Kapitel 36

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Bei einer kleinen Shopping-Tour in der letzten Woche hatte ich durch Zufall mein Kleid für die Spendengala gefunden. Es war ganz schlicht - bodenlang und schwarz, mit dünnen Trägern. Der Rücken war tief ausgeschnitten und betonte meine Hüften. Bis zur Taille war der Stoff eng anliegend und fiel dann in weichen Falten bis zu meinen Knöcheln. Meine grünen Augen betonte ich mit einem silbernen Lidschatten, der farblich zu meinen Stilettos passte. Sobald der formelle Teil im LAPD vorbei war, würde ich ein etwas stärkeres Make-up auflegen. Meine Haare, die unbedingt mal wieder einen Haarschnitt vertragen könnten, drehte ich mir zu Locken und steckte sie mir bis zur richtigen Feier am Abend hoch.
Die leise Musik beschallte aufgrund der geöffneten Eingangstüren den gesamten Parkplatz. Ich griff nach meiner Tasche auf dem Beifahrersitz und dem Kleidersack, in dem ich ordentlich mein Kleid verpackt hatte. Vor dem Eingang standen bereits Grüppchen von Leuten in teuren Kleidern und Anzügen, mit Champagnergläsern in der Hand. Hicks schien mächtig in die Tasche gegriffen zu haben für die Veranstaltung.
Nachdem ich meine Autotür geschlossen hatte, richtete ich meine Uniform. Ein Auto parkte neben mir ein - Street. „Na, du Schönheit", begrüßte er mich. „Das wird ein Spaß heute." Auch er trug seine Uniform schon. Als wir uns auf den Weg ins Departement machten, erkannte ich Hicks und Cortez zwischen den Gästen, aber auch einige Polizisten und S.W.A.T.-Uniformen. Ich warf Street einen Blick von der Seite zu, der völlig abwesend die Menschenmenge absuchte.
„Du suchst dir doch nicht ernsthaft eine Bettgefährtin für heute Abend raus, oder?" Street löste sich von der Masse. „Möglicherweise." Ich gab ihm einen Schubs in die Seite und zog ihn mit ins LAPD, bevor er sich gleich auf die Frauen stürzen würde.
Meine Sachen für später verstaute ich in meinem Spind und prüfte ein letztes Mal meine Frisur im Spiegel. Street wartete vor der Umkleide auf mich, damit wir gemeinsam in die Zentrale gehen konnten, wo Hondo bereits wartete. Der Rest des Teams war schon da. Allen war die geringe Begeisterung ins Gesicht geschrieben - aber besonders Chris.
Bevor in die vorbereiteten Räume gingen, um Hicks' Begrüßungsrede beizuwohnen, erzählte Hondo noch einmal von unserem gestrigen Erfolg und dass das LAPD ganz nahe war, das höchste Tier zu identifizieren. Es fehlte nicht mehr viel, bis die gefangenen Männer reden würden und sich die Bloods vollständig auflösen würden.
„Dann wünsche ich euch viel Spaß heute Abend", beendete Hondo seine Rede. Chris schnaubte. „Du wirst es schon überleben", meinte Luca zu ihr.
„Ich denke nicht. Diese Feiern sind langweilig." Street neben mir packte meine Schulter und zwickte Chris in die Seite. „Gwen und ich werden schon dafür sorgen, dass du Spaß hast." Chris hob ruckartig den Kopf und sah zwischen uns beiden Hin und Her. Als das Blut mir in die Wangen schoss, heftete ich meinen Blick auf den Boden. Street hatte ja keine Ahnung, wovon er sprach.
Das Departement hatte den Bürokomplex im hinteren Teil des Gebäudes vollständig ausgeräumt und so eine Art Saal geschaffen, in dem alle Gäste ausreichend Platz hatten. Außerdem wurden extra Tische und eine Bar aufgestellt, um die Besucher bei Laune zu halten. Das 20-S.W.A.T. positionierte sich neben dem Rednerpult, hinter dem Hicks bereits stand und auf Ruhe wartete.
Hicks' Ansprache fühlte sich endlos lang an. Nachdem er die Menschen begrüßt hatte, bedankte er sich für die Spenden aus dem letzten Jahr und hofft, dass das LAPD dieses Jahr erneut solch große Summen sammeln könnte. Während er noch einige wichtige Namen nannte und Auszeichnungen verteilte, schaute ich mich um und beobachtete die Leute. Die meisten sahen unheimlich reich aus.
Nach einer Stunde, in der ich dachte, dass meine Füße jeden Moment abfielen, beendete Hicks seine Rede. Chris war einer der ersten, die aus der Reihe marschierte. Sie sah noch mürrischer aus als vorhin.
In der Umkleide sagte sie auch nicht viel. Ob das an unserer Unterhaltung von heute Morgen lag oder den Gala, konnte ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Auch, wenn der Reißverschluss meines Kleides nur bis knapp über meine Hüften ging, war es ein Kampf, das Kleid zu schließen.
