29. Kapitel

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Auf dem Konzertgelände war die Hölle los. Aber Amelie trug etwas extrem Pinkes mit viel Dekolleté, so dass sich die anwesenden Jungs nach ihr den Kopf verdrehten und uns den
Weg freimachten.

Mit Evelyn und Louis trafen wir uns vor der
Bühne, die auf einer Art Steg über dem See thronte. Rings um das Gelände, das von allen Seiten von Wald umgeben war, leuchteten farbige Strahler den Platz aus und weiter hinten konnte man an Ständen Getränke und Snacks kaufen.

Kurz nach unserer Ankunft begann die erste Band zu spielen und die Mädels fingen an zu tanzen. Ich sah mich nach allen Seiten um. Lenni und Samuel waren nicht zu sehen.
Auch meine Verfolger oder Paul entdeckte ich nirgends. Die Unruhe in mir drin fühlte sich wie körperliche Schmerzen an.

Irgendwann tauchte Sophie aus der Masse auf und erzählte, dass Paul krank sei und nicht kommen könnte. Die anderen fanden das nicht ungewöhnlich, doch ich machte mir Sorgen,
nachdem was ich von der Lacour erfahren hatte. Ich fühlte mich schuldig. Wer weiß, was Samuel ihm angetan hatte, womöglich war er auch in der Psychiatrie gelandet.

Die Musik um uns herum dröhnte immer lauter, sodass eine Unterhaltung kaum möglich war. Amelie hatte Yanis gesichtet und er küsste sie zur Begrüßung auf den Mund, was sie mit
einem triumphierenden Lächeln kommentierte.

Mittlerweile grölten alle lauthals, die mir unbekannten Songtexte mit und ich fühlte mich immer unwohler. Ich kämpfte mich aus der Menge und kaufte mir ein Bier. Es war dunkel geworden, doch das Scheinwerferlicht erhellte die Tanzenden, die zu einer surrealen Masse verschwammen.

Irgendwann wechselte die Band, doch für mich klangen die Songs alle gleich. Ich suchte die Menge nach Lenni ab, ohne Erfolg. Mit dem inzwischen dritten Bier in der Hand begann
ich mich zu fragen, was mit mir nicht stimmte.

Alle hier amüsierten sich, während ich darauf wartete, dass ein Mann, den meine Lehrerin für den Teufel hielt, mir Männer vom Hals
schaffte, die mich verfolgten, weil ich von Lennis Küssen abhängig war. In was war ich hier hineingeraten? Und was, verdammt nochmal, war mit mir los? Warum konnte ich nicht wie Amelie sein? Ich sah mich nochmals um. Weder meine Verfolger noch die Bernetts waren zu sehen.

So durfte das nicht weiter gehen. Im Kopf spürte ich schon den Alkohol, wieder einmal zu viel. Das würde jetzt aufhören, ich würde
mich jetzt amüsieren und wenigstens so tun, als wäre ich normal.

Ich musste schieben und drängeln, hatte aber bald die anderen erreicht. Amelie, die sich sicher war, dass mein Absondern davonkam, dass Lenni nicht aufgetaucht war, versuchte mich aufzumuntern. Um nicht länger mit ihr reden zu müssen, was bei dieser Lautstärke so und so kaum möglich war, begann ich zu tanzen. Es war nach 23 Uhr und ich hoffte, dass Samuel meine Verfolger vielleicht woanders zur Rede gestellt hatte, als ich Lenni sah.

Er bahnte sich einen Weg durch die Menschenmasse. Zwischen all der tanzenden Dorfjugend war es überdeutlich, wie viel eleganter und schöner er war. Ich war glücklich, ihn zu sehen, und wünschte mir, dass er bleiben würde. Doch schon kurz bevor er mich erreichte, bemerkte ich den Ausdruck in seinen Augen. Er war zwar körperlich hier, aber geistig woanders. Sein Mund war zusammengepresst und die Art, wie er sich durch die Massen kämpfte, ließ seine sonst
übliche Lockerheit vermissen.

„Hallo Liv, schön dich zu sehen." Sein Atem an meinem Ohr fühlte sich vertraut an. Doch auf den erhofften Begrüßungskuss wartete ich vergeblich. Stattdessen sah er sich um und sein Blick ruhte für einen Moment auf Amelie.

