13. Kapitel: Ein Hauch von Vertrauen

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Aminas siebter Sinn nahm jeden Windhauch wahr, der durch die Luft strich. Dieser Wald war eindeutig in einem schrecklichen Zustand. Die Rinde der Bäume war schwarz, wie verbrannt, die Pflanzen am Boden tot, verdorrt oder halb verrottet. Lange Fäden von Spinnenweben oder irgendwelchen Flechten hingen von den toten Ästen der Bäume hinab. "Hoffentlich ist es im Düsterwald nicht genauso schlimm.", sagte Legolas plötzlich. Amina warf ihm einen fragenden Blick zu. "Weißt du es nicht?" Der Prinz schüttelte den Kopf. "Nein. Ich war seit 60 Jahren nicht mehr dort." Blinzelnd verarbeitete Amina diese Information, hakte aber nicht nach. "Nach der Schlacht der fünf Heere sagte ich meinem Vater, dass ich nicht mit ihm zurückkommen könne. Nun... er hat es akzeptiert.", fuhr der Elbenprinz fort. Sein Vater. Thranduil. Kurz biss Amina die Zähne aufeinander. "Dann... weiß er gar nicht, dass du ein Teil der Gemeinschaft des Ringes bist?", fragte sie schließlich. Legolas lächelte mit einer Spur von Bitterkeit. "Ich wage zu bezweifeln, dass er überhaupt weiß, dass der Ring wieder aufgetaucht ist. Mein Vater ist der Meinung, alles, was ihn zu interessieren hat, liegt innerhalb der Grenzen seines Reiches. Das außerhalb, Mittelerde... Ist ihm vergleichsweise gleichgültig. Nicht vollkommen, soweit will ich nicht gehen, aber... Es interessiert ihn nur ganz am Rande."
"Ach.", murmelte Amina. "Das ist... seltsam, verzeih meine Ausdrucksweise. Sollte uns Elben das Wohl von Mittelerde nicht besonders am Herzen liegen, da wir doch eine sehr lange Zeitspanne hier zur Verfügung haben?" "Eigentlich schon, da hast du recht. Aber mein Vater ist um Klassen misstrauischer geworden, seit seine besten Krieger ihn hintergingen. Seit dieser Zeit ist er der Meinung, schon innerhalb seines Königreichs genug zu tun zu haben. Zu viel, um sich um die Belangen Sterblicher zu kümmern.", da war die Andeutung von Verachtung in der Stimme des Waldelbenprinzen. "Wenn ich es mir recht überlege... Mein Vater hält sehr viel darauf, unsterblich zu sein. Du hast von der Schlacht der fünf Heere am Erebor gehört?" "Natürlich. Gandalf hat mir davon berichtet.", antwortete die junge Elbin und nickte, während sie ihren siebten Sinn unaufhörlich suchen ließ. "Gut. Während dieser Schlacht ließ mein Vater ungefähr den folgenden Satz verlauten: 'Zwerge sterben. Heute. Morgen. Sie werden immer sterben. Aber wir nicht. Warum unsterbliches Blut vergießen?' Das war... Es hat mich schockiert. Sehr, Amina. Ich meine... Ja, ich bin sein Sohn. Ja, ich hatte lange genug eine zumindest ähnliche Ansicht über die Angelegenheiten außerhalb des Waldelbenreiches. Aber ich bin nicht er." Sachte schüttelte Legolas den Kopf. Darauf schwieg Amina einen Moment lang. "Du hast gesagt", begann sie schließlich "dass dein Vater von seinen besten Kriegern hintergangen wurde. Inwiefern?" "Wenn ich das wüsste! Mein Vater hat es mir nie erzählt. Alles, was er dazu sagte, als ich ihn danach gefragt habe, war: 'Es war eine Schande, Legolas! Abscheulicher, hinterhältiger Verrat!' Mehr nicht und ich habe ihn nie wieder danach gefragt. Vermutlich besser so.", er seufzte, dann blieb er abrupt stehen. Amina verengte die Augen und tat es ihm gleich. "Was ist? Spinnen?" Prüfend ließ sie ihren siebten Sinn tasten, doch da war nichts. "Nein.", der Prinz des Düsterwaldes schüttelte den Kopf. "Ich glaube..." Einige Sekunden lang blickte Amina ihn an. Sie erkannte die langsame Sprechweise von sich selbst. Wenn... "Oh nein!", sagte sie energisch. "Du wirst dem Ring nicht verfallen! Das ist immer noch meine Aufgabe!" "Ich will ihm auch ganz sicher nicht verfallen.", Legolas schüttelte wieder den Kopf. "Aber es ist schwer." "Weiß ich.", erwiderte Amina kurz. Denn tatsächlich hatte die Finsternis des Ringes sich völlig aus ihren Gedanken zurückgezogen und eigentlich war es ein großartiges Gefühl. Aber nur eigentlich, denn der Preis dafür war zu hoch. Viel zu hoch. Ohne länger zu