Kapitel 12

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„Hondo wohnt in South LA?", fragte ich verwundert, als ich feststellte, in welchem Viertel wir uns befanden. Bis jetzt hatte ich nicht viel Gutes über South Los Angeles gehört. Hohe Kriminalitätsrate, Gangs, die sich an jeder Ecke bekriegten, Drogen bis zum Überfluss, Jugendliche meist ohne Zukunftsperspektive. Hondo passte nun wirklich gar nicht in dieses Bild.
Chris gab einen zustimmenden Laut von sich. „Ja. Er hat hier schon immer gelebt. Er wurde in diesem Stadtteil geboren, ist hier aufgewachsen. Und ich schätze, er wird auch immer hier bleiben. Hondo fühlt sich wohl in South LA." Leise fing sie an, zu einem Song im Radio mitzusummen und trommelte leicht aufs Lenkrad. Amüsiert beobachtete ich sie dabei. „Was ist?", fragte sie belustigt. Schnell wendete ich meinen Blick ab und sah aus dem Fenster. Wir befanden uns in einer Gegend mit Einfamilienhäusern, die sich aneinanderreihten. Es sah nur halb so gefährlich aus, wie ich angenommen hatte. Es wirkte beinahe friedlich. Auf den Gehwegen spielten einige Kinder, Nachbarn unterhielten sich an den Zäunen. Da war nichts, was auf Gefahr, Gangs oder Kriege hindeutete.
Wir bogen in eine Seitenstraße ab. Das Haus, vor dem wir hielten, hatte eine große Veranda und war mit dunklen Holzpaneelen bekleidet. Ich folgte Chris zu Veranda und wartete, als sie anklopfte. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis die Tür geöffnet wurde. Hondo erschien mit einem Küchentuch in der einen Hand und lud uns herein. Im Hintergrund waren bereits Stimmen zu hören, die unverkennbar zu Street und Tan gehörten, dazu noch ein Fernseher der lief.
Chris ging sofort zielstrebig nach links. Ich schaute mich erst einmal um, als Hondo die Tür hinter mir schloss und gerade aus wieder in die offene Küche ging, die an Wohnzimmer links und Esszimmer rechts grenzte. Ein Flur führte geradewegs weiter nach hinten. Wahrscheinlich in Bad und Schlafzimmer. Es überraschte mich, dass alles so gemütlich eingerichtet war. Tapeten und die Bodenbretter waren in warmen Brauntönen, die Möbel aus schönem Eichenholz.
Chris hatte sich auf die Sofaecke zu Street, Deacon, Tan und Luca gesetzt, die sich ein Footballspiel ansahen. Sie begrüßten mich alle mit einem Winken, fixierten sich aber gleich wieder auf das Spiel. Unbeholfen stand ich herum und überlegte, was ich tun sollte. Ich hatte keine Lust, mich auch noch auf das Sofa zu quetschen, daher beschloss ich, zu Hondo in die Küche zu gehen.
Er rührte in einem großen Topf, in dem bereits eine dickflüssige Masse kochte, die köstlich roch. „Gwen, setz dich doch." Er deutete mit einem Holzlöffel auf einen Barhocker an der Theke. Ich ließ mich darauf nieder und sah ihm dabei zu, wie er Knoblauch und Zwiebeln hakte und sie in den Topf gab.
Ich drehte mich noch einmal zu den anderen, um mich zu vergewissern, dass sie beschäftigt waren, dann wandte ich mich an meinen Boss. „Hondo, wegen heute ... es tut mir leid. Ich weiß, dass ich dich enttäuscht habe. Es kommt nicht wieder vor, versprochen." Hondo hielt in seinen Bewegungen inne. Mit seiner Hüfte lehnte er sich seitwärts gegen die Theken und legte den Kochlöffel ab. Er spannte seinen Unterkiefer merklich an. „Ich weiß, Gwen. Ich denke, wir sollten die Sache vergessen. Jeder macht Fehler." Dankend nickte ich. Ein Glück. „Kann ich dir helfen?", wollte ich wissen, um die unangenehme Stille zu überbrücken. Er überlegte kurz, zeigte dann auf einen Korb mit Brot neben sich. „Du kannst schon mal das Brot schneiden, wenn du möchtest."
Ich hüpfte vom Hocker herunter und begann das Baguette in dünne Scheiben zu schneiden. Während ich konzentriert meine Arbeit machte, holte Hondo Gläser aus dem Schrank und goss eine bräunliche Flüssigkeit, die stark nach Whiskey roch ein. Er reichte mir eines. „Danke", meinte ich und hob das Glas an meine Nase. Krampfhaft unterdrückte ich ein Husten. Ja, das war definitiv Whiskey. Ohne weiter nachzudenken, nahm ich einen großen Schluck. Der Alkohol brannte in meiner Kehle und ich verzog das Gesicht. Hondo lachte. „Na, Gwen? Zu stark für dich?" Ich antwortete nicht darauf, sondern schnitt das Brot weiter. Whiskey war definitiv zu stark für mich, aber ich mochte das Kribbeln, das es in meinen Füßen auslöste.
