2. Das Leben ist wie ein Sturm-es beginnt und endet genauso plötzlich

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Als Yuna mit zitternden Fingern die Haustür aufschloss, hatte es noch immer nicht aufgehört zu regnen. Die schwere hölzerne Tür des jahrhundertealten Hauses schwang nach innen, als das Mädchen sie mühevoll mit dem Fuß aufstieß. Unheilvolle Dunkelheit empfing sie. Yuna machte sich nicht die Mühe, den Lichtschalter anzuknipsen-sie kannte die Wohnung in-und auswendig. Ihre Eltern waren sicherlich noch arbeiten, beide hatten zeitraubende Bürojobs. Oft kamen sie erst spät in der Nacht heim oder übernachteten sogar woanders. Überdies war Yuna sich ziemlich sicher, dass ihre Eltern sich gegenseitig fremdgingen. Aber was ging sie das schon an?

In ihrem Zimmer angekommen, schleuderte die Schülerin ihren zerschlissenen Rucksack in eine Ecke und warf sich auf ihr Bett. Noch einmal zogen die Ereignisse des Tages an ihr vorbei. Nach dieser Szene auf der Straßenkreuzung war sie einfach weitergegangen, als wäre nichts gewesen.  Für sie war ja auch nichts sonderbares passiert, nur das Übliche. 

Yuna seufzte und drehte sich auf die Seite. Ihr war es gleich, dass ihre nassen Kleider die Bettwäsche durchnässten. Obwohl es lediglich Nachmittag war, war das Zimmer in undurchdringbare Schwärze getaucht, denn Yuna hatte die Jalousien ihrer Fenster immer geschlossen. Langsam fühlte sie, wie der Schlaf ihre Glieder übermannte. Ihr Magen knurrte, sie hatte seit gestern nichts gegessen, doch es war ihr egal. 
Yuna wünschte, sie würde einschlafen und nie mehr aufwachen. So viele Probleme wären dadurch gelöst...

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Ein paar Stunden später wachte sie auf. "Schade..." wisperte sie in die Dunkelheit hinein. Sie wollte nicht wieder in der farblosen Realität verweilen. Einige Minuten blieb sie liegen, dann stand sie mit wackeligen Beinen auf und stolperte zu der Stelle, an dem sie den Lichtschalter vermutete. Von außen hörte sie Stimmen. Sie hörte deutlich die Stimme ihres Vaters heraus, doch sie konnte nicht verstehen, was er sagte. 
In den Taschen ihres Mantels tastete sie nach ihrem Smartphone, um nach der Uhrzeit zu sehen. 23:14 Uhr. 
In der Küche erklang wieder die Stimme ihres Vaters, diesmal lauter und Yuna konnte etwas in seiner Stimme heraushören, dass sie unangenehm schaudern ließ. Etwas stimmte nicht. Mehr als ohnehin schon. Etwas ganz gewaltig Falsches war passiert. 
Yuna hatte eine Ahnung.
Sie riss die Tür auf und eilte zur Küche, wo die Stimmen herkamen. Yuna zögerte. Sie hatte Angst, einzutreten.
1,2...
Tief durchatmen.
3,4..
Jetzt.
Yuna biss die Zähne zusammen und drückte die Klinke runter. Am Küchentresen lehnte ein Kommissar, am Küchentisch saß ein anderer. Ihm gegenüber war Yunas Vater am Tisch zusammengesunken. 
Mit sorgfältig kalkulierter Stimme fragte sie: "Was genau ist hier los?" 
Sie fürchtete sich vor der Antwort.
"Yuna?" Ihr Vater sah auf. "Du bist schon zu Hause?"
"Natürlich bin ich zu Hause, Papa. Sieh mal auf die Uhr. Und jetzt erklär mir, was passiert ist. Warum sind Polizisten bei uns zu Hause?"
Vielleicht waren die Polizisten ja wegen ihrer Aktion auf der Straße da. Sie hätte es einfach nicht tun sollen.
Einer der Officer wollte sich einschalten, doch sein Kollege hielt ihn zurück. Mit einem schweren Seufzer schloss Yunas Vater die Augen und murmelte: "Deine Mutter hatte einen Unfall." Dabei klang seine Stimme irgendwie verloren.
Yunas Hände ballten sich zu Fäusten. "Wie geht es ihr? Kann ich sie sehen?"
Die Polizisten tauschten einen Blick aus. Yunas Herz setzte einen Schlag aus, sie wusste die Antwort schon bevor ihr Vater sie aussprach.
"Sie ist von uns gegangen."
Unerbittlich fragte Yuna weiter: "Kann ich sie trotzdem sehen? Ich möchte mich verabschieden."
Nun klinkte sich der Polizist doch ein: "Leider nicht. Ihr Auto ist mitsamt ihrem Körper verbrannt. Es tut mir leid. Als wir kamen, war es schon längst zu spät."
Ohne ein weiteres Wort drehte Yuna sich um und rannte aus dem Zimmer. Niemand sollte die Tränen auf ihrem Gesicht sehen. Sie schloss sich im Bad ein.
Auf das Waschbecken gelehnt, starrte sie in den Spiegel, der darüber hing. Aus dem Spiegel sah sie ihr verhasstes Gesicht an, mit verheulten Augen. "Hör sofort auf zu weinen." zischte sie sich selbst zu. Natürlich gelang ihr das nicht.

!Triggerwarnung!
Voller Wut rammte sie ihre Faust in den Spiegel, auf ihre ungeliebte Spiegelung. Mit einem lautstarken Klirren brachen die silbernen Scherben aus dem Rahmen. Leuchtend rotes Blut lief ihre schlanken Finger herab, an manchen Stellen war die Haut zerfetzt und verschrammt. 
Wie gebannt beobachtete Yuna, wie die warme Flüssigkeit ihre Hand hinabrann. Doch es fühlte sich irgendwie nicht komplett an. Ihre Hand ergriff eine der Scherben und zitternd führte sie sie zu ihrem Handgelenk. In ihrem Gehirn schrie eine kleine Stimme ihr zu, dass das nicht richtig war, dass sie die Scherbe fallen lassen und sich um Verbandszeug kümmern sollte. 
Yuna blendete die Stimme der Vernunft aus. Sie hörte nichts mehr, spürte nichts mehr außer dem Schmerz, der in ihrem Handgelenk aufflackerte, als sie eine lange Spur mit der Scherbe ritzte. Dieser Schmerz ließ sie wenigstens für einen Moment die Qualen in ihrer Seele vergessen.

Das ist wie high sein, war ihr letzter Gedanke, bevor ihr schwarz vor den Augen wurde und sie auf dem Badezimmerboden zusammenbrach.

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A/n: Mögliche Fehler können auftauchen, ich habe das Kapitel nicht korrigiert, da ich unbedingt heute updaten wollte:
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Hab euch alle lieb:)

Mirror Gaze-Wenn das letzte Licht erlischtWhere stories live. Discover now