16.

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"Ich bin mir sicher, es gibt kein besseres Gefühl als zu wissen, dass wir nie wieder eine Klausur in diesem Gebäude schreiben müssen!", sind Lukas' erste Worte zu Alina, Mina, Finn, David, Max und mir, als wir uns alle an seinem Auto treffen.
Wir anderen stimmen ihm einstimmig zu. Jetzt kann keiner von uns etwas an unserem Abitur ändern, also fällt eine riesige Last von uns ab. Obwohl ich grade diese ganzen Stunden im Klausurraum verbracht habe, geht es mir besser als gut. Ich bin einfach froh, dass das jetzt vorbei ist und ich bin mir sicher, dass es allen anderen auch so geht.

"Den Campingtrip haben wir uns mehr als verdient.", meint Alina und ich nicke grinsend. Es ist geplant, dass wir am Tag nach der Abschlussfeier fahren, weil dann endgültig alles vorbei ist.

Ich frage in die Runde:"Aber es klappt doch bei allen oder?" Es wäre echt mies, wenn doch eine Person nicht kommen könnte. Mit meiner Mutter habe ich es sofort geklärt und sie war sofort einverstanden und meinte, dass wir uns das alle verdient hätten. Nun können wir nur noch auf die Ergebnisse warten.
Glücklicherweise bekomme ich nur positive Antworten.

Eine halbe Stunde haben wir uns alle auf dem Parkplatz unterhalten, bis wir auf den Schluss gekommen sind, dass wir alle todmüde sind. Deswegen fahren alle nach Hause, denn wir sprechen uns ab, dass wir alle einen Mittagsschlaf halten und uns abends nochmal treffen.
Nur haben David und ich leider nicht das Glück ein Schläfchen halten zu können, da wir jetzt zu einem Treffen mit seiner Mutter fahren müssen.
Die letzten Tage hat David immer wieder überlegt, ob er nicht doch einfach nicht hingehen sollte, entschied sich aber jedes mal dafür doch hinzugehen. Ich kann ihn verstehen. Mir würde es ebenfalls schwer fallen meiner Mutter entgegenzutreten, wenn ich sie Jahre nicht gesehen hätte. Aber trotzdem wüsste ich gerne was sie in dieser Zeit getan hat.

David ist mit dem Auto zur Schule gefahren, und mich mitgenommen, damit wir sofort nach der Schule zu dem abgesprochenen Café fahren können. Ich nutze mein Handy als Navi und sage David immer wieder wo er lang muss, da das Café etwas außerhalb unserer Stadt liegt.
"Die nächste rechts.", gebe ich ihm an und füge hinzu,"Wir sollten in ungefähr zehn Minuten da sein."
David nickt, sagt aber nichts. Er ist sichtlich angespannt und ich habe einfach keine Ahnung wie ich ihm helfen kann. Ich weiß, dass er selbst nicht genau weiß, was er von der ganzen Sache halten soll.

Fünfzehn Minuten später stehen David und ich vor einem kleinen Café, mitten im Nirgendwo. Seine Mutter hat sich das Café ausgesucht. David sieht so aus, als würde er jeden Moment umkippen, weswegen instinktiv seine Hand in meine nehme und sie leicht drücke.
Obwohl ich finde, dass es definitiv gut wäre, wenn David sich mit seiner Mutter ausspricht, frage ich:"Bist du dir sicher, dass du da jetzt reingehen willst?"
Er sieht mich unsicher an und nickt langsam. Also laufen wir zusammen in das Café und halten Ausschau nach seiner Mutter. Ich kenne ihr Aussehen nur von alten Bildern, die mir David irgendwann mal gezeigt hatte. Ich habe meine Bedenken, dass ich hier nur stören würde, schon mit David geteilt, aber er widersprach mir und meinte, dass er die Unterstützung bräuchte.

Manchen Freunden vertraut man so sehr, dass man ihnen sogar die privatesten Familiensachen anvertraut.

Es freut mich, dass ich so eine Freundin für David bin.

