s e v e n t e e n

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Julian PoV.:

Etwas zögerlich folge ich Ella in ihre Wohnung. Es fällt mir zum einen schwer hier zu sein, doch wenn ich mich noch länger zu Hause verkrochen hätte, wäre alles nur noch schlimmer geworden. Alleine wenn ich daran denke, schnürt sich meine Brust wieder unangenehm zusammen.

Es war eine große Überwindung, überhaupt hierher zu kommen, allgemein ihr das Vertrauen zu schenken und, zumindest bruchstückhaft, über meine Vergangenheit zu sprechen, ist ein großer Schritt. So ganz weiß ich nicht, was mich dazu bewogen hat, denn sie könnte jetzt genauso gut den Spieß umdrehen und mich in aller Öffentlichkeit mit allem, was sie über mich weiß, bloßstellen. Aber wenn ich sie mir so ansehe und an ihre Reaktion denke, überkommt mich das Gefühl, dass sie das gar nicht in Erwägung zieht.

Derzeit weiß ich sonst niemanden, dem ich so vertrauen kann wie ihr. Meine Familie ist definitiv raus und mit den Jungs aus der Mannschaft habe ich kaum Kontakt, weil ich auch selber dran Schuld bin mit meinem Verhalten.

Im Wohnzimmer angekommen, bietet Ella mir einen Platz auf der Couch an und setzt sich dann auf die andere Seite, sie scheint noch immer eine Art Sicherheitsabstand von mir zu brauchen, was ich ihr nichtmal wirklich übel nehmen kann. Ich war ein gottverdammtes Arschloch zu ihr und auch wenn wir zwei nicht ganz so hasserfüllte Nächte zusammen verbracht haben, hat sie mir einige Laster zu verdanken. Ich würde gerne wissen, was sie gerade denkt.

"Kannst du mir jetzt mal erklären, was du hier suchst? Ehrlich gesagt fühle ich mich gerade dezent verarscht." Unruhig knete ich meine Hände ineinander, lasse meinen Blick durch den Raum schweifen, anstatt sie anzusehen. Es ist mir natürlich unangenehm, mich jetzt vor ihr offenbaren zu müssen, aber ich weiß sonst nicht mehr weiter. "Ich habe es zu Hause nicht mehr ausgehalten- meine Gedanken, mein Kopf- das macht mich fertig." Ich muss hier sitzen wie ein Häufchen Elend, wie ein Weichei, ein Nichtsnutz, all das was ich nie zulassen wollte.

"Okay, jetzt nochmal für mich zum Mitschreiben. Zuerst hasst du mich, du machst mir das Leben zur Hölle, erpresst mich, nutzt mich und meine Situation für Sex aus, du bestimmst über mein Leben und meine Arbeit, drohst mir, drohst im Umkehrschluss Maxim, bringst mich laufend in beschissene Situationen. Und dann? Bist du plötzlich wie ausgewechselt, erzählst mir deine Geschichte, willst am liebsten alles rückgängig machen, und tauchst schlussendlich mit einem Blumenstrauß auf und sagst mir, dass du mich brauchst, um nicht alleine zu sein? Vorher hat das offenbar gut für dich geklappt mit dem Alleinsein, denn du hast selbst den letzten Menschen, der dir helfen wollte, noch von dir gestoßen." In ihrer Stimme schwingen so viele Emotionen mit, die mich direkt wieder einengen.

"Ich hab mich meinen Problemen und Emotionen nie gestellt." fange ich dann an. "Das ist wahrscheinlich so das Grundproblem. Nach Claras Tod hat vor allem meine Familie oder besser gesagt mein Vater quasi immer verlangt, dass mein Sport nicht darunter leiden darf. Dabei haben sie in meinen Augen die meiste Schuld daran, dass es ihr so schlecht ging. Nie wurde sie von ihnen akzeptiert, wurde immer als die "famegeile" abgestempelt, sie haben ihr nie die Chance gelassen, sich wirklich zu zeigen, dabei war sie so ein wundervoller Mensch.

Ich habe nie den Raum bekommen, um sie zu trauern, so wie sie es verdient hätte. Ich habe alles regelrecht verdrängt, wie ein Verrückter geackert für den Verein, für die Mannschaft, von ihnen weiß kein einziger, was passiert ist. Von Woche zu Woche wurde es schlimmer und die Stille alleine zu Hause immer unerträglicher. Dann kam dieser Tag, an dem wir die Meisterschaft verspielt haben und ich habe mich gefühlt, als würde mir irgendjemand endgültig den Boden unter den Füßen wegziehen. Ich habe mich abgeschunden, wir alle haben das, für am Ende einen Schlag in die Fresse. Ich kam darauf einfach nicht klar, wie ungerecht dieses Leben zu mir ist. Es hat mich zerrissen, in diese enttäuschten Gesichter zu schauen, den Menschen ihren Traum genommen zu haben. Und dann habe ich Clara wieder vor mir gesehen, vielleicht war sie am Ende auch so enttäuscht vor mir,weil ich mich nicht genug um sie gekümmert habe und nicht gesehen habe, was in ihr vorgeht. Meine Schuldgefühle haben mich aufgefressen. Daraufhin habe ich dann angefangen auch unter der Woche feiern zu gehen und mich mit allem möglichen zuzudröhnen, denn dann war die unerträgliche Stille endlich weg. Und was passiert wenn man- das brauche ich dir nicht erklären."

U N B R E A K A B L E - Julian BrandtWhere stories live. Discover now