[Prolog] Joanne

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𝕰s endete alles, wie es begonnen hatte - mit einem Spaziergang wenige Minuten nach Mitternacht und einem warmen Beutel Null-plus-mit-Schuss

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𝕰s endete alles, wie es begonnen hatte - mit einem Spaziergang wenige Minuten nach Mitternacht und einem warmen Beutel Null-plus-mit-Schuss.

Schon längst war Null-Positiv als häufigste Blutgruppe der USA nichts Aufregendes mehr. Normalerweise zog Joanne, wenn sie die Wahl hatte, eher einen edleren Tropfen wie A-Negativ vor, mit seinen ganz subtilen und doch so integralen süßlichen Noten. Nicht, als es endete, und auch nicht, als es begann.

Wenn die Zeiten hart wurden, dann war es schon immer das Langweilige, das Gewohnte, gewesen, das ihr den meisten Trost spendete. Daher verschlug es sie immer wieder in die Viper, eine schummigre kleine Bar, die weit abgelegen von Las Vegas' chaotischem Nachtleben in eine Seitengasse gequetscht war. Obwohl das bedeutete, dass sie sich kein hochwertiges Blut leisten konnten. Null-Positiv war die einzige Gruppe, die sie anboten, und selbst diese, da war sie sich sicher, streckten sie mit billigem Tierblut. Anders als einige Artgenossen konnte sie den Unterschied zwar nicht schmecken, aber sie merkte wohl, dass es sie wesentlich weniger stärkte. Nichts war besser als frisches Blut, das sie mit Leben und Energie erfüllte, aber das war ihr in diesen Nächten herzlich egal.

Als es begann, schob der Besitzer, Raúl, ihr den Beutel über die Bar entgegen, und versuchte offensichtlich, sie nicht zu berühren, als sie einen makellosen Zwanzig-Dollar-Schein aus ihrer Tasche zog und ihn ihm entgegenstreckte. Er schien zu fürchten, sie könnte ihn anstecken.

Raúl räusperte sich, fühlte sich offenbar ertappt. "Harter Tag?", fragte er, als würde es ihn etwas angehen.

Sie biss eine Ecke des Beutels auf, ließ das Licht von ihren Zähnen blitzen und starrte ihn dabei durch den vollen Kranz ihrer Wimpern an. Mit diesem Blick, das wusste sie, machte sie jedem die Knie weich. Ob aus Bewunderung oder aus Angst, das war ihr egal.

Auch diese Nacht ließ dieser Trick sie nicht im Stich. Das Gesicht des Barkeepers verlor seine Farbe, und plötzlich war er schrecklich beschäftigt damit, einen Zapfhahn zu polieren. Zufrieden wand sie sich wieder ihrem Getränk zu.

Hölle, war das schrecklich. Wo auch immer sie das Blut herkriegten, dort hatte wohl niemand darauf geachtet, dass genug Antikoagulantien enthalten waren - gummiartige kleine Klümpchen schwommen in dem Gemisch. In manchen Kreisen sollte das wohl sogar als eine Art Delikatesse gelten, aber ohne eine Vorwarnung musste Joanne sich bemühen, es nicht wieder auszuspucken.

Raúl beobachtete sie wenig unauffällig aus dem Augenwinkel, als sie sich zwang, den Rest in einem Schluck auszutrinken. Immerhin hatte sie das zwanzig unverschämte Dollar gekostet. Obwohl sie es eigentlich besser hätte wissen sollen, hoffte sie, diese Stümper hatten wenigstens mit dem Alkohol nicht gespart. Sie warf sich ihren Mantel über und trat wieder hinaus in die lauwarme Nacht.

Alles fing an mit einem Schrei, der durch die leere Straße hallte, und dem unwiderstehlichen Gestank von frischem Blut.

Restless | ONC 2024 ✓Where stories live. Discover now