7.

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Mum ist gerade dabei zu kochen, als ich nach Hause komme.
Nur fünf Minuten nach mir, kommt Dad zur Haustür herein und setzt sich neben mich auf die Couch. Ich habe angefangen meiner Leidenschaft für sinnlose Kreuzworträtsel nachzugehen.
„Haben sie dich gefeuert oder wieso bist du so früh zu Hause?" Ich sehe ihn nicht einmal an und er tut so, als hätte er meine Bemerkung nicht gehört. Vertieft in die Zeitung die er sich vom Tisch genommen hat schlägt er das eine Bein über das andere. Ich zerknittere mein Rätselheft unter den Fingerkuppen.
Mum kommt mit einer unglaublich zerzausten Frisur zu uns gelaufen.
Dad ist schon fast euphorisch als er sie sieht. Dann steht er auf und kommt ihr entgegen.
„Schatz, ich habe gute Nachrichten." Neugierig, weil seine Stimme anders geklungen hat, lasse ich kurz von der Frage, welcher Hurricane 1730 in Amerika gewüstet hat, ab. Mum verdreht die Augen und macht kehrt. Zu meinem Bedauern verlassen Beide das Wohnzimmer. Ich höre sie im Flur weiter reden.
„Hauptkommissar Waigel hat mir seinen Fall abgegeben. Der, an dem er schon seit einigen Monaten ermittelt." Jetzt werde ich erst recht hellhörig.
„Herzlichen Glückwunsch, jetzt kannst du gleich ganz in dein Büro ziehen."
Ich muss grinsen, Mum ist wirklich gut. Um mehr zu hören, beuge ich meinen Oberkörper nach vorne und versuche so wenig wie möglich mit dem Heft zu rascheln.
„Nein, so ist es nicht. Ich hab endlich die eine Chance. Waigel ist durchgedreht, wegen diesem Fall. Die Möglichkeit besteht seine Position einzunehmen." Dad klang schon lange nicht mehr so euphorisch wie gerade.
Nicht einmal als Mum ihm die Uhr zum Hochzeitstag geschenkt hatte, welche er sich schon sehnlichst gewünscht hatte.
Mum schaltet die Dunstabzugshaube in der Küche ein und ihr Stimmen vermischen sich mit dem Rauschen.

Auch am nächsten Tag treffe ich keinen Bekannten in der Straßenbahn und mit Claire kann ich gut leben.
Vor dem Mittagessen schickt sie mich nach draußen in den Garten um Schnittlauch zu holen.
Der Junge sitzt nicht unter der Eiche. Fast schon bin ich traurig. Ich hätte ihn einfach gerne gesehen.
Obwohl er seltsam ist. Und obwohl ich auf gar keinen Fall etwas mit ihm zu tun haben möchte. Ich weiß nichts von ihm und trotzdem fällt es mir schon den ganzen Tag schwer ihn nicht aufsuchen zu wollen.
Da die Erde nass ist, sind meine Finger total schmutzig, als ich die dunkelrote Plastikschüssel endlich voll bekommen habe. Ein Tausendfüßler läuft über meinen Unterarm, an dem ich schlagartig Gänsehaut bekomme. Angeekelt schüttle ich ihn von meiner Hand und scharre Erde über den Platz auf den er gefallen ist
Als ich dabei bin mich von diesem Platz voller Krabbeltiere zu entfernen, sehe ich ihn auf der Bank sitzen. Ich habe ihn nicht einmal kommen gehört. War er vielleicht vorhin schon dort und ich hab ihn nur nicht gesehen?
Er winkt mir zu als würden wir uns schon Jahr kennen. Fast hätte ich mich umgedreht um zu schauen, ob er jemand hinter mir begrüßt. Denn ich möchte nur nochmal erwähnen, dass wir uns erst seit gestern kennen und ich dachte eigentlich, dass ich ihn nach meinem Abgang endgültig vergrault hatte.
„Du kochst?" Er sieht mich an, was mich nervös macht. Ich versuche in diesen weißen Schuhen nicht ganz so bescheuert auszusehen. Gelingt mir nicht.
„Hmh ja, Schnittlauch."
Er lächelt, sieht dann aber gleich auf seine Arme die auf seinen Oberschenkeln aufgelehnt sind.
„Sitzt du hier jeden Tag?", frage ich, weil es komisch ist, wie er zusammengekauert auf dieser Holzbank hockt und ich daneben stehe, völlig in weiß gekleidet, und ihn einfach nur beobachte.
Fehlt nur noch, dass ich sage: „Erzengel Gabriel erlöst dich, du kommst in den Himmel, Amen."
„Ich sitze hier und du arbeitest."
Ich hatte die Hoffnung er hätte meinen Abgang vergessen. Zumindest verdrängen hätte er ihn können. Oder ihn einfach nicht mehr erwähnen.
„Alles klar.", murmle ich und senke meinen Kopf als ich an ihm vorbei laufe.
Im Augenwinkel sehe ich wie er ruckartig aufsteht und meinen Unterarm packt. Er hält ihn fest, worauf ich zuerst auf seine und dann auf meine Hand sehe.
Sofort lässt er mich los. Als hätte er etwas falsch gemacht und als hätte auch er die leichte Elektrisierung bei unserer Berührung gespürt. Obwohl das völlig verrückt wäre. Mein Blick wandert in sein Gesicht. Es ist das erste Mal, dass ich ihn stehend sehe und es wundert mich. Er ist nur einen halben Kopf größer wie ich.
Wieder fallen die Sonnenstrahlen so in sein Gesicht, dass ich ihn kaum erkenne. Jedoch sehe ich, dass er mir in die Augen sieht. Schlagartig wandert sein Blick auf seine Hand die mich berührt hatte. Erst dann erkenne ich, was er festhält.
„Tausendfüßler." Er haucht mir die Wörter förmlich entgegen.
Erschrocken entferne ich mich ein Stückchen von ihm. Mir fällt erst als ich zurück gehe auf, wie nah wir gerade beieinander gestanden haben.
„Unvorstellbar, dass deren Gehirn so intelligent ist und die ganzen kleinen Beinchen kontrollieren kann. Welches nach vorne kommt, wenn ein anderes sich bewegt hat. Das ist so spannend wie viel hinter so einem kleinen Tierchen steckt."
Er schaut nicht einmal von dem Tausendfüßler auf. Muss wohl ein Nest bei dem Schnittlauchbeet sein.
Er setzte ihn in das Gras vor seinen Füßen und sieht ihm nach wie er sich unter den Grashalmen versteckt. Ich beobachte seine Haare, die wegen dem leichten Wind in eine Richtung fallen und beherrsche mich nicht zu erschrecken, als er mich plötzlich wieder ansieht.
„Ich bin Soul." Sein Blick ist versteinert.
Ich bewege meine Lippen, aber es kommt kein einziges Wort hervor. Die Sekunden die wir uns schweigend ansehen kommen mir länger vor als sie sind.
„Willst du dich heute zu mir setzten oder ergreifst du wieder die Flucht wenn ich dich Frage?"
Das Lächeln in seinem Gesicht löst die Härte. Eine Sekunde lang hatte er mich eingeschüchtert. Ich bemerke wie sich meine Schultern lösen. Und meine Vorsätze nicht mehr mit ihm zu reden langsam verblassen.
Ich sehe auf meine Armbanduhr, dann nach drinnen, wo Schwester Claire vor ein paar Minuten noch die Tische geputzt hat. Ich lächle und nicke. Schließlich setzten wir uns nebeneinander auf die Bank.
„Ich wollte dich gestern keineswegs erschrecken." Ein paar Vögel im Baum über uns beginnen leise zu zwitschern. Seine Augen leuchten anders wie die letzten Male an dem ich ihn gesehen hatte. Vielleicht, weil ich ihm näher bin als sonst.
„Du hast mich nicht erschreckt." Seine wandelten Gesichtsausdrücke erschrecken mich vielleicht, aber nicht seine Anwesenheit.
„Ich dachte nur. Denn wenn es so gewesen wäre, war es keine Absicht."
Er faltet die Hände zusammen und nimmt seine typische Position ein.
Smaragdgrün, was an manchen Stellen von kleinen braunen Punkten unterbrochen wird. Anders kann ich die Farbe seiner Augen nicht definieren. Zumal ich jetzt wo er wegsieht, schon wieder vergessen habe wie sie aussehen. Ich denke nicht mehr daran ihm zu antworten. Ich schätze so langsam müsste er es gewöhnt sein.
„Du bist Schwester...?"
„Schwester?"
Er sieht mich an und schenkt mir ein breites Grinsen. Hoffentlich bemerkt er nicht wie seine bloße Anwesenheit meine Gedanken völlig durcheinander bringt.
„Na, ich dachte du arbeitest hier?"
„Wie kommst du denn darauf?" Ironisch grinse ich zurück und blicke an meinem Kittel herunter. Ohne mich erneut anzusehen lacht er verständnisvoll auf. Mein Tonfall hat meinen unfreiwilligen Aufenthalt hier wohl verraten.
Die Eiche unter der wir sitzen ist massiv. Wahrscheinlich steht sie hier schon ein paar Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte. Traurigerweise wirft sie dank ihrer großen Äste die voller Blätter hängen einen dementsprechend großen Schatten auf das Zentrum des Innenhofs. Trotzdem schafft es die Sonne zwischen den einzelnen Blättern hindurchzuscheinen und sprenkelt die Wiese mit Lichtflecken, wie wenn sie von einer Diskokugel kommen würden.
„Mella?!", hallt Claires Stimme panisch aus der Kantine. Sie hat wirklichen einen leichten Hang zur Hysterie.
„Ich glaube, ich werde gebraucht.", sage ich und stehe auf.
„Ich würde mich freuen, wenn du mich mal wieder besuchst, Mella." Seine Stimme klingt wie eine Melodie die eins mit den Vögeln, die im Hintergrund zwitschern, wird.
Verlegen lächle ich, mache dann einen Bogen um die Stelle an die er vorhin den Tausendfüßler hingelegt hatte und stakse zur Tür. Als ich mich noch einmal umdrehe, sehe ich ihn auf das Blumenbeet zulaufen.
„Hier bist du", sagt Claire, als ich fast mit ihr zusammenstoße.
Ich sehe zum ersten Mal in ihre zimtfarbenen Augen. Sie sehen traurig aus, obwohl sie mich anlächelt. Ihr Blick lässt Mitleid in mir aufkommen.
Sie gibt mir einen Schäler in die Hand und stellt die Schüssel mit den Kartoffeln vor mich auf die Ablage. Ich sehe diese an. Sie sind noch total schmutzig. Wahrscheinlich hat man sie nicht richtig gewaschen. Ich erwische mich dabei, wie ich mir ernsthaft Gedanken darüber mache, ob man den Dreck irgendwie weg bekommen könnte. Aus einem unerklärlichen Grund schweifen meine Gedanken zu ihm. Soul. Selten hat es überhaupt nur irgendjemand geschafft mich sprachlos, geschweigenden verlegen zu machen. Warum sollte ausgerechnet ein Junge in einer Anstalt für psychisch Kranke das hinbekommen? Das ist dumm und sehr unpraktisch. Ich habe wirklich einen Hang für unpassende Ereignisse. Das wahrscheinlich einzige Talent, welches ich besitze. Wütend über mich selbst trete ich an die Schränke der Küchenzeile. Dann beginne ich die Kartoffeln zu Schälen ohne sie erneut zu waschen. Die Psychos interessiert der Dreck, der womöglich zurückbleibt, so oder so wenig.


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