zögern, weil im Falle des Ringes jede Sekunde zählte, streckte sie ihre telepathische Macht nach den dunklen Schlieren des Ringes aus und wob ihre silbernen Funken hinein. Sofort wandte sich die 'Aufmerksamkeit' der Finsternis ihr zu. Lockend zog Amina sich zurück, aber das schien nicht reizend genug. Der Ring konzentrierte seine finstere Energie wieder auf den telepathischen Schutz, den Legolas um seine Gedanken gelegt hatte. Auch ohne wirklich in seinen Gedanken zu sein, war Amina klar, dass der Ring siegen würde. Weil er es immer tat. Der Ring siegte immer. Nein. Nimm mich aber lass ihn in Ruhe!, fuhr sie die Finsternis an. Die Dunkelheit beachtete sie nicht weiter. Nachdenklich zog Amina die Augenbrauen zusammen. "Du willst nicht, Schatz?", knurrte sie und biss sich auf die Unterlippe. "Also gut. Dann spielen wir auf Risiko." Silber glitzernd zog sie ihre telepathische Macht zu sich und zerriss dann ihren Schutz. In weiß-silbernen Flocken und Splittern brach die schützende Schicht zusammen. Jetzt hatte die junge Elbin die Aufmerksamkeit der Dunkelheit des Ringes. Denn diese bemerkte natürlich sofort, dass da ein Verstand vollkommen ungeschützt da lag und das war, wie Amina sich bewusst war, weitaus verlockender als ein Verstand, der erst mühsam erobert werden musste - auch wenn sie nicht sicher wusste, inwieweit Legolas' Schutz noch in Takt war. Doch es war ihr sowieso egal. Sie hatte, was sie wollte. Mit beinahe tänzelnden Tentakeln kam die Finsternis des Ringes zurück. Na komm. Komm. Komm her., dachte Amina. "Komm her. Komm her, mein Schatz.", flüsterte sie. Als die Dunkelheit des Ringes fast da war, wandte Amina ihre Gedanken Sil'an zu.
Hilf mir!, flehte sie.
'Ihr' Stern reagierte sofort. Sein silbernes Licht, oder zumindest ein Abbild davon, erhellte ihre Gedanken und fügte die Splitter ihres Schutzes wieder zusammen. Die dunklen, sich windenden Tentakeln des Ringes zuckten zurück, als das Licht des Sterns des Nordens sie traf und zogen sich an den Rand von Aminas Bewusstsein zurück. Da bleibst du jetzt!, fauchte die junge Elbin den Ring an. An ihren Stern gewandt fuhr sie fort: Danke, Sil'an.
Ein kurzer Moment verging, dann bildete sich wieder eine Reihe von Gefühlen in ihren Gedanken:
Gerne, meine Wächterin. Aber ich kann dir nicht immer so effektiv zur Seite stehen, wenn es um den Einen geht.
Sie lächelte traurig. Ich weiß, mein Stern. Ich weiß. Aber so oft du es kannst, ist alles, was ich brauche.
Erneut verging ein kurzer Moment, bevor sich wieder eine Reihe von Gefühlen bildete, die zu Worten wurden: Jederzeit wieder, meine Wächterin.
Dann schlug Amina die Augen auf und sah direkt in die von Legolas. Der Elbenprinz blickte sie so erschrocken an, dass Amina überlegte, ob sie etwas Schlimmes getan hatte. "Was ist?", fragte sie verwundert. "Mach das nie wieder.", flüsterte er rau. "Amina! Mach das nie wieder, bitte." "Dich vor dem Ring beschützen?", hakte sie leise nach und strich sich die silberne Sternensträhne von der Schläfe. "Doch. Werde ich. Jeden von euch, sofern ich es zu tun vermag." "Du musstest deinen Wall niederreißen.", protestierte der Prinz der Waldelben. "Das ist... Das ist... Ein wahnsinniges Risiko!" "Der Ring ist wahnsinnig.", antwortete Amina. "Er zerstört Seelen, Legolas. Die Seele jedes einzelnen, die er wahrhaftig berührt.", sie verengte die Augen und umschloss den Ring mit ihren Fingern. Er war kalt an ihrer Haut und zitterte leicht. "In jedem von uns schläft die Dunkelheit wie ein Drache, Legolas. Die Frage ist nur, ob sie erwacht oder nicht." Herausfordernd warf sie das Kinn hoch und nagelte seine blaugrauen Augen mit ihren grünblauen fest. "Der Ring lässt das Böse erwachen. Seit dem Moment, da ich ihn zum ersten Mal wirklich in meinem Verstand gespürt habe, ist das Böse in mir da. Ich fühle es. Den Drang, den Ring zu benutzen spüre ich immer - nur ist er meist so unterschwellig, dass ich ihn wunderbar ignorieren kann. Der Ring verwandelt Licht in Schatten. Er wird mich umdrehen, mich umkehren, mein Licht zur Finsternis machen. Ich weiß es. Aber ich wehre mich. Du hast zu mir gesagt, dass wir Elben, als Kinder des Lichts, gar nicht wahrhaftig böse sein können. Und ob wir das können. Jeder kann es. Oder glaubst du wirklich, dass es Ilúvatars Absicht war, mit einem Gedanken einen guten und einen bösen Valar zu erschaffen? Morgoth und Manwe sind Brüder, Kinder desselben Gedanken Erus und doch wurde Morgoth böse. Es hätte jeder der anderen Valars sein können. Nur haben sie alle nie ihre innere Dunkelheit entdeckt, Morgoth schon.", sie blinzelte. "Ich bin keine ehrenhafte Elbin. Ich benutze unsere telepathische Macht zum Kämpfen. Gut, zugegeben, ich habe es bisher noch kein einziges Mal wieder getan. Weil meine Telepathie zu sehr damit beschäftigt ist, den Ring zu bekämpfen. Nun, und obwohl ich mich wirklich nicht für das Sinnbild einer Elbin halte, so bevorzuge ich doch das Licht, ziehe die gute Seite der bösen vor. Aber ich bin die Ringträgerin. Und der Ring besitzt die Macht, die guten zu verführen und umzudrehen. Genau das wird er tun, er tut es bereits. Aufhören wird er erst, wenn er zerstört ist." Nachdem sie geendet hatte, schluckte Legolas schwer und schwieg mehrere Atemzüge lang. "Mir ist es egal, was der Ring mit dir macht. Ich werde dir folgen, wohin auch immer du gehst.", gab er schließlich leise zurück. "Und warum solltest du mir diese Treue erweisen? Du hast keinerlei Grund dazu.", erwiderte Amina sanft. Der Elbenprinz senkte den Kopf. "Du bist die Ringträgerin. Von deinem Erfolg hängt das Überleben, die Freiheit, aller Völker in Mittelerde ab. Außerdem-", er unterbrach sich. Neugierig hob Amina eine Augenbraue. "Außerdem was?", flüsterte sie. Daraufhin richteten sich Legolas' blaugraue Augen auf ihre grünblauen. "Weil...", er zögerte. Dann machte er einen Schritt auf die junge Elbin zu, neigte sich zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr: "Weil du mir auch nicht egal bist." Amina erstarrte und blinzelte heftig, Hitze schoss ihr in die Wangen. Sie schluckte schwer, blinzelte erneut einige Male. "Das ist gefährlich.", murmelte sie dann. "Ich bin die Ringträgerin, Legolas. Der Ring... er wird mich... zerreißen, innerlich töten... er wird... Schon vergessen", sie riss sich zusammen und wich von ihm zurück "er wird mich umdrehen." Selbst ohne die geringste Spur von Sonnenlicht funkelten Legolas' blaugraue Augen und jeder Diamant wäre blass geworden vor Neid. "Das wiederum", entgegnete der Prinz des Düsterwaldes "ist mir vollkommen gleichgültig." "Das ist absolut... verrückt.", stieß Amina atemlos hervor. Nein... Nein... Ich darf nicht... Ich kann nicht... "Verrückt?", der Elbenprinz hob die Augenbrauen und lächelte leicht. "Du nennst es verrückt, ich nenne es... Zuneigung." Oh bei Sil'ans gewaltigen Strahlen!!! NEIN!! NEIN!!! DAS... NEIN!!! Ich darf nicht... Ich kann nicht... Warum eigentlich nicht?! Warum DARF ich nicht, warum KANN ich nicht? Leider kannte sie die Antwort auf diese beiden Fragen zu gut. Viel zu gut. Dennoch... sie konnte sich ihren Gefühlen nicht widersetzen. Zumindest in diesem Moment nicht.
"Amina?"
Sie schreckte aus ihren Gedanken. "Ja, bitte?"
Das diamanthelle Funkeln war aus den blaugrauen Augen verschwunden, nun sah der Prinz des Düsterwaldes sie ernst an. "Danke. Dafür, dass du den Ring von mir weggezogen hast." Amina blinzelte, erwiderte seinen Blick und entschied sich nach kurzem Zögern für ein schlichtes: "Jederzeit wieder." Ein kurzes Lächeln erhellte Legolas' Gesichtszüge, dann zog er sie auf einmal an sich. Erschrocken spannte Amina die Muskeln an, bevor sie es wagte, die Umarmung zu erwidern.
"Wir könnten keine bessere Ringträgerin haben."
"Das hast du schon einmal gesagt.", erinnerte Amina ihn.
Er löste sich von ihr und blickte sie an. "Ich werde es auch immer wieder sagen." Anschließend, wie auf eine stumme Abmachung hin, dachte Amina, machten sie sich wieder auf den Weg, ihre Gefährten zu suchen. Hoffentlich war es noch nicht zu spät.

Die Ringträgerin -Die Macht des Einen- || Herr der Ringe FFWhere stories live. Discover now