3. Kapitel: Berg oder Tal?

51 4 10
                                    

Am nächsten Tag, ungefähr zur Mittagszeit, trug das Wispern des Windes Amina eine erschreckende Nachricht zu. So erschreckend, dass sie stehen blieb, im gleichen Moment wie Legolas.
Als Elben spürten sie es beide.
"Nazgûl.", sagte der Elbenprinz. "Zwei. Knapp hinter uns.", ergänzte Amina. Aragorn zog sein Schwert, genau wie Boromir, Gimli hob kampfbereit seine Axt, doch Gandalf schüttelte den Kopf. "Nein. Eure Waffen werden euch nichts nützen. Nicht gegen die Nazgûl." "Können wir sie denn nicht einfach im Kampf besiegen?", protestierte Gimli. Amina spürte, dass der Ring leicht zitterte und schluckte. "Er ist hier. Er ist einer der beiden.", wisperte sie. "Wer?", fragte Boromir und schob langsam sein Schwert wieder in die Scheide. "Sauron?" "Sauron ist kein Ringgeist.", warf Aragorn ein. "Nein.", erwiderte Legolas und wandte den Kopf. "Es ist der Hexenkönig von Angmar. Der Anführer der Ringgeister." "Wir können diesen Kampf nicht gewinnen. Darum: Suchen wir Deckung. Und vor allem: Beschützen wir die Ringträgerin.", kommandierte Gandalf. Boromir blickte ihn an, sah aus, als wollte er erneut den Vorschlag bringen, den Ring doch einfach ihm und somit Gondor zu überlassen, doch dann schwieg er doch. "Ringträgerin. Die Bäume hier sind hoch.", der Sohn des Truchsess von Gondor strich sich die Haare aus dem Gesicht. "Der beste Schutz für dich ist, darauf zu klettern." Kurz erwiderte Amina seinen Blick schweigend, dann begann sie, mit der ganzen Eleganz und dem ganzen Geschick der Elben, eine hohe Eiche zu erklimmen.
Innerhalb von Sekunden war sie hoch oben und sah, wie Aragorn, Gandalf, Boromir und Gimli sich in eine Wurzelhöhle flüchteten. Sie dankte den Sternen dafür, dass die Bäume belaubt waren. Im Winter hätte sie sich kaum ein auffälligeres Versteck suchen können. Aber jetzt, im Sommer, war es perfekt. Moment... Sie zog die Augenbrauen zusammen und ließ ihre scharfen Augen umherhuschen. Wo war Thranduils Sohn? Der Wind wisperte ihr abermals die Anwesenheit der beiden Nazgûl zu. Sie kamen rasch näher und Amina meinte schon, das Trommeln von Hufen hören zu können, wie einen dunklen Herzschlag. Als sie prüfend den Kopf wandte, fuhr sie zusammen und stieß vor Schreck einen zischenden Laut aus. Denn hinter hier kauerte Legolas, mit funkelnden Augen. "Bei Sil'ans Strahlen.", hauchte Amina. "Was soll das denn werden?" "Die Bäume sind sicherer als der Boden.", antwortete der Prinz der Waldelben. "Außerdem ist von hier oben besser zu hören, woher die Nazgûl kommen." "Von da.", gab Amina zurück und deutete mit dem Kopf nach links. Offenbar lauschend legte der Sohn des Waldelbenkönigs den Kopf schräg und nickte dann. "Absolut. Sie kommen." Schweigend wandte Amina den Blick in die Richtung, aus der die Nazgûl kommen würden und biss sich vor Anspannung auf die Lippen. "Cala.", murmelte sie auf Elbisch. "Du hast mir viele treue Dienste geleistet. Doch dieses Mal kannst du mir nicht helfen." Als ein kreischendes Wiehern durch den Wald hallte, spannte Amina sämtliche Muskeln an. Die Tiere verstummten. Die Nazgûl kamen. Das metallene Klirren ihrer Rüstung war zu hören, der schwere Hufschlag ihrer beiden Pferde. Sofern man bei diesen Wesen von Pferden sprechen kann., dachte Amina und beobachtete aufs Äußerste angespannt, wie die Nazgûl ihre Reittiere dort zügelten, wo einige Minuten zuvor noch die Gemeinschaft des Ringes gestanden hatte. Die, durch die Rüstung silbrig glänzenden, Köpfe wandten sich hier hin und dort hin. Die Aura der beiden sagte Amina deutlich, dass jener Nazgûl, der ein bisschen weiter weg von ihrem Versteck stand, der Hexenkönig von Angmar war. Sie spürte ihren Herzschlag bis zum Hals, vor allem, als sie urplötzlich das brennende Verlangen verspürte, den Ring an ihren Finger zu stecken. Nein. Nein, nein, nein. Wenn