David scheint seine Mutter sofort entdeckt zu haben, denn er drückt meine Hand etwas fester, was er jedoch nicht zu bemerken scheint. Ich folge seiner Blickrichrung und sehe eine rothaarige Frau an einem Tisch sitzen und an ihrem Handy herumtippen. Ihre Haare sind auf jeden Fall gefärbt, nicht das dass wichtig ist. Langsam laufen wir zu ihr rüber, wenige Schritte später stehen wir vor ihr.
Sie braucht einige Sekunden bis sie merkt, dass wir dort stehen, aber als sie es bemerkt, steht sie auf und geht direkt auf ihren Sohn zu. Sie will ihn offensichtlich umarmen, aber David geht einen Schritt zurück.
"Hallo, David!", sagt sie,"Setz dich doch."
David wirft mir einen kurzen Blick zu und stellt mich seiner Mutter kurz vor:"Das ist Ella." Dann zieht er mir einen Stuhl an den Tisch und setzt sich dann erst hin.
Marianne sieht mich nur flüchtig an und mit dem Blick auf David, bemerkt sie:"Ich habe dir doch gesagt, dass ich alleine mit dir reden will." Sie klingt sehr abweisend und distanziert.
David sieht sie mit einem neutralen Blick an und antwortet ihr:"Und ich hab dir gesagt, dass wenn ich komme, nur mit einer weiteren Person." Ich fühle mich unwohl in dieser Situation, aber da David und ich darüber geredet haben, plane ich nicht einfach aufzustehen und wegzugehen.
Marianne gibt nach. Sie fragt David, ob er etwas trinken will, doch er lehnt ab. So kenne ich David nicht. Ja, er ist oftmals distanziert gegenüber den meisten Menschen, aber nicht so.
"Weißt du, ich dachte, du würdest dich mehr freuen deine Mutter wiederzusehen.", wirft sie ihm vor und ich bin plötzlich echt baff, dass sie das wirklich gesagt hat.
David scheint das selbe zu denken:"Vielleicht hätte ich mich gefreut, wenn du uns nicht verlassen hättest, als ich 12 war."
"David. Das habe ich dir schon erklärt. Ich hatte meine Gründe. Aber jetzt bin ich doch hier, es ist besser als nichts."
Diese Frau ist unglaublich. David hat mir zwar von ihrem letzten Gespräch erzählt, aber ich hätte mir niemals vorstellen können, dass sie so gefühllos mit dieser Sache umgehen kann.
"Da bin ich anderer Meinung. Es ist schwerer für mich dich jetzt nach all den Jahren zu sehen, nachdem du uns verlassen hast. Ohne eine Erklärung. Ich war doch noch ein Kind.", meint David und ich weiß nicht was ich tun soll.
"Da gehst du weg und das ist schlimm. Dann kommst du wieder und wieder ist es schlimm.", murmelt Davids Mutter, aber so laut, dass wir es deutlich hören können. Meine Augen weiten sich und mein Mund fällt auf. Hat sie das grade wirklich gesagt? Was zur Hölle ist ihr Problem? Ich dachte, dass sie versuchen wird David alles schön und ruhig zu erklären, versuchen es ihm zu erleichtern ihr zu vergeben. Aber was sie grade tut ist das komplette Gegenteil.
David scheint mir kurz vor dem Platzen zu sein. Ich drücke seine Hand und streiche ihm mit dem Daumen über seinen Handrücken, doch meine Vermutung bestätigt sich einige Sekunden später:"Ich muss mir das echt nicht antun. Ich dachte, ich rede mal mit dir. Vielleicht hilfst du mir zu verstehen wieso du weggegangen bist, damit ich dich nicht mehr insgeheim hassen muss, aber du bist wirklich unglaublich. Du hättest einfach da bleiben sollen wo du warst und mich und Papa allein und in Ruhe lassen sollen. Uns geht es auch ohne dich gut!", damit lässt er meine Hand los und stürmt aus dem Café. Ich stehe auf, um ihm zu folgen, aber als ich höre was Marianne sagt, drehe ich mich schlagartig um.
"Was habe ich denn getan?", fragt sie sich selbst und ich kann nicht anders als ihr meine Meinung dazu zu sagen.
"Okay, sind Sie so dumm oder tun Sie nur so?!", ich habe meinen Respekt für sie schon lange verloren. "Sie sprechen mit David, Ihrem Sohn, den Sie einige Jahre nicht gesehen haben, weil Sie entschieden haben seinen Vater und ihn zu verlassen. Das mindeste was man dann machen kann ist wohl nicht in so einer Art mit ihm zu reden. Sie tun so, als wäre es alles seine schuld, wobei er damals noch 12 war. Ich kenne David gut. Wenn Sie nicht wirklich respektvoll und einfühlsam mit ihm reden, falls es nochmal dazu kommen sollte, wird er kein einziges Wort mit Ihnen reden. Das würde ich persönlich auch nicht tun."
Sobald ich alles gesagt habe was ich sagen wollte, drehe ich mich um und renne aus dem Café, um nun wirklich nach David zu sehen.
Vielleicht hätte ich mich nicht einmischen sollen und vielleicht hätte ich ein wenig ruhiger an die Sache gehen sollen, aber diese Frau hat es nun echt verdient. Sie ist doch unglaublich bescheuert. Wer verhält sich denn so, wenn er sein Kind eine Ewigkeit nicht gesehen hat.
Ich sehe David neben seinem Auto hin und her laufen, wobei er nicht gestresster aussehen könnte. Sofort renne ich auf ihn zu und als er mich sieht bleibt er stehen. Ich nehme ihn sofort in die Arme und drücke ihn ganz fest. Er erwidert die Umarmung und drückt mich genauso fest und vergräbt sein Gesicht in meinem Nacken. Ich streiche ihm über seinen Rücken. Er atmet schwer und sagt eine Weile nicht, wir stehen einfach nur in dieser Umarmung dort.
"Es tut mir leid.", flüstere ich.
Ich vermute, dass er weiß, dass ich das Ergebnis dieses Gesprächs meine. Ich weiß nicht genau wie lange wir so dort standen, aber ich lasse David nicht los, bevor er es tut. Schließlich sieht er mir in die Augen und seufzt leise. "Sollen wir nach Hause?", fragt er mich.
Mit einem kleinen Lächeln antworte ich:"Wenn du das willst." Er nickt und holt die Autoschlüssel aus seiner Hosentasche. Während er das Auto aufschließt, laufe ich um das Auto, um auf dem Beifahrerplatz sitzen zu können.
"Sie ist ihm nicht mal hinterhergelaufen.", murmle ich vor mich hin und kann einfach nicht fassen wie das Gespräch verlaufen ist. David sollte sich nach diesen Treffen besser fühlen, ein wenig Gewissheit haben, aber das Gegenteil ist passiert. Er muss sich wirklich schlecht fühlen.
"Sollen wir direkt zu Lukas fahren?", fragt mich David, als wir an einer roten Ampel halten. Ich schaue auf die Uhrzeit und nicke. Wir sollten in einer halben Stunde dort sein, falls wir in der abgesprochenen Zeit da sein wollten.
Nach kurzem Überlegen frage ich David, ob er wirklich hingehen will. Einerseits wegen der offensichtlichen Sache von vorhin und andererseits weil er sich in meiner Freundesgruppe immer noch nicht ganz wohl fühlt. Außer dass er sich langsam aber sich gut mit Lukas anfreundet. Aber Max wird da sein. Er ist auch mit Finn befreundet.
Doch David schüttelt seinen Kopf, bevor er mir antwortet:"Nein. Ich glaube, ich brauche die Ablenkung."