„Wenn du so weitermachst, harkst du dir deine Arme aus", kam es von Chris, die mich belustigt beobachtete. Schon, dass sie die Sache amüsant fand. Frustriert ließ ich meine Arme sinken und löste stattdessen meine Haare aus der Klammer. „Dann gehe ich eben mit offenem Kleid zur Feier", erwiderte ich tonlos und schüttelte meine Locken.
„Oder ich helfe dir. Aber deine Variante geht natürlich auch." Bevor ich mich für eine der Optionen entscheiden konnte, trat Chris zu mir und zog den Verschluss mit einer simplen Bewegung nach oben. Als ihre Fingerspitzen meinen Rücken berührten, löste das eine Gänsehaut in mir aus. Ich betete, dass Chris es nicht bemerkte. Sie zog den Reißverschluss vorsichtig nach oben. Für einen Moment hatte ich den Eindruck, dass ihre Hände einen Augenblick zu lange an meinem Rücken verharrten. Das konnte aber nur Wunschdenken sein, denn bevor ich mich versah, entfernte sie sich wieder von mir.
„Danke." Ich drehte mich zu ihr um und brauchte all meine Willensstärke, um sie nicht anzustarren. In ihrem schwarzen Hosenanzug sah sie verboten gut aus. Ich wandte den Blick an, um die Situation nicht noch unangenehmer zu machen und um das Kribbeln zwischen meinen Beinen zu stoppen. Es schien so viel Unausgesprochenes zwischen uns zu sein, dabei hatten wir uns alles gesagt. Zwei Küsse, zwei Ausrutscher, zwei Fehler. Zwei Fehler zu viel. In beiden Momenten war ich zu schwach gewesen, um dem Verlangen nicht nachzugeben. Aber Chris hatte recht. Ich brauchte sie als Freundin, mehr, als dass ich das für eine Tagträumerei aufgeben wollte. Ich musste mich damit arrangieren.
Auf dem Flur kamen uns Unmengen an Menschen in bunten, glitzernden Kleidern und samtigen Anzügen entgegen. Chris beugte sich zu mir. „Ich wette, dass das Kleid von der Frau dort mehr wert ist als unsere Monatsgehälter." Sie deutete auf eine ältere Frau, am Ende des Ganges. Wahrscheinlich waren hier alle Kleider mehr wert als mein gesamter Kleiderschrank. Ich gluckste und für einen Moment war die Wut wie verflogen.
Chris verließ mich im Saal, um uns etwas zu trinken zu besorgen. Dass ich eigentlich noch sauer auf sie war und sie nicht unbedingt die Gesellschaft war, die ich wollte, schien sie nicht zu stören. Es kostete mich jede Überwindung, Chris gegenüber normal zu sein. Für sie schien das nicht das geringste Problem zu sein.
„Gwen!" Ich wurde in eine Umarmung gezogen und brauchte kurz, um herauszufinden, wer seine Arme um mich schlang. „Hey, Molly", begrüßte ich sie. Tan umarmte mich als Nächstes.
Molly betrachte mich mit einem Lächeln von oben bis unten. „Du siehst fantastisch aus."
„Sieh dich erst an", erwiderte ich mit einem Blick auf ihr knielanges, dunkelblaues Kleid.
„Hey, ihr beiden!" Chris war von der Bar zurückgekehrt und reichte mir ein Glas. Ich roch vorsichtshalber daran und stellte fest, dass es sich glücklicherweise nur um Wasser handelte.
„Schön, dass wir euch gleich zusammen erwischen", sagte Tan und legte seinen Arm um Molly. Sie waren wirklich ein süßes Paar. „Wir wollten euch an die Verlobungsfeier in drei Wochen erinnern." Dass die beiden sich verlobt hatten, war in meinem Kopf schon ganz weit nach hinten gerückt. Es kam mir vor, als wäre das schon Jahre her gewesen, dabei war es erst vor wenigen Monaten - als ich noch ganz frisch im 20-S.W.A.T. war.
„Und wenn wir schon dabei sind, bringt ihr einen Partner mit? Oder eine Partnerin?", fragte Molly. Chris und ich schüttelten den Kopf. „Auch nicht weiter tragisch. Ihr werdet euch sicherlich auch so amüsieren."
Nachdem wir uns noch eine halbe Stunde mit den beiden unterhalten hatten, entschuldigte ich mich aus Runder, um auf die Toilette zu gehen. Meinen Blick richtete ich auf den Boden, um nicht über meine eigenen Füße oder mein Kleid zu stolpern. Dass ich dabei nicht auf die Menschen vor mir achtete, fiel mir erst auf, als ich gegen einen Rücken stieß und ins Straucheln geriet. Mein Schuh verfing sich in dem Stoff meines Kleides und ich knickte mit meinen hohen Hacken zur Seite um. Rudernd hielt ich meine Arme in die Luft, doch das konnte meinen Fall nicht aufhalten.