„Hast du alles Formelle mit Hicks und Cortez abgeklärt, Gwen?" Ich legte die bereits geschnittenen Brotscheiben in den Brotkorb. „Ziemlich. Es fehlen noch ein paar Kleinigkeiten, aber die haben keine Eile." Ich müsste noch ein paar Unterlagen abgeben und Ausbildungsunterlagen, doch das würde in den nächsten Wochen reichen. Dann noch ein paar Unterschriften, die fehlten. Der Großteil war jedoch geschafft.
„Sehr gut." Hondo drehte die Herdplatte herunter. „Was mich noch immer interessiert ist, warum du bis nach Los Angeles gekommen bist?" Ich unterdrückte ein Stöhnen, schnitt dabei aber das Brot mit mehr Wucht als nötig durch. Hondo hatte es aber bemerkt. „Nicht, dass du das falsch verstehst. Ich wundere mich nur. Ich wollte dich unbedingt in meinem Team. Du warst schließlich Jahrgangsbeste. Du hattest deshalb auch viele Angebote, hast aber unseres angenommen." Ich zuckte mit den Schultern.
Ein Arm griff über meinen Kopf hinweg zum Schrank. Chris. Vor Schreck schnitt ich mir beinahe in den Finger. Ihr Gesicht war so nah, dass ich ihren warmen Atmen auf meinen Wangen spüren konnte. Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen aus. Mein Körper versteifte sich. Sie erwiderte kurz meinen Blick, nur für einen winzigen Augenblick. Dann schritt sie zurück.
„Das riecht köstlich, Boss", meinte sie und goss sich ein Glas Wasser ein. „Also, Gwen. Warum LA?" Seit wann hatte sie zugehört? Ich hatte sie bis eben nicht einmal bemerkt. „Ich wollte ein neues Umfeld und brauchte Abstand zwischen mir und meiner Familie. Mir hat die Unabhängigkeit gefehlt." Ich wiederholte alles, was ich mir im Kopf zurechtgelegt hatte und musste feststellen, dass mir die Lügen immer leichter von meinen Lippen gingen.
Das Essen war wirklich köstlich. Ich aß gerade meine zweite Portion und hätte gerne noch mehr gegessen, doch dann würde ich platzen. Die Stimmung am Tisch war ausgelassen und fast familiär. Chris saß rechts neben mir, Street links. Hondo saß natürlich am Kopfende. Luca, Deacon und Tan uns gegenüber. Ich war auch bereits bei meinem vierten Glas Whiskey. Das Kribbeln war bis in meine Hände hochgekrabbelt, also beschloss ich, es bei vier Gläsern zu belassen. Ich fühlte mich überraschenderweise sehr wohl in der Runde und konnte sogar entspannen, während die anderen sich wild unterhielten. Ich lauschte die meiste Zeit nur, da ich nicht viel zu den Gesprächsthemen beitragen konnte, doch ich könnte meinem Team stundenlang zuhören.
Luca und Deacon hörten nicht auf, über frühere Einsätze zu reden. Obwohl ich bei Luca den Verdacht hatte, dass die Einsätze nur halb so gefährlich waren, wie er es erzählte. Das lag vielleicht auch an seinem Alkoholpegel.
„Wenigstens muss ich nicht nach der Arbeit noch zum CrossFit, um meinen Winterspeck loszuwerden", stichelte Street neben mir in Tans Richtung. Jetzt ging das schon wieder los. Beim Essen fingen haben sie schon dreimal angefangen, sich darüber zu streiten, wer der bessere von ihnen sei. „Wenigstens werde ich meinen Winterspeck los", warf Tan zurück und schob seinen leeren Teller von sich. „Wenigstens habe ich die höhere Trefferquote", kam es von Street. Tan prustete. „Beim letzten Mal. Was war die zehn Male davor?" Meine Augen flogen zwischen den beiden Hin und Her. Wurde ihnen das selbst nicht langsam langweilig. Chris beugte sich zu mir. „Nur fürs Protokoll. Ich habe in allen Tests am besten von uns drein abgeschnitten." Sie zwinkerte mir selbstsicher zu und lehnte sich dann wieder an ihre Rückenlehne. Ich grinste und nahm einen Schluck von meinem Getränk. „Hätte mich gewundert, wenn nicht." Mein Blick rutschte zu Chris nackten Arm. Ich erkannte ein Tattoo. Einen verschnörkelten Schriftzug, den ich jedoch nicht so schnell entziffern konnte. Blitzschnell sah ich wieder nach oben, direkt auf Chris' Lippen, über die sie sich leicht leckte. Meine Armhärrchen stellten sich auf. Ein Kribbeln machte sich in mir breit, doch ich schob es auf den Alkohol und klinkte mich wieder in Streets und Tans Duell ein.
Es war bereits spät, als wir uns auf der Veranda verabschiedeten. Der Wind war eisig kalt, aber in Chris' Auto war es glücklicherweise mollig warm. Sie hatte sogar die Sitzheizung aufgedreht.