Zwanzig Minuten später kommen wir bei Lukas an und steigen aus dem Auto. Ich bemerke, dass graue Wolken den Himmel füllen und laufe schnell zur Tür und warte dort auf David. Er grinst leicht, weswegen ich frage:"Was? Wieso grinst du mich so an?"
"Weil du so schnell gelaufen bist, ohne Grund.", ist seine ganze Antwort, wonach er klingelt.
Lukas öffnet die Tür und lässt uns schnell rein. Dabei ist er am Telefon und hört der Person am anderen Ende der Leitung zu. David und ich ziehen unsere Jacken und Schuhe aus und als wir endlich im Wohnzimmer auf der Couch sitzen, nimmt David instinktiv meine kalten Hände in seine, um sie zu wärmen. Außer uns scheint noch niemand da zu sein.
Lukas kommt ins Wohnzimmer und hat immer noch das Telefon am Ohr. Er gibt nur zustimmende Laute von sich und als sein Blick auf mich fällt, grinst er plötzlich und macht mir irgendwie Angst.
"Hey, Ella ist grade hier. Willst du vielleicht mit ihr reden?", fragt er die Person am anderen Ende, woraufhin ich ihn nur verwirrt ansehe. Er reicht mir dann das Telefon und flüstert:"Meine Schwester! Bitte nimm mir das Telefon ab. Ich kann nicht mehr."

Anderthalb Stunden später sitzen wir alle in Lukas' Wohnzimmer und spielen Werwolf.

"Sollten wir uns eigentlich nicht alle volllaufen lassen und nicht Werwolf spielen?!", fragt Mina in die Runde, wobei wir alle noch unsere Augen geschlossen haben. "Ich meine, die Schule ist erstmal vorbei..."
Ich höre, dass Lukas ihr antwortet:"Hast ja irgendwie recht, aber ist so auch ganz gut.."
Und danach spielen wir zuende. Schließlich sitzen wir alle im Wohnzimmer verteilt, während Alina und Finn etwas zu trinken aus der Küche holen. Da sie schon knapp zehn Minuten verschwunden sind, vermuten wir, dass sie nicht nur nach Getränken und Gläsern suchen. Niemand unter uns will aber zu ihnen gehen und unterbrechen was immer sie auch tun.

"Was? Nein! Lukas, wag es ja nicht!", warne ich ihn, als er meint, er würde meiner Mutter eine peinliche Nachricht von meinem Handy aus schicken. Ja gut, wir haben eine kleine Wette abgeschlossen wie viel Zeit Finn und Alina in der Küche verbringen werden und ich habe verloren. Ich habe eben gedacht, dass sie höchstens nach fünf Minuten zurück kommen würden. Jedenfalls haben wir aber keinen Wetteinsatz festgelegt und nun meint Lukas sich das Recht nehmen zu können sich irgendetwas auszusuchen.
Glücklicherweise kommt David mir zur Rettung.
"Ich fahr jetzt nach Hause. Kann dich jemand anders fahren... oder..?", ich schneide ihm das Wort ab. Ich frage gar nicht erst wieso er schon fahren will. Er fühlt sich immer noch nicht wirklich wohl in dieser Freundesgruppe. Außerdem lastet höchstwahrscheinlich noch das Gespräch mit seiner Mutter vor ein paar Stunden auf ihm.
"Ich komm mit.", sage ich und stehe auf. Lukas sieht mich fragend an und ich lächle nur kurz, als Zeichen, dass ich es ihm später erklären würde. Ich werde ihm natürlich nicht die Geschichte mit Davids Mutter erzählen, dass muss er schon selbst machen, wenn er das will.

Nachdem wir uns von den anderen verabschiedet haben, fahren wir Richtung nach Hause.
"Weißt du, du hättest nicht mitkommen müssen.", bemerkt David nebenbei, ohne mich anzusehen, weil sein Blick logischerweise auf die Straße gerichtet ist.
"Wollte ich aber. Außerdem will ich dich jetzt nicht alleine lassen, denn wenn du nach den Ereignissen von heute eine Weile alleine bist, wirst du lange drüber nachdenken und du wirst dich von allen abkapseln. Aus so einer Phase kommst du nicht so schnell raus, also lasse ich es nicht zu, dass du da überhaupt reinfällst.", ist meine etwas zu lange Antwort, weil ich einfach nicht aufhören kann zu reden.
David wirft mir einen kurzen Blick zu und lächelt leicht. "Danke.", sagt er leise und bringt mich damit zum lächeln.
"Hey, wollen wir Waffeln essen gehen? Also falls du nicht sofort nach Hause willst und da Lust drauf hast.", schlage ich vor, weil ich davon überzeugt bin, dass David eher eine Ablenkung braucht. Aber wenn er wirklich nach Hause will, kann ich ihn zu nichts zwingen.
Erneut wirft er mir einen kurzen Blick zu, bevor er mir antwortet:"Weißt du was, ich hab grade echt Hunger auf Waffeln, weil du's angesprochen hast."

Freunde.Where stories live. Discover now