Im letzten Moment griffen zwei starke Arme nach meiner Taille und hielten mich auf den Füßen, bevor ich auf den Boden krachen konnte. Ich brauchte zwei Sekunden, bis ich wieder fest auf den Beinen stand und mein Kleid gerichtet hatte.
„Entschuldigen Sie, ich habe Sie nicht gesehen", sagte ich. Der Mann, der mich vor einer großen Peinlichkeit gerettet hatte, sah mich mit einem freundlichen Lächeln an. „Das macht doch nichts." Er hielt mir seine Hand hin. „Matt McKinsley." Ich ergriff seine Hand und schüttelte sie. Matt sah nicht schlecht aus. Er war ungefähr einen Kopf größer als ich und seine Muskeln schienen perfekt in sein weißes Hemd zu passen. Sein schwarzes Haar war ordentlich zur Seite gekämmt, genau wie sein Drei-Tage-Bart, der so perfekt gestutzt war, dass Matt aus einem Modemagazin hätte entspringen können.
„Gwen", erwiderte ich. „Was führt Sie hier her, Gwen?" Ich dachte, dass unser Gespräch vorbei wäre, doch Matt schien in Plauderlaune zu sein. „Ich schätze mal die Spendengala." Auch, wenn es kein Witz sein sollte, musste Matt schmunzeln. Er rieb sich über seinen Bart. Meine Güte, er war wirklich attraktiv. Ich schluckte trocken. „Natürlich", antwortete er.
„Und Sie?", fragte ich. „Ich bin Immobilienmakler und nebenbei seit ein paar Jahren Spender für das LAPD. Sagen Sie, Gwen. Haben wir uns schon einmal getroffen? Sie kommen mir so bekannt vor." Ich überlegte, aber solch ein Gesicht wäre definitiv in meinem Gedächtnis geblieben, also schüttelte ich den Kopf. „Ich denke nicht. Daran würde ich mich erinnern." Matt grinste. Dachte er, dass ich mit ihm flirtete? Meine Wangen wurden ein wenig heiß. „Ich bin noch ziemlich neu in Los Angeles", hängte ich hinterher. „Also ist es sehr unwahrscheinlich, dass wir uns schon über den Weg gelaufen sind."
„Was machen Sie denn beruflich, Gwen?", wollte er wissen. „Vielleicht kenne ich Sie zufällig von einem Kunden."
„Ich arbeite im LAPD." Matts Augen wurden riesengroß, als er meine Antwort hörte. „Wirklich? Das ist ja großartig. Sie sehen gar nicht so aus, als würden sie bei der Polizei arbeiten." Ich wusste nicht, ob ich seine Reaktion als Kompliment auffassen sollte, doch ich tat es einfach. Er meinte es sicher nicht böse. „Ich bin begeistert von ihrem Job und fasziniere mich schon seit langer Zeit dafür. Hätten sie später vielleicht auf ein oder zwei Drinks Zeit? Ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen stellen, wenn es Ihnen nichts ausmacht." Er griff in seine Anzugtasche und reichte mir eine kleine Visitenkarte. Sie sah sehr nobel aus, mit dem blütenweißen Untergrund und der goldenen Schrift. Matt McKinsley. Immobilienmakler ihrer Träume. Daneben stand eine Telefonnummer. „Und falls Sie es heute nicht schaffen, würde ich mich über einen Anruf freuen. Der Kaffee geht dann natürlich auf mich."
Ich setzte gerade zu einer Antwort an, als jemand nach meinem Arm griff. „Gwen, wolltest du nicht auf die Toilette?" Chris sah zwischen Matt und mir hin und her. Ihr Augen verengten sich kurz. Matt räusperte sich und reichte auch ihr die Hand. „Matt McKinsley. Freut mich." Sie ergriff seine Hand. „Christina Alonso."
„Ich habe Ihre Freundin wohl aufgehalten. Das tut mir leid. Aber es war eine sehr schöne Bekanntschaft." Dann verschwand er hinter einer Gruppe von Frauen, die kichernd mit Gläsern über irgendetwas gackerten.
„Was willst du denn mit so einem Typen?", fragte Chris schnaubend, als wir in Richtung der Toiletten gingen. „Der Name klingt schon komisch." Genervt rollte ich mit den Augen und steckte die Karte in meine kleine Handtasche.
„Beruhig dich, Chris", meinte ich. „Nichts, worauf du eifersüchtig sein musst." Sie sah mich hochgezogenen Augenbrauen an, aber ihr war bewusst, dass ich die gleichen Worte ausgewählt hatte, die sie vor ein paar Wochen zu mir am Strand gesagt hatte. Ich unterdrückte das Grinsen auf meinen Lippen und legte an meinem Schritttempo zu, bis ich Chris abgehängt hatte.

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