33

58 10 1
                                    

„Denkst du, man wird es uns anmerken?", fragte Akio, der auf dem Brunnenrand saß und mich zwischen seinen Beinen stehen hatte. Seine Arme waren um meine Schultern geschlungen, die Nase in meinem Haar vergraben.

„Möglich, aber es ist nicht anders als sonst."

„Und wie anders es ist. Ich kann dich in jeder Minute küssen, Lenya." Die gemurmelten Worte und seine Lippen an meinem Nacken ließen einen Schauer über meinen Rücken jagen. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, aber sein Handeln holte weitaus mehr Gefühle hervor, die mit einem Blick nicht möglich waren.

„Wirst du es ihnen sofort unter die Nase reiben?" Ich klang zweifelnd. Meine Beziehung mit ihm bereute ich nicht, aber ich wusste auch, dass Rafe nicht begeistert sein würde. Es war zu schnell gegangen. Binnen Stunden hatte ich meine Gefühle entdeckt und mich auf Akio eingelassen, statt mir Zeit zu nehmen und Ordnung zu schaffen. Vergangenheit und Gegenwart waren miteinander gemischt, was den Abstand zu Kai und Rafe sehr schmerzhaft machte. Mir nicht mehr sagen zu müssen, sondern zu erkennen, dass wirklich nichts mehr wie früher war, tat entsetzlich weh.

Ich wollte meine Zeit von damals zurück.

Ich wollte an Akios Seite bleiben, seine Zärtlichkeiten genießen und die Beziehung führen.

Beides war nicht umsetzbar. Ich musste mich entscheiden. Vergangenheit oder Gegenwart. Die Antwort sollte klar sein, aber mit all den zurückgekommenen Erinnerungen und Gefühlen stand ich mir selbst im Weg.

„Möchtest du es ihnen nicht sagen?"

„Das ist es nicht. Ich bin mit mir im Widerspruch und muss so viel verarbeiten und realisieren", erklärte ich ernst. Meine Hand legte ich auf seinen Arm. „Ich will das hier, gleichzeitig will ich mein Leben von damals zurück, und da hat es uns nicht so gegeben."

„Du kannst mit mir reden, ja? Ich möchte dir helfen und alles tun, damit du dieses Leben akzeptieren und lieben kannst." Akio zog seine Arme etwas enger um mich und nutzte den Moment zu zweit, um mir seine Liebe ins Ohr zu flüstern. Erneut erschauderte ich und erhielt ein Lächeln.

Eine dicke Wolkendecke hatte sich über die Stadt gelegt und die Hitze der letzten Tage in eine unangenehme Schwüle verwandelt. Der Regen kündigte sich spürbar an und brachte hoffentlich ein wenig Kühle mit.

Akio und ich waren früh wach geworden und hatten Vince, Kai und Rafe eine Nachricht geschrieben. Bis auf Vince hatten wir keine Rückmeldung erhalten, also wussten wir nicht, ob alle kommen würden. Ich wollte sie sehen. Wir mussten zu fünft miteinander reden, denn das waren wir vor meinem Koma gewesen. Sie mussten erfahren, was mich in den Bus geführt hatte, denn die Erinnerung war über Nacht zurückgekommen, und ich musste erfahren, was die letzten Jahre mit ihnen geschehen war. Die Oberflächigkeiten mussten verschwinden. Ich brauchte Klarheiten und Gewissheit, dass wir Freunde bleiben würden. Nach so vielen Jahren hatte sich einiges verändert, besonders Kai und Rafe.

Je länger ich über Kais gestrige Worte nachdachte, umso verärgerter war ich. Ihm wollte ich eigenhändig den Kopf abreißen und ihm seinen eigenen Widerspruch aufzeigen. Vom ersten Wiedersehen bis gestern hatte er eine drastische Wandlung hingelegt und seine Meinung geändert. Ich hasste das.

Vince kam mit den ersten Regentropfen zu uns und erhielt ein unverschämtes Grinsen, als er uns am Brunnen sah. Mit der Zigarette zwischen den Fingern stellte er sich dazu, schweifte mit seinen Augen von Akio zu mir.

„Sprecht ihr es selbst aus?"

„Was aussprechen?", entgegnete ich.

Er grinste noch breiter, wenn es möglich war. „Dass ihr miteinander schlaft, was sonst?"

Verloren - Zurück im LebenOnde histórias criam vida. Descubra agora