[13] Camille

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𝕭aum um Baum zog am Straßenrand vor dem Autofenster vorbei

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𝕭aum um Baum zog am Straßenrand vor dem Autofenster vorbei.

Mit jedem malte Cam sich aus, wie einfach es wohl wäre, die Kontrolle über das Lenkrad zu verlieren, von der Spur abzukommen. Nur eine Millisekunde, und es wäre nichts als ein tragischer Unfall.

Mit einem Ruck riss sie das Lenkrad herum und parkte an der Straßenseite. Sie presste die Stirn gegen das Lenkrad und atmete tief durch, starrte auf ihr Handy. Ihr Zeigefinger schwebte schon über dem kleinen Telefonhörer unter Félix' Kontakt. Er würde nicht rangehen. Er ging nie ran, immerhin rief Cam ihn nur an, wenn sie zu viel, oder eben zu wenig getrunken hatte. Aber sie wollte auch nur seine Stimme auf der Mailbox hören.

"Camille?", kam Joannes Stimme aus ihrem Lautsprecher. Verwirrt sah sie auf ihr Handy herab. Sie hatte sie angerufen, bevor sie es überhaupt realisiert hatte.

"...Ich kann das alles nicht mehr," gestand sie schließlich.

"Doch," erwiderte Joanne. "Doch, du fährst jetzt zu Timothy und du tust dein Bestes, herauszufinden, wer ihn vergiftet hat, und wir versuchen hier, in dem Fall weiterzukommen. Wir müssen diesen Fall lösen, wir wollen Gerechtigkeit für Timothy und Junis. Und wenn du zurückkommst, nehme ich dich in den Arm und sage dir, dass alles wieder besser wird."

"Wird es das?"

"Ich weiß es nicht. Aber ich werde dich in den Arm nehmen und es dir sagen, bis du es glaubst. Bis dann, Camille."

"Bis dann, Joanne," murmelte sie.

Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, dann hatte sie keine Ahnung, wo Joanne noch versuchen wollte, zu ermitteln. Auf den Überwachungsbildern hatte die Person eine Kapuze tief in ihr Gesicht gezogen, konnte sich immer irgendwie hinter Junis verstecken, und dey hatte die Person offenbar freiwillig eintreten lassen. Die Tastatur hatte man abgewischt, keine Fingerabdrücke irgendwo. Der Test des Bluts in Hades' Maul dauerte noch ewig.

Jede Spur, die anfänglich noch vielversprechend zu sein schien, verlief in der Leere.

Außer eine, und die quälte Cam am meisten.

Junis war mit dem Revolver erschossen worden, der immer im Briefkasten versteckt lag.

-

Moth saß still in seiner Zelle und beobachtete sie genau, als sie eintrat.

"Hallo," sagte sie leise.

Er antwortete nicht.

"Es war nicht Izaiah, ich dachte, das solltest du wissen." Keine Regung in seinem blassen, eingefallenen Gesicht. Er starrte sie bloß an. "Und Junis ist tot."

Schweiß glänzte auf seiner Stirn. "Hast du Fieber?", fragte sie. "Schmerzen?"

Sie schob die Hand zwischen die Gitterstäbe, wollte nur nach seiner Stirn fühlen- und zog sie gerade rechtzeitig zurück, als seine Augen rot aufblitzten und er nach ihr schnappte, versuchte, sie zu beißen.

Tief atmete sie durch. "Du hast mich angebettelt, dich nicht verwandeln zu lassen. Es tut mir so leid, dass ich nie auf dich gehört habe. Bitte glaub mir das."

Wieder konnte sie nur daran denken, wie er ausgesehen hatte, in einem See aus seinem eigenen Blut auf dem kalten Asphalt. Vielleicht war er von Anfang an dazu verdammt gewesen, zu sterben, und wieder hatte Cam es nicht akzeptieren, nicht loslassen können.

Hätte sie ihn verbluten lassen sollen, in ihren eigenen Armen?

Plötzlich sprang sie auf. "Ich bin so schnell ich kann zurück, Moth. Halt durch, ich hab da eine Idee."

-

"Ihr wollt ihn wirklich ausbluten lassen?", hakte Joanne schon wieder nach.

Camille nickte entschlossen. "Was für eine andere Chance haben wir noch?"

"Wenn wir es wirklich hinkriegen, auch den letzten Tropfen Blut in seinem System zu leeren, dann kann ich ihn ein paar Sekunden am Leben halten, in dem wir ihm neues, gutes Blut geben. Das größte Problem wird sein, erstmal an ihn heranzukommen," erklärte Clubs.

Dazu saß Sahra mit im SUV auf dem Weg zu der alten Polizeistation, die die ganze Zeit schon nur blass aus dem Fenster gestarrt hatte, während stille Tränen ihr Gesicht herabliefen. Izaiah hatte sich bis auf wüste Drohungen an Clubs, wenn sie nicht endlich damit herausrückte, wer Junis getötet hatte, auch seit vielen Stunden nicht mehr zu Wort gemeldet, und stattdessen lieber ein paar Möbel und seine Handknöchel zerstört.

Mit keinem Mal wurde der Weg zu den Arrestzellen leichter, vor Allem nicht mit diesem wahnwitzigen, verzweifelten Plan, der an so vielen Stellen schief gehen könnte. Doch sie blieb dabei. Er war alles, was sie noch hatten, und sie würde nicht eher aufgeben, bis sie jede noch so kleine Chance ausgeschöpft hatte.

Sahra hinkte ziemlich schwer. Ein gezerrter Muskel, hatte sie gesagt. Vivien bot ihr ihren Arm an, und zusammen gingen sie den letzten Weg bis vor Moths Zelle, Camille direkt hinter ihnen.

"Tim," murmelte Sahra. "Timmy..."

Er kroch das kleinste bisschen aus der dunklen Ecke hervor, so dass Cam gerade seine misstrauischen Augen erkennen konnte.

Sahra schluchzte auf, ihr Bein knickte unter ihr ein, doch Vivien fing sie auf, stützte sie.

"Sahra," sagte sie plötzlich, den Blick auf ihren Arm fixiert. Der Ärmel war ein wenig verrutscht, offenbarte einen blutigen Verband. "Wie hast du dich nochmal ver-"

"Viv-!"

Zu spät.

Zu spät.

Zu spät!-

"NEIN!"

Gelähmt sah Camille zu, wie Sahra die Waffe aus Viviens Holster zog, und vier Schüsse hintereinander direkt in Moths Stirn abfeuerte, der wie eine Puppe in sich zusammenfiel. Ein fünfter Schuss fiel, als Izaiah sie zu Boden warf.

"Dafür bring ich dich um!", brüllte Izaiah. "DAFÜR. BRING. ICH. DICH. UM!"

Jeden Schrei unterstrich er mit einem weiteren Schlag in ihr Gesicht, der Blut aufspritzen ließ.

Sahra spuckte eine Mundvoll davon aus, sah Cam, so gut sie es mit den aufgeschlagenen Augen noch konnte, an.

"Das war nicht mehr mein kleiner Bruder, Ruiz," keuchte sie. "Das war nur noch eine geschändete Leiche."

Restless | ONC 2024 ✓Where stories live. Discover now