sie das tat, das war Amina klar, würden die Nazgûl und Sauron das spüren können. Nicht!, befahl sie sich selbst erbittert, umklammerte den Ast vor ihr so fest mit allen zehn Fingern, dass es schmerzte. Doch sie war machtlos und konnte nichts anderes tun, als hilflos mit anzusehen, wie ihre linke Hand unaufhaltsam zum Ring an seiner Kette wanderte. Nein! Ich will nicht! ICH WILL NICHT!, fuhr sie sich selbst an, kämpfte verzweifelt darum, die Kontrolle über ihre Hand wiederzugewinnen. Just in dem Moment, als ihre schlanken Finger sich um den Ring schlossen, schwangen sich die Nazgûl unter ihnen wieder in ihre Sättel und ritten davon. Lautlos atmete Amina aus und ließ die Hand sinken. Dann sprang sie, machte ein Salto in der Luft und landete geschickt am Boden. Sie strich sich die schwarzen Haare aus dem Gesicht und sah, dass die anderen Gefährten (einschließlich Legolas, der den gleichen Weg hinab nahm wie sie und genauso elegant landete) auch aus ihrem Versteck kamen. "Das", sagte Aragorn "war sehr knapp."
"Der Ring, Amina. Hast du etwas gespürt?", fragte Gandalf, ohne weiter auf die Worte des eigentlichen Thronfolgers von Gondor einzugehen. "Ja.", gab Amina zurück und erschauderte. "Es war... unheimlich.", sie streckte die linke Hand vor sich und starrte sie an. "Ich wollte, na ja, was heißt ich wollte, ich wollte eben nicht... Der Ring wollte unbedingt von mir benutzt werden, lass es mich so sagen. Wenn die Nazgûl fünf Sekunden später weggeritten wären, hätte ich ihn womöglich angezogen." "Also brauchst in Gegenwart der Nazgûl immer jemanden, der auf deine Hände aufpasst?", hakte Boromir nach und Amina konnte nicht einordnen, ob seine Worte spöttisch waren oder nicht. "Das kann ja unser Elbenprinz machen. Nachdem er ihr schon nachgeklettert ist.", warf Gimli ein und bedachte Legolas mit einem Blick. Der wiederum hob eine Augenbraue. "Darf ich euch, wenn es in Ordnung ist, daran erinnern, dass wir nach Mordor müssen?", fragte Amina, als Gandalf schon zu einer Standpauke ansetzte. Der Zauberer sah sie an, nickte und die junge Elbin fuhr fort. "Wir sind nicht zum Spaß unterwegs. Und bevor hier spöttische Kommentare darüber abgegeben werden, dass ich fast den Ring angezogen hätte - bitte, will vielleicht einer von euch ihn in der Gegenwart der Nazgûl um den Hals tragen? Ich glaube nicht, denn das ist keine Erfahrung, die ich empfehlen kann und so schnell wieder erleben möchte. Am Allerliebsten gar nicht mehr, doch fürchte ich, dass das unmöglich ist, da wir nunmal auf Mordor zugehen. Und bevor hier jetzt gleich ein Elben-Zwerge-Krieg ausbricht", sie bedachte sowohl Gimli als auch Legolas mit einem Blick, der so scharf war wie die Klinge ihres Schwertes Cala "hätte ich noch eine klitzekleine Bitte: Verschiebt das bitte, bis der Ring zerstört ist. Dann könnt ihr von mir aus gerne herausfinden, ob Pfeil und Bogen oder Axt effektiver sind. Hat noch jemand etwas zu sagen?"
Stille.
Gandalf lächelte still, Aragorn sah beeindruckt aus und die drei anderen sahen überall hin, nur nicht zu Amina. Nachdem mindestens dreißig Sekunden verstrichen waren, in denen nur das, wiedereingesetzte, Gezwitscher der Vögel zu hören war, sagte Gandalf: "Gehen wir weiter. Der Ring wird nicht nach Mordor fliegen und sich von alleine in die Schlucht des Schicksalsberges stürzen." "Das", knurrte Gimli, während die Gemeinschaft des Ringes die Reise in Richtung Mordor wieder aufnahm "wäre ja auch zu schön." In der Tat, das wäre es. Zu schön, um wahr zu sein. "Ich vermute stark", erwiderte Amina "dass der Ring keine Selbstmordgedanken hegt." Darauf lachte Gandalf tatsächlich. "Nein, das tut er wahrlich nicht, Amina." Nein. Tat der Ring nicht. Alles, was er wollte, war herrschen. Mit seinem Herren, dem dunklen Fürst Sauron.

Die Ringträgerin -Die Macht des Einen- || Herr der Ringe FFWhere stories live. Discover now