9. Kapitel

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   „Lenni." Mit seinem Sunnyboy-Grinsen stand er vor mir und beugte sich zu mir. Was hatte er vor? Was sollte das?

Im nächsten Moment spürte ich seine Lippen auf meinen Wangen und mich durchfuhr ein Gefühl, so berauschend, dass ich mich
zusammenreißen musste, mich ihm nicht an den Hals zu werfen.

„Wie gehts, Liv?" Sein Lächeln wirkte so unschuldig, aber ich war mir sicher, dass er meinen knallroten Kopf amüsant fand. „Bist du alleine hier?" Er stellte direkt die nächste
Frage, weil er wohl nicht mehr damit rechnete, dass ich die erste Frage beantworten würde.

„Ich bin mit Amelie hier. Sie ist dort drüben im Laden" stammelte ich und suchte nach meiner Fassung.
  
Lenni sah sich nach dem Laden um und ich begaffte seinen Oberkörper, der sich durch sein enges Shirt abzeichnete. „Wir kaufen für die Grillparty ein. Gehst du auch hin?"

Warum fragte ich ihn das? Hatte ich den Verstand verloren? Dieser Typ tat mir nicht gut, das stand fest.

„Wenn du möchtest, dass ich hinkomme, bin ich da, Liv." Er zwinkerte mir zu und ich hielt für einen Moment den Atem an. Ich hatte es geahnt. Er war nicht nur attraktiv, sondern
wusste es auch.
  
Hinter ihm trat Amelie aus dem Laden.
„Nein, das geht so nicht", platzte es aus mir heraus. „Ich kann nicht. Ich meine, ich will nicht. Ich will nicht Nummer 137 auf deiner Liste werden."
  
Jetzt sah er überrascht aus. „Du glaubst, ich führe eine Liste?" Er strich sich seine Locken aus der Stirn und ich versuchte, meine Gedanken zu kontrollieren, in denen ich
ihn, warum auch immer, unbedingt berühren wollte.

„Du weißt, was ich meine. Such dir eine andere, du kannst doch jede haben", presste ich hervor und spürte, dass etwas in mir drin am liebsten etwas ganz anderes gesagt hätte.

Lenni verschränkte die Arme vor seiner Brust und musterte mich. Was er wohl dachte? Nach einer Sekunde, die sich wie Stunden anfühlte, sagte er, „Alles klar, verstanden."
  
Was verdammt, hatte er verstanden? Mein Shirt klebte inzwischen unangenehm an meinem glutheißen Körper fest und
das Eis tropfte mir von der Hand. „Wie meinst du das?"

„So wie du es meinst. Ich habe verstanden, dass du nicht auf eine kurze Affäre mit mir aus bist." In seiner Stimme lag kein selbstgefälliger Unterton und das Grinsen war aus seinem Gesicht verschwunden.

„Gut, ich bin nämlich auf gar nichts aus", sagte ich. Im nächsten Moment stand Amelie neben mir. Sicher hatte sie die letzten Worte mitgehört.

„Hallo Lenni, bist du auch shoppen?" Amelies Stimme klang eine Oktave höher und er beugte sich zu ihr, deutete den üblichen Wangenkuss aber nur an.

„Nein", sagte Lenni. „Ich habe mich mit Kommilitonen getroffen. Ich studiere doch in Rennes."

„Ja, stimmt, dass wusste ich. Liv, ich und die Mädels wollen noch was Essen gehen, hast du Lust mitzukommen?"
  
Für diese Frage hätte ich sie am liebsten erwürgt. Lenni sah mich an, dann sagte er, „Ich kann leider nicht. Ich bin mit meinen Brüdern zum Essen verabredet." Dann
verabschiedete er sich wieder mit Küsschen von uns, was mir alle Selbstbeherrschung abverlangte, weil es sich anfühlte,
als machte mich seine Berührung glücklich, wofür es überhaupt keinen Grund gab.
  
Die Crêperie, zu der die Mädels mich führten, lag in der fachwerkverzierten Altstadt, doch ich hatte keine Augen mehr für Historisches. Lenni geisterte mir im Kopf herum und ließ
keinen Raum für irgendetwas anderes.

„Wie findest du das Kleid, Liv?" Amelie riss mich aus meinen Gedanken. Sie hielt mir ein gelbes Sommerkleid vor
die Nase. „Ich habe es gerade im letzten Laden gefunden, nachdem du offenbar vom Shoppen die Nase voll hattest."

„Schön, es ist wirklich schön", sagte ich und versuchte ein Lächeln. Zum Glück war sie nicht so sauer auf mich, wie ich befürchtet

„Es wird Yanis umhauen", sagte Evelyn.

„Wer ist Yanis?", fragte ich.

„Das habe ich doch gerade erzählt, du warst wohl mit deinen Gedanken bei Lenni, oder?" Amelie hob die Augenbrauen und grinste mich an. „Weißt du, früher war ich auch in Leni
verknallt, wie alle hier." Sie winkte ab, als wäre das etwas Surreales. „Aber dann ist diesen Sommer Yanis auf unsere Schule gewechselt. Er ist in der Abschlussklasse, du hast
ihn sicher schon gesehen, der hübsche Dunkelhaarige."

Sie hatte ihre Augen aufgerissen, als erwartete sie, dass ich mich erinnerte. Aber ich hatte keinen einzigen hübschen Jungen in der Schule gesehen und dunkle Haare hatten viele.

„Ich weiß nicht, so viele neue Gesichter."

„Na, auf jeden Fall habe ich erfahren, dass er Single ist und auf die Grillparty kommt." Amelie kicherte wie ein Kind.

„Das ist toll", sagte ich, um nicht wieder negativ aufzufallen.

„Bestimmt kommt Lenni auch." Evelyn zwinkerte mir zu.

„Du solltest dir das mit Lenni nochmals überlegen, Liv", sagte Amelie. „Es gibt Mädels, die würden alles tun, um nur einen Abend an seiner Seite zu sein." Amelie legte ihre Hand
auf meinen Arm. Eine freundschaftliche Geste, über die ich mich freuen sollte, dennoch wäre ich am liebsten weggerannt.

In der folgenden Nacht schlief ich traumlos. Das erste Mal, seit ich in Paimpont angekommen war. In mir keimte die
Hoffnung auf, dass mein Plan funktionieren könnte und die Träume verschwanden, wenn es mir gelang, meine Aufmerksamkeit in ein normales Leben zu stecken. Doch schon
in der Nacht darauf wurde ich eines besseren belehrt.

Das LOS der EwigkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt