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Der Schweiß läuft mir die Stirn hinunter. Die Autofahrer klotzen aus ihren Mini Coupern und BMWs auf mich und es fühlt sich an, als hätten gerade jemand den roten Teppich mitten auf dem Bürgersteig ausgerollt und sie sind nur die Paparazzi die meine Persönlichkeit ablichten wollen.

Ich würde es ihnen nicht empfehlen. Zumindest nicht heute und in dem Augenblick. Mein Gesicht, so rot wie eine Tomate (wenn nicht noch schlimmer) glüht. Wahrscheinlich steigt der Dampf schon über mir auf, so warm ist es.

Die Leggins steckt im Schlitz meines Hinterteiles, was nicht angenehm ist, aber ich kann sie nicht rausziehen, weil hier zu viele Leute sind.

Ich weiß schon, warum ich jegliche Art von Sport verweigere. Nicht, weil ich keine Lust darauf habe, eher, weil es peinlich ist.

Ich bin so etwas wie der Sheldon unter den Sportlern. Sheldon, bezogen im Sinne auf seine Kontaktfreudigkeit.
Ich kann es nicht. Es sieht einfach nicht gut aus. Leider übermannt mich meine Motivation an manchen Tagen und ich tue es doch. Wie schon gesagt, leider. 

Zu meinem Vorteil, sind heute vergleichsweise wenige Menschen unterwegs. Den ganzen Tag schon, zieren dicke, graue Wolken den Himmel und ich frage mich, warum ich mir heute Morgen überhaupt die Mühe gemacht habe aufzustehen.

An der nächsten Laterne halte ich an, ich habe Seitenstechen, super.
Dann gehe ich langsam weiter und ignoriere die Blicke einer alten Dame mit Birkenstock und ihrem dicken Mops an der Leine.
An einer weiteren Laterne, beschließe ich umzudrehen und wieder nach Hause zu laufen. Diesmal langsamer und völlig fertig. Meine Kondition lässt wirklich zu wünschen übrig.

Mum ist schon zu Hause. Als ich vorhin voller Tatendrang losgejoggt bin, war sie noch nicht da und als ich auf die Uhr schaue, bemerke ich, dass ich fast eine Stunde unterwegs gewesen bin.
Mein Kopf hat sich beruhigt, glücklicherweise, und heiß ist mir auch nicht mehr.
Trotzdem fühlt sich alles an meinem Körper wabbelig und verschwitzt an.

„Mella?", kommt es aus dem Wohnzimmer.

„Hast du die Post reingeholt?", frage ich und laufe mit einem Stapel Briefe, den ich in der Küche aufgegriffen habe, zu Mum ins Wohnzimmer.

Sie liegt auf dem Sofa, die Decke um die Beine geschlungen, eine Wärmflasche vor der Brust.

„Nein."

Sie sieht mich an. Ihre Augen sehen müde aus, irgendwie eingefallen. Ihr Gesicht ist bleich und ich mache mir kurzzeitig sorgen. Bis sie lächelt. Dabei sieht sie wieder halbwegs normal aus.

„Bist du krank?", hake ich trotzdem nach.

Sie schüttelt müde den Kopf. Ihr Haar ist auch dünner als sonst.

„Es ist das Wetter, Schatz. Alles in Ordnung, wirklich."

Während sie spricht drückt sie die Wärmflasche enger an ihren Bauch.

Ich lasse von ihr ab, weil die Briefe in meiner Hand gerade mehr Aufmerksamkeit verlangen.
Hektisch schaue ich sie durch und bemerke wehmütig, dass wieder keiner an mich gerichtet ist.

„Schon wieder nichts?", errät Mum mein Stöhnen, als ich sie auf den Wohnzimmertisch pfeffere.

Nicht einmal eine Absage bekomme ich. Ich werde ignoriert, einfach nicht beachtet. Was viel schlimmer ist als eine Absage.

„Ich gehe duschen."

Genervt stehe ich auf. Mum hat keine Antwort auf ihre Frage erwartet. Zumal sie ohnehin rhetorische war und ich obendrein einfach nicht zugeben will, dass keiner an mir Interesse zeigt.

Nach dem Duschen fühlen sich meine Beine taub an.
Fazit: Ich werde nie wieder joggen gehen.

Als ich runter in die Küche komme, ist nur Tekla da. Sie kocht Nudeln, von denen ich mir eine nehme.

„Wo ist Mum?", frage ich und setzte mich auf die Ablage. Der Kater kratzt an seiner Milchschale.

