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March 2019
Autumnvale, England

TRIGGERWARNUNG: Gewalt, Kraftausdrücke, Alkoholmissbrauch

J E R E M I A S

DURCH DAS FENSTER eines grauen Einfamilienhauses in einer ärmeren Wohnsiedlung hallten die Glocken der Kirche und schlugen elf Uhr nachts

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DURCH DAS FENSTER eines grauen Einfamilienhauses in einer ärmeren Wohnsiedlung hallten die Glocken der Kirche und schlugen elf Uhr nachts. Die Haustür ging mit einem lauten Geräusch auf, kaum ein paar Sekunden später ertönten unvorsichtige, taumelnde Schritte, die sich in Richtung Treppe bewegten.

Im ersten Stock öffnete sich im selben Moment eine Zimmertür, die früher mal mit unzähligen Pakaten beklebt gewesen war. Ein Junge mit schwarzem, verwuscheltem Haar trat hindurch und näherte sich den Stufen. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck von Furcht und gleichzeitig Bitterkeit, als er seinem Vater entgegenblickte.

Der ältere Mann, der dem Jungen unglaublich ähnlich sah, stützte sich am Treppengeländer und ächzte. Ein Geruch von Alkohol drang seinem Sohn in die Nase, der ihm mittlerweile schon so bekannt geworden war.

»Vater.« Jeremias beeilte sich die Treppen hinunter, als der Mann Anstalten machte, sich zu übergeben - doch als der Junge ihm helfen wollte, stieß sein Vater ihn sofort weg, wodurch Jeremias beinahe sein Gleichgewicht verlor und sich am Geländer festhalten musste.

»Ich brauche keine Hilfe von dir«, zischte Chester Gwon, »Du bist genau so unbrauchbar wie deine Mutter es war.«

Der Blick, mit dem er seinen Sohn anblickte, war gefüllt mit vernichtendem Hass, der Jeremias einen heftigen Stich versetzte - auch wenn er es fast schon gewohnt war. Es gab kaum noch einen Abend, an dem sein Vater nüchtern nachhause kam - und es war nicht selten, dass Chester seine Wut an ihm ausließ. Jeremias bezweifelte sehr, dass sein Vater bemerkte, wie sehr er seinen Sohn verletzte und von sich stieß - Chester wirkte nicht, als würde er überhaupt noch irgendetwas empfinden, schon gar nicht Reue oder Mitgefühl. Nur noch Wut und dieser angestaute, bittere Hass.

Jeremias wusste nicht, wieso er überhaupt noch hier blieb und sich um ihn kümmerte.

Er atmete scharf ein, als sein Vater taumelte und sich kaum ein paar Sekunden später wieder nach vorn beugte, um sich zu übergeben. Jeremias presste die Lippen aufeinander, um ruhig zu bleiben. »Dad, bitte...«

Einige Sekunden Stille vergingen, fühlten sich aber eher an wie Minuten.

Chester hob wieder seinen Kopf und es war, als hätte sich seine Stimmung um hundertachzig Grad gedreht. Er lächelte, doch seine Augen waren gefüllt mit Monotonie. »Du weißt, ich liebe dich, Sohn, ich liebe dich so sehr. Es tut mir alles so unglaublich leid.«

Er drehte sich zu seinem Sohn und machte Anstalten, sich ihm zu nähern, doch der wich kaum merkbar zurück.

Jeremias biss die Zähne zusammen, als er die Tränen spürte, die drohten, über seine Wangen zu laufen. Er schüttelte leicht den Kopf. »Es ist alles okay, Dad. Mir geht's gut. Versuch' vielleicht, ein wenig zu schlafen-...«

»Sag mir nicht, was ich zu tun habe!«, fauchte sein Vater plötzlich und richtete sich auf, eine Faust geballt. »Du glaubst wohl, du bist etwas Besseres als ich.«

»Dad, bitte...« Jeremias' Stimme ging langsam in ein Flehen über. Er wollte doch einfach, dass dieser Albtraum endlich ein Ende hatte. »Ich will dir nur helfen.«

Mit erstaunlichem Gleichgewicht kam Chester auf ihn zu und schloss seine Finger in einem eisernen Griff um Jeremias' Handgelenk. »Ich brauche deine Hilfe aber nicht! Ich brauche dich nicht. Du bist nutzlos!«

Eine Träne rann über das Gesicht seines Sohnes. Jeremias versuchte, seine Hand zu lösen, doch sein Vater schien nun völlig die Kontrolle zu verlieren und stieß ihn erneut zurück. Dieses Mal konnte der dunkelhaarige Junge sich nicht halten und stolperte die letzte Stufe der Treppe hinunter. Gerade so konnte Jeremias sich mit den Händen auffangen und zog scharf die Luft ein, als er auf dem Boden aufkam.

»Dad...«, flüsterte er kraftlos und richtete sich langsam wieder auf, doch Chester war damit beschäftigt, sich die Treppe hinauf zu bewegen.

Jeremias sah ihm hilflos dabei zu und wünschte sich einfach so sehr, dass endlich alles wieder gut sein könnte. Doch ihm war klar, dass es nicht möglich war. Zu viel in dem Verhältnis zwischen ihm und Chester war zerstört wurden seit dem Tod seiner Mutter. Und zu wissen, dass sie niemals gewollt hätte, dass es sich so entwickelte, tat unfassbar weh.

Es war nicht das erste Mal, dass sein Vater ihm gegenüber gewalttätig geworden war, und es würde nicht das letzte Mal sein - dem war Jeremias sich sicher. Er wollte doch einfach nur, dass es aufhörte. Langsam konnte er einfach nicht mehr - physisch und psychisch.

Nachdem er die Treppe gesäubert hatte, lief Jeremias in die obere Etage und blieb vor dem offenen Zimmer seines Vaters stehen. Dieser schlief, tief und fest.

Eine einzelne Träne lief über Jeremias' Gesicht und er schloss leise die Tür, während er innerlich einen Entschluss fasste. Die gesamte Situation zerstörte ihn innerlich. Egal, wie sehr er seinem Vater helfen wollte, egal, wie sehr er ihn liebte, nichts, was er tat, schien etwas zu erreichen. Er konnte einfach nicht mehr hier bleiben.

 Er konnte einfach nicht mehr hier bleiben

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𝗙𝗢𝗥𝗘𝗩𝗘𝗥 𝗬𝗢𝗨𝗡𝗚Where stories live. Discover now