„Chris? Mein Auto?" Wir fuhren zielstrebig am Departement vorbei. „Gwen", meinte sie mit tadelnder Stimme. „Wie viel Whiskey hattest du? Du kannst nicht mehr fahren." Ich rutschte tiefer in den Sitz. „Genug", beantwortete sie ihre Frage selbst. Gut, Unrecht hatte sie nicht. Fahren war keine gute Idee. Trotz der späten Uhrzeit waren noch eine Menge Menschen unterwegs. Ich beobachtete die Autos, die uns entgegenkamen, um meiner aufsteigenden Müdigkeit nicht nachzugeben und einzuschlafen.
„Ich hole dich morgen ab", sagte Chris, als wir in meiner Straße hielten. „Liegt sowieso auf meinem Weg."
„Du bist kein Taxiunternehmen", widersprach ich. Sie grinste mich nur an. Wieder dieses verdammte Grinsen, das meinen Bauch einen Purzelbaum schlagen ließ. „Das habe ich auch nicht gesagt, Gwen."
Ich atmete tief durch. Den Whiskey konnte ich immer noch auf meinen Lippen schmecken. „Klassenbeste also, ja?" Ich wusste nicht, warum, aber es brachte mich zum Lachen. „Das hast du gehört?" Sie nickte.
„Du redest nicht gerne über deine Vergangenheit, oder?", harkte sie nach. Leicht schüttelte ich den Kopf. Meine Hände verkrampften sich ineinander. „Nein, nicht wirklich." Meine Stimme war heiser. Die Temperatur im Inneren des Wagens schien gesunken zu sein. Ich öffnete die Tür, bevor Chris noch mehr Fragen stellen konnte. „Warte!", rief sie. Mein Herz klopfte, als ich mich herunterbeugte. „Gib' mir dein Handy." Verwirrt kramte ich es aus meiner Hosentasche und reichte es ihr. Sie tippte eine Weile darauf herum und reichte es mir. „Dann bis morgen, Gwen."
„Gute Nacht", erwiderte ich und erntete ein warmes Lächeln, das mich zum Schmelzen brachte. Gott, ich sollte aufhören zu trinken.
Als ich in meiner Wohnung war, ließ ich mich gegen die Tür sinken und schloss die Augen. Ich ließ den Abend Revue passieren, auch das Kribbeln, das diese gewisse Person in mir auslöste. So etwas hatte ich seit langem nicht gespürt und das sollte auch so bleiben. Das letzte Mal, als ich diese Art von Gefühlen zugelassen habe, musste ich bitter dafür bezahlen. Außerdem ... es war falsch. So dermaßen falsch. Und doch fühlte es sich auf eine Art und Weise richtig an.
Mein Handy summte und brachte mir beinahe einen Herzinfarkt. Dein Taxi kommt morgen früh um sieben.
Das hatte sie also mit meinem Handy gemacht. Mit einem Grinsen im Gesicht wollte ich eine Antwort tippen, da kam bereits eine zweite Nachricht von Chris. Deinen Kaffe immer noch mit Karamell?
Taxi und Lieferdienst? Ich bin beeindruckt. Es dauerte nicht lange, bis sie zurückschrieb. Nur das Beste für das S.W.A.T..
Mein Fingerspitzen flogen über die Tastatur. Stalkst du mich? Oder durchsuchst du meine Kaffeebecher im Müll?
Diesmal dauerte es eine Weile, bis eine weitere SMS aufpoppte. Hättest du wohl gerne. Dein Gebräu riecht man im ganzen Departement. Noch ein Summen. Schlaf gut, Gwen.
Du auch, antwortete ich. Ich legte mein Handy auf die Kommode ab und umfasste meine heißen Wangen. Der Whiskey warf mich ganz aus Bahn.

Erst der Wecker riss ich aus meinem Schlaf. Trotz der gestrigen Ereignisse, und damit meinte ich nicht den Abend, schlief ich durch und hatte sogar einen recht erholsamen Schlaf. Das lag wohl am Whiskey, zumindest hatte ich davon einen ganz trockenen Mund. Das Problem hatte sich nach dem Duschen und Zähneputzen auch gelegt. Ich schloss gerade meine Mascaratube, als es unten hupte.
In Windeseile lief ich Treppen herunter. „Weißt du, Chris", sagte ich, als ich einstieg. „Normale Menschen schreiben einfach eine Nachricht."
„Ich bin gerne etwas altmodisch", erwiderte sie und reichte mir einen Kaffeebecher und eine Tüte. Ich nippte an dem Kaffee und seufzte genüsslich. „Er ist einfach traumhaft." Chris schnaubte belustigt und fädelte sich in den Verkehr ein. In der Tüte befand sich ein noch warmes Croissant, das meinen Bauch knurren ließ. „Danke, du hast definitiv was gut bei mir."
Chris lächelte schelmisch. „Darauf werde ich definitiv zurückkommen."

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