Rückzugsort

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Die Stützbalken des Gebäudes knacken mit dem Gewicht der ihnen obliegenden Stockwerken und des Faktes, dass sie abgebrannt nicht mehr viel tragen können. Mit einem lauten Poltern bricht der erste Stützbalken und somit kippen die oberen Stockwerke seitlich weg. Das Feuer erhellt die sonst so dunkle Umgebung und die Funken fliegen herum, als alles auseinanderkracht.
Eine Seele macht sich bemerkbar und Alucard verdreht die Augen, bevor er seufzt. Diese ältere Dame, in seiner Seelenhölle, war nichts mehr als ein Kollateralschaden beim vorletzten Angriff und anstatt sich dem hinzugeben, was auf sie zukommen könnte, verhält sie sich unnatürlicher als alle anderen.
Sie nervt ein wenig, so wie sie dort in dieser Extra-Dimension herumläuft und sogar seine Soldaten, die er damals verschlang, auf Trab hält. Das unheimliche... die hören auch noch auf die alte Schabracke. Einerseits würde er sie gern rausschmeißen, andererseits bringt er es irgendwie nicht übers Herz. Denn seine Soldaten scheinen sie zu mögen und er muss nicht noch mehr leid bringen als eh schon und sie von seinen Leuten entfernen.
Er hört ihre Stimme so oft in seinem Kopf, sie gibt ihm ganz schön Kontra und belehrt ihn. Oder versucht es zumindest, aber meistens funktioniert ihr ‚musst du ihn wirklich umbringen du Jungspund?!' eben nicht.
Nur erwischt er sich dabei, wie er hin und wieder sogar dieser Stimme nachgibt und die Person am Leben lässt! Wobei sich das im Nachhinein eigentlich immer als Glücksfall erweist. Somit ist er wirklich am überlegen, ob er nicht öfters auf diese alte Frau hören sollte. Aber auch nur am überlegen, die soll ihm keinen Gottkomplex da drin bekommen. Und auch fragt sie ihn ständig, ob sie was für ihn kochen soll. Er ist ein Vampir, das weiß sie... wieso soll er menschliche Nahrung zu sich nehmen, die ihm Übelkeit bereitet? Sein Körper verträgt so etwas einfach nicht mehr! Aber ständig hört er ein ‚Gottchen bist du dünn, mein Junge. Iss doch wieder etwas!' oder ähnliche Varianten davon. Er kennt ihren Namen, aber viel zu tun hatte er sonst nicht mit ihr und schon wieder murrt sie, wie schlimm es wäre wenn ihre eigenen Kinder so dünn ankommen würden, hätte sie welche gehabt. 

Alucard reißt der Geduldfaden und er holt sie vor dem brennenden Gebäude, mit einigen Leichen darin, aus der Seelenhölle und mustert sie kurz, bevor er auf den Schutt deutet. „DAS ist mein Werk, Mensch. ICH bin ein tödliches Monster. Ich brauche keine menschliche Nahrung um klar zu kommen, das brauche ich schon seit Jahrhunderten nicht mehr und-"
Abrupt verstummt er, als er einen Schlag auf seinem Hinterkopf spürt und schon fast geschockt zu der alten Frau neben sich sieht. Die senkt ihren Gehstock wieder und schnaubt entrüstet. „Ich habe dir mehr als einmal gesagt, dass du mich Oma Gertrude nennen sollst, du unterernährter Wicht!" Dann seufzt sie und lässt die blauen Augen über das brennende Gebäude schweifen. „Bring mich zu einer Küche und dann wirst du kein Blut mehr brauchen. Was du brauchst, ist ein richtiger Braten!"
Sich den Nasenrücken reibend muss sich Alucard immer wieder selbst dazu bringen, ruhig zu bleiben. „Ich habe keine Nerven dafür, Mensch. MERKEN Sie endlich, dass Sie mit-"
Diesmal knallt der Gehstock gegen sein Knie.
„Oma Gertrude, du unhöflicher Bengel!" Die weißen Haare sind in einem strengen Dutt zusammengefasst und auch wenn sie klein ist und vornübergebeugt auf ihrem Gehstock nach vorn wackelt wenn sie geht, sie ist eine Klasse für sich. Selbst für Alucard.
Fassungslos starrt er sie an, das linke Auge zuckt. „Unhöflich? ICH? WER schlägt mich die ganze Zeit!"
„Ja, weil du nicht auf mich hörst!" Langsam schüttelt sie den Kopf und mustert ihn von unten. „Ich habe dich schon so oft nach einer Küche gefragt, all die Leute da in diesem komischen Raum sind so lieb und nett und ich will ihnen doch nur etwas gutes kochen... Aber du gibst mir ja nichts!"
Der Urvampir würde gern anfangen zu lachen, fürchtet aber irgendwie diesen verdammten Gehstock. Für ihr gebrechliches Alter, 86 Jahre soweit er weiß, ist die wirklich flink damit. 

„Seelen, wie Sie jetzt eine sind, müssen nichts mehr essen. Ich weiß nicht einmal, ob ihr das vertragt." Oma Gertrude stellt sich näher zu ihm und tätschelt ihm den Unterarm. „Das hat doch nichts mit Nahrungsaufnahme zu tun, mein Lieber. Es geht um das Wohlgefühl, wenn du noch weißt wie sich das anfühlt. Wenn man etwas essen kann, fühlt man sich sicher und geborgen und ich will, dass sich alle sicher und geborgen fühlen. Auch du."
Rührende Ansprache, die bei Alucard jedoch abprallt. „Ich fühle mich sicher und geborgen, wenn ich allein unterwegs bin und meine Ruhe habe. Und da unten muss man sich nicht sicher oder geborgen fühlen, schon einmal darüber nachgedacht? Tch..."
Er reibt sich die Schläfe und macht eine wegwerfende Handbewegung. „Gehen Sie zurück, nerven Sie die anderen." Entrüstet hebt die ältere Dame den Kopf. „Ich nerve niemanden, sie sind alle freiwillig-"
Doch da wird sie schon in den Schatten gezogen und Alucard verzieht entgeistert das Gesicht. Er weiß am besten, dass sie da unten niemanden nervt. Aber ihn nervt sie hier oben.

Demonic ArtefactsWhere stories live. Discover now