„Sie schläft schon.", meint Tekla und füllt sie auf. Worauf Kater sofort aufhört zu scharren und genüsslich seine Milch schlürft.

Wir konnten uns nie entscheiden, was für einen Namen wir ihm geben sollten. Er ist schwarz, also wirklich komplett Schwarz. Deshalb passt, meiner Meinung nach, der Name Balu am besten zu ihm. Balu, wie der Bär aus Mogli.

Tekla wollte ihn Freitag nennen, wegen Robinson Crusoes Freund Freitag.

Wir konnten uns nie einig werden, jetzt heißt er einfach nur Kater.
Und Kater ist launisch, sogar launischer als Dad.

Ich versuchte kurz zu hören, ob man im Büro ein tippen hört. Nein, nichts.

„Und wo ist Dad?" Die nächste Nudel verbrannte mir meine Zunge an der Spitze vorne.

„Ich denke, er ist noch arbeiten."

Tekla schaut mich böse an, weil die Nudeln eigentlich nicht für mich sind und ich trotzdem die ganze Zeit davon esse.

Dabei war ich heute sportlich und habe wirklich jedes Recht so viel zu Essen wie unsere Küche hergibt.

Dads eigentliche Familie ist sein Job. Auch wenn er das niemals sagen würde, aber ich weiß es. Meistens kommt er nach Hause, wenn Tekla und ich schon schlafen.
Wäre Mum nicht krank gewesen, wäre sie wahrscheinlich wach geblieben und hätte gewartet, so wie immer.

Sie sorgt sich um ihn. Sie hat Angst, dass er erschossen wir oder entführt oder erstochen.

Sie tut so, als wäre er Geheimagent, dabei ist er nur Polizist und Polizisten sind doch alle irgendwo tierisch verklemmt. 

Zumindest ist Dad es. Er entschuldigt es dann mit ‚sich Sorgen', dabei hat er einfach immer einen Stock im Arsch, der ist großer wie der Schiefe Turm von Pisa.

Ich sagte ja, er ist launisch. Manchmal ist er ein cooler Dad. Meistens dann, wenn er nicht vor jedem den Polizisten raushängen lassen muss.

„Morgen Abend kommt Christian mit seiner Frau und diesem Fabian. Dad hat sie eingeladen, zum Essen."

Ich bekomme einen Kloos im Hals. Christian ist okay, aber Marianne, seine Frau, hat wirklich einen an der Waffel. Was noch untertrieben ist.

Sie reißt immer Ärztewitze. Eigentlich kein Problem, ich mag lustige Menschen sehr gerne. Der Haken jedoch ist, ihr Mann ist Chefarzt der Stadtklinik, ich glaube sogar einer der besten weit und breit. Das zweite wirklich Schreckliche daran, ihre Witze kommen ungefähr so flacher wie Hollands Berge und sie findet sich selbst immer Urkomisch.

Das ist zu viel. Fabian ist dann immer peinlich berührt und Christian ignoriert seine aufgedrehte Frau mit einem Lächeln.

Ich beobachte Kater, wie er sich langsam an die Heizung schmiegt. Fabian sieht nicht mal schlecht aus, aber er ist ein Arschkriecher und er hat abstehende Ohren (das zweite ist vielleicht kein wirklicher Grund ihn komisch zu finden, aber ein Argument).

„Ich habe das Gefühl, Dad lädt die nur ein, um uns zu ärgern.", motze ich und nehme mir noch eine Nudel. Tekla hat das Wasser bereits abgegossen und wir Essen jetzt Nudeln ohne Soße und mit den Fingern aus dem Topf.

„Kann schon sein. Fabian ist komisch."

Ich nicke, weil Tekla mich versteht.

Wäre Fabian nur komisch, hätte ich es halbwegs verkraftet. Leider ist mir im Bezug auf ihn, schon etwas ziemlich unangenehmes passiert. Es hat etwas mit Alkohol und dem darauffolgenden Übergeben zu tun. Mehr möchte ich wirklich nicht sagen, weil das sehr eklig werden könnte. Nur eines, seine Chucks waren danach nicht mehr weiß und ich bereue es bis heute ihm an diesem Abend auf dieser Party begegnet zu sein und zu viel getrunken zu haben. Doppelt so schlimm macht es die Tatsache, dass wir nie darüber geredet haben.

Verdrängung ist eben die beste Medizin.
Zumindest meistens.


Vielleicht auch morgenOnde as histórias ganham vida. Descobre agora