𝟬𝟴 • 𝗛𝗜𝗗𝗘 𝗔𝗡𝗗 𝗦𝗘𝗘𝗞 𝗪𝗜𝗧𝗛 𝗧𝗛𝗘 𝗣𝗔𝗜𝗡 𝗬𝗢𝗨 𝗗𝗢𝗡'𝗧 𝗦𝗘𝗘

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March, 2019
Autumnvale, England

K A R L O T T A

IHR ATEM PRALLTE harsch und unregelmäßig auf die erhitzte, beißende Luft, während sie den von Rauch vernebelten Gang entlangrannte

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IHR ATEM PRALLTE harsch und unregelmäßig auf die erhitzte, beißende Luft, während sie den von Rauch vernebelten Gang entlangrannte. In ihren Augen brannten Tränen wie die Flammen, die sich langsam durch die Fassade fraßen. Pure Angst flutete durch ihre Venen. Sie konnte die schmerzende Hitze um sich herum fühlen, doch gleichzeitig fühlte sie sich taub.

Das Mädchen riss die Tür zum Zimmer ihrer Eltern auf, doch fand niemanden dort auf. Sie verließ das Zimmer wieder und stürmte den Flur hinunter, doch fand sich plötzlich unzingelt von Flammen wieder, die ihr jeglichen Ausweg versperrten. Ihre Stimme schrie panisch die Namen ihrer Mutter und ihres Vaters, doch sie hörte nur noch das züngelnde Feuer. Überall war Feuer, nichts als Feuer und Rauch. Sie konnte mit einem Mal kaum noch etwas sehen. Die Tränen versperrten ihre Sicht, und sie spürte, dass die Luft knapper wurde. Sie ringte um Atem, ihre angsterfüllten Schreie erstickten, und die Flammen kamen näher und näher; drohten, sie zu verschlingen.

Karls riss aus dem Schlaf, ihr Körper bebte vor Angst. Ihr war heiß und kalt gleichzeitig, ihre Wangen waren nass von den Tränen und von Schweiß. Es war nur ein Traum. Nur ein Traum. Sie würde aufstehen können und ihre Eltern antreffen, deren Lachen die Küche erfüllte und ihr Herz erwärmte. Doch die schmerzhafte Realität traf sie und brach aus ihr heraus mit einem erstickten Schluchzen. Ihre Eltern waren tot. Das Feuer hatte alles, was Karls jemals hatte, mit sich genommen und zerstört, es hatte jedes kleinste Detail aus dem Foto ihrer Familie gerissen.

Das dunkelhaarige Mädchen legte eine Hand auf ihr heftig schlagendes Herz und versuchte, ruhig ein- und auszuatmen, bis sich ihr Herzschlag wieder normalisierte. Ein Gefühl von Schwindel durchfuhr Karls, als sie langsam aufstand, und sie hielt sich für einen Moment an dem Schrank fest, der dem Bett gegenüber stand.

Es war nicht der erste und nicht der letzte Albtraum gewesen. Fast jede Nacht kam der Brand zurück vor ihre Augen und ließ sie wieder und wieder durch die Nacht gehen, an die sie eigentlich selbst keine Erinnerung hatte. Schließlich war sie danach tagelang bewusst gewesen. Vermutlich sollte Karls dankbar sein, dass sie noch lebte, dass sie noch atmete. Doch das Mädchen, was mal so lebensfroh gewesen war, existierte nicht mehr. Das Feuer hatte die alte Karls genauso wie ihre Eltern in den Tod gezogen.

Karls verließ noch immer zitternd das Zimmer und machte sich auf den Weg zur Küche, um dort ein Glas Wasser zu trinken. Ihre Hoffnung, dass sie wieder schlafen können würde, war nicht groß. Aber es war schon ein Erfolg, dass sie überhaupt wieder schlafen konnte. Nachdem sie im Krankenhaus aufgewacht war, war dies wochenlang kaum möglich gewesen.

Sie öffnete die Glasstür zur Küche und blieb abrupt stehen, als sie sah, dass ihre Tante gegenüber einem dunkelhaarigen Jungen am Küchentisch saß und eine Hand auf seine gelegt hatte. August drehte ihren Kopf erschrocken zu Karls, genauso wie Jeremias. Ihr Cousin trug dunkle Augenringe, die einen Kontrast auf seinem blassen Gesicht ließen. Irgendetwas daran, wie sehr er sich in den Monaten verändert hatte, in denen Karls ihn nicht mehr sah, erschrak sie.

»Karls«, sagte August überrascht. »Wieso bist du wach? Wir haben drei Uhr morgens.«

»Albtraum, wie immer«, lautete die knappe Antwort, die August mit einem mitleidigem Blick erwiderte. Karlotta hatte ihre Augen aber auf Jeremias fokussiert. »Hey. Ist alles okay bei dir?«

Sie war mehr als überrascht, Jeremias zu sehen. Früher waren sie und ihr Cousin sehr eng gewesen und hatten sich sehr oft gesehen, aber seit dem Tod seiner Mutter war der Kontakt immer weniger geworden. Und schließlich seit dem Brand und seit Karls nun bei ihrer Tante wohnte, hatte sie Jeremias gar nicht mehr gesehen.

Jeremias erwiderte Karls' Blick und das Mädchen wäre fast durch den traurigen Ausdruck darin erschrocken, doch sie selbst kannte diesen von sich selbst wie einen alten Bekannten. »Es könnte besser sein. Wie ist es bei dir?«

»Es könnte besser sein«, wiederholte Karls leise. »Warum bist du hier? Was ist passiert?«

Sie trat zu August und ihrem Cousin und setzte sich auf den freien Stuhl. Auf dem Tisch stand ein Glas mit kaltem Wasser, dass sie in einem Zug austrank und dann wieder abstellte. Es war das erste Mal seit Monaten, dass sie wieder so etwas wie Besorgnis fühlte - das erste Mal seit Monaten, dass sie etwas anderes außer Schmerz oder konstanter Taubheit fühlte.

»Mein Vater hat wieder getrunken«, erklärte Jeremias und hatte einen unlesbaren Ausdruck auf seinem Gesicht, der Karls sehr an ihre eigene Mauer erinnerte. »Es ist noch schlimmer gewesen als sonst.«

Karls nickte leicht. Er hatte ihr schon damals von dem immer schlimmer werdenden Alkoholkonsum seines Vaters erzählt. Sie wusste, dass es ihn innerlich zerstörte, dass sich nach dem Verlust seiner Mutter auch immer mehr Distanz zu Chester aufbaute. Sie konnte nur vermuten, dass der Vorfall viel schlimmer war, als man es Jeremias' Worten entnehmen konnte.

»Ich habe Jeremias gesagt, dass er erstmal bei uns bleiben kann«, klinkte August sich in das Gespräch ein und blickte Karls an. In der Stimme ihrer Tante schwang ein trauriger, unglaublich enttäuschter Unterton mit.

Karls sah zu Jeremias und lächelte vorsichtig. »Okay.«

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