„Ich kann nicht bleiben, aber ich wollte dich kurz sehen." Ich nickte und erkannte durch eine Lücke zwischen den Tanzenden, Samuel und Magnus, die am Waldrand warteten.

„Ich melde mich morgen bei dir, ok? Gehe nicht allein heim, versprochen?" In meinem Kopf drehte es sich und ich musste mich zwingen, erneut zu nicken.

Der Lärm um uns herum verschluckte seine letzten Worte und ich konnte nicht anders und hielt ihn am Arm fest. Ich hatte ihn so noch nie erlebt. Er ähnelte zum ersten Mal seinen Brüdern.

Ich starrte ihn an, als er sich nochmals zu
mir umdrehte. Statt etwas zu sagen, streichelte er mir übers Haar und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. Dann drängte er sich durch die Menschenmasse und hielt auf den Waldrand zu. Das Gefühl seiner Lippen an meiner Stirn hatte etwas seltsam Endgültiges.

Mein Blick fiel auf den Glatzkopf und den Rothaarigen, die Lenni und seinen Brüdern in den Wald folgten. In meinem Kopf tauchten unerwartet Bilder aus meinen Träumen auf und die Menschen um mich herum verschwammen zu einem undefinierbaren Meer, das mich von Lenni fernhielt. Was war,
wenn ihm etwas passierte? Dann wäre ich schuld.

Plötzlich sah ich vier weitere Männer, an der gleichen Stelle in den Wald hineinlaufen. Ich kannte sie nicht und doch waren sie den anderen Männern seltsam ähnlich. Drei von
ihnen hatten dieselben, länglichen Sporttaschen umhängen, die ich schon beim allerersten Mal an meinen Verfolgern
gesehen hatte.

Gehörten sie dazu? Wusste Samuel davon? Verdammt! Ich musste Lenni warnen. Eilig zog ich mein Handy heraus und wählte seine Nummer an. Ausgeschaltet. Neben mir knutschte Amelie mit Yanis rum. Ich zog Yanis grob von ihr weg.

„Ich muss nach Hause. Es geht mir nicht gut", schrie ich ihm ins Ohr. „Du bringst Amelie später heim. Ok?"

Yanis nickte und bevor Amelie etwas sagen konnte, drängte ich mich durch die Menge. Ich musste hinterher in den Wald. Mir war klar, dass es schwer werden würde, die Bernetts
einzuholen, aber wenn ich dranblieb, konnte ich im Notfall die Gendarmerie rufen.

Die Männer waren schon zwischen den Bäumen verschwunden und als ich den Wald erreichte, war niemand mehr zu sehen.

Die Musik war so laut, dass es unmöglich war, etwas zu hören. Ich stolperte geradeaus, oder was ich dafürhielt. Irgendwann hörte ich die Musik nur noch aus der Ferne. Es war stockdunkel und ich zog mein Schlüssellicht heraus.

Das Licht reichte einen Meter weit. Um mich herum nahm ich nur Bäume und Sträucher wahr. Dieser Wald war unheimlich. Überall war dieses Rauschen und Rascheln und kühl war mir inzwischen auch. Im dünnen Licht meiner Schlüsselleuchte wirkten die Bäume gespenstisch. Was hatte ich mir dabei
gedacht, im Dunkeln in den Wald zu gehen?

Nach einer Weile konnte ich nicht mehr mit Bestimmtheit sagen, woher ich gekommen war. In nüchternem Zustand wäre ich nicht so dumm gewesen.

Orientierungslos irrte ich herum. Dann, nach einer unendlichen Weile, glaubte ich, ein metallisches Klirren zu hören. Ich hielt die Luft an und lauschte. Tatsächlich! Es wiederholte sich in schnellen Abständen. Ein Geräusch, wie
wenn Metall auf Metall schlägt.

Ich wusste, was so klang, ich hörte es jede verdammte Nacht in meinen Träumen, doch
das war nicht möglich. Das konnte nicht sein.

Ich ging in die Richtung, aus der das Geräusch kam und als es lauter wurde, löschte ich das Licht. Vor mir wurde es immer heller. Irgendwann erkannte ich eine Lichtung mitten
im Wald, die durch Fackeln beleuchtet wurde. Ich versteckte mich hinter einem Busch und durch die Zweige sah ich sie.

Das LOS der EwigkeitWhere stories live. Discover now