ean von ihrem Zorn betroffen. Dunkle Wolken beginnen sich aufzuziehen und es sieht diesmal nicht aus wie ein Gewitter, sondern wie ein gewöhnlicher Regenschauer.
Cyrus seufzt resigniert und dreht sich zur Menge.

„Lasst uns feiern, Männer! Ich werde nachkommen, sobald das Gör sich beruhigt hat", brüllt er in die Menge und die Männer beginnen zu jubeln und begeben sich ins Lager. Die Frauen um sie herum bleiben hingegen eher still, und in ihren Gesichtern spiegelt sich Fassungslosigkeit wider, während sie die Männer um sich herum betrachten.
Lurra ist kurz davor, sich auf Cyrus zu stürzen, doch wird von Ean und Aidon zurückgehalten.

„Willkommen in der richtigen Welt, Mädchen", sind seine letzten Worte, bevor er sich langsam in die Richtung des Lagers begibt. „Mistkerl!", schreit sie ihm hinterher, als sie von Ean und Aidon losgelassen wird. Vor Wut laufen ihr die Tränen die Wange runter und sie beginnt, mit ihren Fäusten auf Ean einzuschlagen.

„Wie kannst du ihn noch verteidigen? Ich war gerade dabei, mich mit dem Drachen zu einigen! Du kannst dir nicht vorstellen, wie viel Verständnis diese Lebewesen besitzen!" Sie ist laut, wütend, entsetzt und lässt nun alles an Ean aus.
„Schau dir das alles an. Die ganze Stadt ist ausgetrocknet, nur weil ich die Menschen verteidigen musste! Es hätte gar nicht sein müssen."

Zuvor hat Misa noch nie jemanden getroffen, der das Leben aller so wertschätzt wie Lurra. Sie weint nicht nur bloß vor Wut. Nein, es kommt alles auf sie herab. Sie ist nicht nur wütend auf Cyrus und Ean, sondern auch auf sich selbst. Vielleicht sogar auf Misa, dass sie tatsächlich den Pfeil losgelassen hat.

Als sie keine Kraft mehr hat, fällt sie zu Boden. Ihre Tränen prallen auf der Erde auf und ihr Schluchzen wird lauter. Der Regen beginnt über sie zu fallen. Die Stadt ist umgeben von Dunkelheit, die Wolken lassen keinen Lichtstrahl mehr durch. Es ist eine Dunkelheit, die Lurra herbeigerufen hat.
Misa zeigt Ean und Aidon mit einer Kopfbewegung, dass sie gehen sollen. Sie setzt sich zu Lurra auf den Boden und nimmt sie fest in den Arm. Die beiden sind in kürzester Durchnässt vom Regen, doch Misa nimmt es nicht einmal wahr.
„Kannst du mich allein lassen?", bittet Lurra sie mit einer heiseren Stimme, als sie sich etwas beruhigt hat. Misa zögert nicht und macht sich auf den Weg zum Lager.

The LegacyWhere stories live. Discover now