#59 Brief

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Dylan

Angespannt schaute ich auf die Zettel in meiner Hand. Erst dachte ich, dass es ein Brief von Calvin wäre, aber dem war nicht so. Alex hatte mir geschrieben. Schon mehrfach hatte ich das Papier zur Seite gelegt und aufgeschoben es zu lesen. Seit zwei Tagen war der Brief schon bei mir.

Ich war mir nicht sicher, ob ich es lesen wollte. Es würde zu viele Erinnerungen enthalten. Die Angst, dass Alex mir erneut etwas androhen wollte, war groß. Trotzdem war es mein Ziel zumindest die ersten Zeilen zu lesen. Vielleicht war es doch nicht so schlimm und ich würde es bis zum Ende lesen.

Hey mein Engel,

ich hoffe, dass du dir das hier bis zum Ende durch liest. Wie du bestimmt weißt, befinde ich mich in psychologischer Behandlung. Es tut gut, aber das ist im Grunde nun egal.

Ich weiß, dass ich ziemlich viel scheiße gebaut habe. Nicht nur nach unserer Beziehung, sondern auch währenddessen. Es ist keine Entschuldigung für meine Taten, aber ich habe die Trennung meiner Schwester nicht verarbeitet.

Meine Angst war, dass du mich auch verlässt. Ich habe dir Sachen angetan, die du nicht verdient hast. Du warst immer mehr Wert, als ich gesagt habe. Mir war klar, dass du immer mehr ohne mich warst.

Der Plan dein Leben zu zerstören, war wohl das schlimmste, was ich je getan habe. Du warst glücklich und ich habe es nicht eingesehen. Es war für mich unverständlich, warum du das Glück auf deiner Seite hattest, aber ich nicht.

Es war, wie als ob eine Sicherung durchgebrannt wäre. Eine Sicherung, die dich fast dein Leben gekostet hätte.

Ich hätte Calvin nicht mit reinziehen dürfen. Er trägt bei der ganzen Sache am wenigsten Schuld. Es war meine Schuld, dass er sich so gegen dich gestellt hat. Ich habe ihn erpresst.

Ich habe in den letzten Wochen gelernt, dass man los lassen muss. Das möchte ich auch mit diesem Brief machen. Es wird das letzte sein, was du von mir gehört hast.

Vielleicht kannst du mir verzeihen, aber selbst, wenn nicht ist es in Ordung.

Auch wenn ich nicht in der Position bin mir etwas zu wünschen, wünsche ich mir zumindest, dass du Calvin verzeihst.

Es tut mir leid.

Alex

Mit Tränen in den Augen faltete ich den Brief zusammen. Es musste ihn viel Mut gekostet haben den Brief abzuschicken. Vielleicht sollte ich es nicht sein, aber ich war stolz auf ihn. Er machte Fortschritte.

Ich verstand nur nicht so ganz, womit er Calvin erpresst hatte. Mir war unklar, warum er nicht mit mir geredet hatte. Was war bloß aus uns geworden?

Als die Tür geöffnet wurde, versteckte ich den Brief unter meinem Kissen. Ein grinsender Casper kam rein. Er schien richtig gute Laune zu haben. In seiner Hand erblickte ich eine Tüte.

„Austin schafft es heute nicht, deswegen bringe ich dir neues Knabberzeug mit", hielt Casper die Tüte hoch. „Ich habe noch welches", deutete ich auf die Tüte neben meinem Bett. „So einen Service wünsche ich mir auch, wenn ich irgendwann Mal im Krankenhaus sein sollte", lachte Cas.

Mit hochgezogenen Augenbrauen schaute ich ihn an. Manchmal grenze es für mich schon an ein Wunder, dass er durch seinen Alkoholkonsum noch nicht im Krankenhaus war. Schließlich nahm ich die Tüte an mich, um sie zu der anderen zu stellen.

„Warum hat Austin keine Zeit?", wollte ich wissen. „Sehe ich aus wie sein Babysitter? Meine Aufgabe war nur dir die Tüte vorbei zu bringen und dafür zu sorgen, dass du nicht vereinsamst", hob Casper seine Hände. „Super", murrte ich.

