1. Regentropfen sind wie Tränen

31 8 9
                                    


Sie stand am Fenster, die blassen Finger auf die kalte, spiegelnde Scheibe gelegt. 

"Yuna?" Die Angesproche wandte sich langsam um. "Wir müssen reden."

Das Klassenzimmer war leer, bis auf Yuna und die Lehrerin. Der Schultag hatte bereits vor fünf Minuten geendet. 

Die Lehrkraft ergriff das Wort. "So kann das nicht weitergehen, Yuna." Sie platzierte eine Akte vor sich auf den Tisch und öffnete sie. "Ist dir bewusst, wie oft du dieses Jahr bereits gefehlt hast? Unentschuldigt?"
Yuna hob lediglich eine Braue und legte den Kopf schief. Ihr Blick wanderte über die Liste und ein kleines, herausforderndes Lächeln erschien auf ihren Lippen. "Ich denke, meine Noten sprechen für sich. Ich sehe  schlichtweg keinen Sinn darin, meine Zeit hier zu vergeuden, wenn ich doch eigentlich besseres zu tun habe." Was für eine Lüge. Eine dreiste, fette Lüge. Ihr Fehlen hatte einen ganz anderen Grund.
"Ach so? Und ist dir auch klar, was das für Konsequenzen nach sich ziehen könnte?" Strenge schwang in den Worten der Frau mit. Das war nicht die erste Konversation dieser Art, die sie mit der Schülerin zu führen hatte. Unangenehme Stille war die Antwort.

"An deiner Stelle würde ich mir das noch mal gut überlegen." Damit war das Gespräch beendet.

Als Yuna das triste Schulgebäude verließ, fing es plötzlich an zu regnen. Wie passend, fand das Mädchen. Mit ihrem sonderbaren kleinen Grinsen auf den Lippen hob sie den Kopf, um in die schweren grauschwarzen Wolken zu blicken. Sie hatte keinen Regenschirm dabei, doch es kümmerte sie nicht, dass sie nass wurde. Generell gab es kaum etwas, das sie kümmerte. Genauso wie es niemanden interessierte, wie es ihr ging.
Was gab es schon besonderes an ihr? Ihre Farben waren schon lange verblasst. Yuna sah die Welt nur noch durch eine schwarze Brille.

Eine nasse Katze flitzte an ihr vorbei und schüttelte sich, nur um direkt wieder unter die prasselnden Regentropfen zu gelangen. Yuna gefiel die Ironie. Sie fing langsam an zu gehen.

Der Asphalt unter ihren Füßen stand an manchen Stellen unter Wasser, das Mädchen trat mit Absicht in die Pfützen. 

Mittlerweile war sie triefend nass und ihr Ziel war noch immer nicht in Sicht. 

Als sie an einer Kreuzung angelangt war, verstärkte sich der Regenfall nur noch mehr. Ohne auf das grüne Licht der Ampel zu warten, überquerte sie die Straße. Ohne Eile, in ihrer Geschwindigkeit. Autofahrer hupten wütend, manche bremsten scharf. In der Mitte blieb sie schlichtweg stehen und breitete die Arme aus. 

"Mädchen! Beweg dich!" Verärgerte Stimmen wurden laut. 

Yuna scherte sich nicht darum. Sie warf den Kopf nach hinten und begann, sich im Kreis zu drehen. Immer schneller. Einer dar Autofahrer entstieg seinem Gefährt und kam rasch auf sie zu. Er war wütend, dass das seltsame Mädchen die Straße blockierte, aber auch besorgt. Er hatte selbst Kinder. "Hey!" Er packte sie an den Schultern. "Alles in Ordnung bei dir?" Yuna gab keine Antwort. "Was fällt dir eigentlich ein?!" 

Der Mann war verwirrt. Mit dem Mädchen schien etwas nicht zu stimmen. Noch immer hielt sie den Blick gesenkt. Er hob ihren Kopf an, um ihre unmittelbare Aufmerksamkeit zu bekommen. "Stimmt etwas nicht?"

Ein leises Lachen entkam Yunas Lippen. Das Geräusch perlte von ihren Lippen ab, erst leise, dann immer lauter. Sie konnte gar nicht aufhören.

Erschrocken ließ der Mann sie los und trat zurück. 

Endlich schaute sie auf und sagte: "Alles bestens..." Sie lachte weiter. Kleine Tränen rammen aus ihren Augenwinkeln, während ihr Gelächter weiter die wortlose Stille füllte.


Mirror Gaze-Wenn das letzte Licht erlischtNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