#54 Ablenkende Gespräche

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Austin

Rot. Ich schien nur noch rot zu sehen. Vergiss niemals, dass ich dich liebe. Meine Hände waren noch immer mit Dylans Blut beklebt. Mit angezogen Beinen saß ich im Gang, des Krankenhauses.

Keine Ahnung, wie viele Pfleger oder Schwestern an mir vorbei gelaufen waren. Es schienen schon Stunden vergangen zu sein, obwohl mir mein Handy genau das Gegenteil verriet.

„Austin", legte Riley ihre Hand auf meine Schulter. „Ich weiß, dass du es nicht hören möchtest, aber du sitzt im Weg", meinte sie. „I-Ich hätte ihn sofort a-angreifen müssen", warf ich mir stotternd vor.

Vorsichtig nahm Riley meine Blut verschmierten Hände, die über meinen Knie lagen, in ihre. Sie versuchte mich aufmunternd anzulächeln, was nicht wirklich funktionierte. Erneut rollten mir die Tränen übers Gesicht, da ich mir noch immer Vorwürfe machte.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Dylans Eltern und Bruder den Gang entlang gelaufen kam. Ich hatte so viel Wut in mir gegenüber Calvin, aber keine Kraft, um diese zum Ausdruck zu bringen. Erst als Caroline, Dylans Mutter, ebenfalls vor mir kniete, versuchte ich mich aufzustehen.

Man hatte ihr nur mitgeteilt, warum ihr Sohn operiert wurde, aber nicht, was genau der Auslöser war. Da ich nicht in der Lage war es zu erzählen, übernahm Riley es für mich. Anscheinend ließ sie bewusst die ganze Instagram Sache aus. Für mich war es ein Vorteil, denn so konnte ich das mit Calvin alleine klären.

„Austin, möchtest du mit mir kommen? Das Blut von deinen Händen und Gesicht abwaschen", wollte Caroline wissen. „Ist das nur Dylans Blut?", fragte Calvin.

Ich warf ihm nur einen bösen Blick zu, bevor ich Carolines Frage bejahte. Tatsächlich war ich mir unsicher, ob ein wenig Blut von mir selber stammen konnte. Natürlich hatte ich auch welches gespuckt, aber ich war mir auch oft genug mit den Händen durchs Gesicht gefahren.

„Es tut mir so leid, dass Alex euch mit darein gezogen hat", entschuldigte Caroline sich, während ich das Blut mühevoll wegwusch. „Damit konnte keiner rechnen", meinte ich. „So wie du das sagst, weisst du über alles bescheid", schlussfolgerte sie, wodurch ich nickte.

Kurz wünschte ich mir, dass ich es nie erfahren hätte, aber im nachhinein hatte es seinen Vorteil. Ohne die Infos hätte ich nichts verstanden, als Alex bei uns auf der Couch saß.

Ich hätte niemals gedacht, dass sich Blut so schwer abwaschen lassen würde. Vielleicht war es auch eher das Gefühl der Schuld. Schuld, dass ich nicht anders reagiert hatte.

Als ich endlich alles ab hatte, liefen wir gemeinsam zum Wartezimmer. Riley hatte anscheinend auch Ruby Bescheid gegeben. Mit großen Augen schaute sie mich an.

„Hey", ihre Stimme war fast ein hauchen, als sie vor mir stand und mir ein paar Strähnen aus dem Gesicht streichte. „Riley hat mir alles erzählt", sagte sie.

Ich konnte mich kaum auf ihre Worte konzentrieren. Ruby bemerkte es, denn sie nahm mein Gesicht in die Hände, damit ich sie anschaute. Kurz wiederholte sie ihre Worte, was ich nur mit einem Nicken quittierte.

„Ich bin auch nicht mehr sauer auf ihn", offenbarte sie mir. „Das solltest du nicht mir sagen", wisperte ich. „Frische Luft?", fragte Ruby, wodurch ich nickte.

Wahrscheinlich wäre ich noch Irre geworden, wenn ich weiter in diesem tristlosem Gebäude geblieben wäre. Noch nie mochte ich Krankenhäuser. Draußen setzten Ruby und ich mich auf die Treppen, wo wir keinem im Weg waren.