Tatsächlich wollte ich ein wenig allein sein, um über den Brief nachzudenken. Zwar wollte Alex damit loslassen, aber vielleicht erwartete er trotzdem eine Antwort. Ich wusste noch nichtmal, was ich darauf antworten sollte.

Mir wurde klar, dass dieser Brief mich tagelang beschäftigen würde. Genau so führte es mir vor die Augen, dass Alex noch tief im innerem der gleiche, wie vor unserer Beziehung, war. Er fing sich wieder an die Person zu verwandeln in die ich mich Mal verliebt hatte. Die Person, der ich alles anvertrauen konnte.

Aber jetzt hatte Austin diesen Platz. Er würde den auch nicht mehr so einfach abgeben. Sein Vorteil war es, dass er das nicht machen musste. Ihm ganz alleine gehörte dieser Platz.

„Möchtest du ein wenig raus?", wollte Casper wissen. „Gerne", lächelte ich.

Nach einer Viertelstunde saßen wir draußen auf einer Sitzbank. Kurz überlegte ich, ob ich Casper von dem Brief erzählen sollte, aber entschied mich dagegen. Lieber wollte ich erst mit Austin darüber reden, aber es musste auch ein klärendes Gespräch mit Calvin her.

„Du bist sehr abwesend", fiel Casper auf. „Nicht so mein Tag", zuckte ich mit den Schultern. „Von den Schmerzen her oder prinzipiell?", wollte er wissen. „Prinzipiell. Schmerzen gehen mittlerweile voll klar", meinte ich.

Ich bekam kaum noch etwas gegen die Schmerzen, aber es war mir recht. Die ersten Tage hatte es mich so umgehauen, dass ich kaum etwas mitbekam. Man konnte mir manche Sachen fünf Mal sagen und ich fragte nochmal nach.

„Fängst du eigentlich wieder mit Lacrosse an, wenn du wieder Sport machen darfst?", interessierte Casper sich. „Ich dachte, dass sich Golf entspannter und ungefährlicher anhört", lächelte ich. „Also hängst du Sport an den Nagel", schloss er durch meine Aussage, wodurch ich nickte.

Vor Jahren hatten wir uns Mal über Golf witzig gemacht, dass es kein richtiger Sport wäre. Wir hatten vereinbart, wenn wir beide mit Lacrosse aufhören, dass wir mit Golf anfangen. Es war irgendwie eine witzige Vorstellung, aber ich dachte nie, dass es so weit kommen würde.

„Beim Golf kann man wenigstens trinken", grinste Casper. „Bleib nüchtern, du Idiot", zog ich meine Augenbrauen hoch. „Bin ich, seit Wochen", legte er seine Hand schwörend auf die Brust. „Trotzdem müssen wir feiern gehen, sobald du wieder kannst", deutete er auf mein Bein. „Kann noch etwas dauern", lächelte ich.

Es war nur noch eine Woche, bis zu meiner Entlassung. Dann hätte ich die ganzen fünf Wochen überlebt. Jeden Tag machte ich einen kleinen Fortschritt. Die Krücken bräuchte ich leider noch eine ganze Zeit, bis ich mein Bein wieder komplett belasten durfte.

„Vor ein paar Monaten dachte ich nicht, dass das Leben so schön ohne Alkohol sein könnte", gab Casper zu. „Die Trennung deiner Eltern hat dir gut getan. So viel Druck ist weggefallen", meinte ich. „Es war die richtige Entscheidung bei Dad zu bleiben", fiel ihm auf, wodurch ich nickte.

Manchmal fühlte es sich noch wie gestern an, dass er verzweifelt in meinem Zimmer stand. Nicht wusste, wie er sich entscheiden sollte. Es war der Abend an dem wir mit Lina, Riley und Austin gegrillt hatten. An dem Tag dachte ich nicht, dass ich Austin jemals so Nahe stehen würde. Wenn aus dem Nachbarn, der sich keine Vorhänge kaufen wollte, der feste Freund wurde.

Der Verrat in PersonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt