48. Kapitel

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„Liv" Ich hörte Samuels Stimme mein Schluchzen durchdringen.

Ich hob den Kopf. Das war nicht möglich.
  
Samuel hatte sich aufgerichtet. Sein Hemd triefte vor Blut. Das konnte nicht sein. Er war tot. Vor weniger als einer Minute hatte er weder Puls noch Atmung.

„Was machst du hier? Wieso bist du nicht ... Die Sirenen! Du hast die Gendarmerie gerufen."

Er griff mit der einen Hand nach seinem Schwert und riss mich mit der anderen vom Boden.

„Komm! Wir müssen hier weg."
  
Wassertropfen wuschen das Blut von seinen Kleidern.

„Du bist tot", hörte ich aus meinem Mund.

„Bin ich nicht, das siehst du doch. Los jetzt, Liv, das können wir später klären."

„Nein!" Ich wich zurück. „Du bist tot. Das kann nicht sein."

„Dafür haben wir keine Zeit." Er packte mich am Arm und zerrte mich mit Gewalt hinter sich her.

„Lass mich los!"
  
Er drehte sich zu mir und packte mich auch am anderen Oberarm. „Das ist kein Spaß! Entweder du kommst mit, oderich kann nichts mehr für dich tun. Sie sind noch hier, Liv."
  
In meinem Kopf drehte sich alles. Er war tot. War er wirklich der Teufel? Ich hob die Hand, um mich wegzudrücken, doch meine Finger berührten seine Wunde. Angst überschwemmte mich wie eine Feuerwalze, meine Muskeln krampften und ich fiel zu Boden.

Samuel fluchte und rief meinen Namen, doch ich war gelähmt und gefangen in der Finsternis. Nur mein Atem, der keuchend zu meinen Ohren drang, erinnerte mich daran, dass ich noch lebte.
  
Atmen, ich musste atmen. Nach einer gefühlten Ewigkeit gelang es mir, die Angst langsam zurückzudrängen, und ich
erkannte schemenhaft Samuels Auto.

Ich lag auf dem Sitz und wollte nach der Tür greifen, doch mein Arm gehorchte nicht.

„Liv, hörst du mich? Ich wollte das nicht, glaub mir."

„Ich will raus", keuchte ich.

„Ich weiß, es tut mir leid. Sie folgen uns und ich kann sie nicht abhängen. Wir müssen gleich raus aus dem Auto und laufen. Glaubst du, du schaffst das?"
  
Ich starrte ihn an. Wieso lebte er?

„Ich will Antworten."

„Ich weiß." Sein Gesicht war noch verschwommen vor meinen Augen, doch ich fühlte, dass meine Sinne wiederkehrten.

Im nächsten Moment bremste er den Wagen ab. Vor uns lag das Seeufer unterhalb der Schule. Er zog den Dolch, den ich mit Lenni entdeckt hatte, aus dem Handschuhfach.

„Steig aus und lauf zur Abtei."

Ich hievte meinen erstarrten Körper aus dem Wagen.

Samuel hingegen sprang heraus, als wäre nichts geschehen. Er ließ sein Schwert und
den Dolch ins Gras fallen.

„Los, lauf!", rief er, doch ich bewegte mich nicht.
  
Was hatte er vor? Mittlerweile regnete es stark. Samuel schüttelte den Kopf, als er sah, dass ich nur dastand, dann schob er das Mercedes Coupé von hinten an, so dass der sündhaft teure Wagen mehrere Meter in den See rollte und langsam sank.

Mein Kopf war noch nicht klar, aber mir war bewusst, dass es leichter aussah, als es hätte aussehen müssen. Dann hob er sein Schwert und den Dolch vom Boden auf und zog mich mit sich in Richtung Abtei.

Im Kirchenschiff war es dunkel, nur die Gebetskerzen brannten.

Samuel hatte mich losgelassen und stand, wie er es so oft tat, reglos da. Es sah aus, als versuchte er, durch den prasselnden Regen etwas zu hören.

Das LOS der EwigkeitWhere stories live. Discover now