„Mir hat ein Vögelchen gezwitschert, dass du ein total romantisches Date veranstaltet hast", meinte Ruby. „Der Vogel ist nicht ganz zufällig meine Schwester?", schaute ich sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.

Unerwartet lehnte Ruby ihren Kopf gegen meine Schulter. Meiner Meinung nach, nahm sie das ganze gar nicht so mit. Während ich mir Sorgen machte und hoffte, dass Dylan es überlebte, schien sie ganz entspannt zu sein.

„Wie läuft es mit Riley?", versuchte ich abzulenken. „Sie erträgt mich noch, also anscheinend gut", scherzte Ruby. „Du bist ein tolles Mädchen. Sie hat mit dir wirklich glück", meinte ich. „Genauso hat Dylan mit dir Glück. Nicht jeder hätte sich mit dem Psycho angelegt", meinte sie.

Fast hätte ich gelacht. Glück war also, wenn man mit einer Stichverletzung im Krankenhaus war. Im Krankenwagen war noch nichtmal klar, ob eine Arterie getroffen wurde. Es war nur klar, dass Dylan viel Blut verloren hatte.

„Was hälst du davon, dass Calvin seinen eigenen Bruder verraten hat?", wollte ich wissen. „Am liebsten würde ich ihm das selbe antun, wie es Dylan angetan wurde. Calvin müsste auf diesem scheiß OP Tisch liegen", meinte Ruby mit einem wütendem Unterton. „Er hätte es verdient", stimmte ich ihr zu.

Man wünschte sich so etwas niemanden, aber ich empfand es als unterirdisch, dass Calvin seinen Bruder so verraten hatte. Ich verstand auch nicht, warum er das getan hatte. Egal, wie viel Streit ich mit Riley hätte, würde ich niemals auf die Idee kommen so etwas zu machen. Familie sollte etwas sein, dass immer jemand hinter einem stand.

„Riley hat ja bald Geburtstag, was schenkst du ihr?", wollte Ruby wissen. „Verrate ich dir nicht", grinste ich.

Shit. Ich hatte den Geburtstag von meiner Schwester vergessen. Naja, ich hatte noch zwei Wochen Zeit. Jedes Jahr verzweifelte ich erneut am Geschenk. Im Vorjahr war es sogar so weit gekommen, dass ich ihr nur einen Milchshake und Gutschein geschenkt. Sie hatte sich zwar gefreut, aber es war nicht das Richtige.

„So wie du schaust, hast du weder etwas gekauft noch eine Idee", fiel Ruby auf, wodurch ich nickte. „Ich bin ein schlechter Bruder", seufzte ich, wobei ich meinen Kopf in den Nacken schmiss.

Sofort verneinte Ruby es und erzählte mir, welche zwei Sachen Riley sich wünschte. Eine hatte sie schon gekauft, wodurch mir das zweite blieb. Kurz freute ich mich, dass ich dieses Mal nicht verzweifeln würde.

„Wusstest du, dass Dylan Mal panische Angst vorm Schwimmen hatte?", fragte Ruby, wodurch ich sie verwirrt anschaute. „Wenn ich mich nicht irre, war er da sieben. Zweites Schwimmtraining, damit er das Seepferdchen machen konnte. Man hat beim tauchen nicht richtig aufgepasst, wodurch er fast ertrunken ist. Jahrelang hat er kein Schwimmbad betreten, bis Casper und ich es ihm beigebracht haben. Mit 12 konnte er schließlich schwimmen", erzählte sie mir.

Mein Blick wandelte sich von verwirrt zu überrascht. Niemals hätte ich so etwas von Dylan gedacht. Er schien mir immer so, als ob er vor nichts Angst hätte. Selbst auf Alex war er ohne Probleme zugelaufen.

„Das ist schön", meinte ich. „Er hat sich auch richtig gefreut, aber alleine traut er sich noch immer nicht. Die Angst, dass er nicht gesehen wird, wenn etwas passiert, ist noch immer vorhanden", sagte sie.

Ich konnte es nachvollziehen. Bestimmt war es nicht einfach für Dylan gewesen. So etwas vergisst man meist nie. Es wird immer ein Teil sein, den ihn begleitet.

Der Verrat in PersonWhere stories live. Discover now