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Wochenenden bedeuten generell immer Stress. Ich mag es nicht, wenn die ganze Familie auf einem Haufen sitzt und man das Gefühl hat bei jedem Schritt beobachtet zu werden. Außerdem blieben Teklas Bemerkungen wegen Fabian nicht aus, das war zu erwarten.
Ich bin gottfroh als es Sonntagabend ist und es nur noch wenige Stunden sind, bis ich mich wieder ungehemmt bewegen kann. Nicht das es schrecklich ist, die eigene Familie um sich zu haben. Trotzdem ist mir oft die Anwesenheit von Kater und die Stille im Haus am liebsten.
Mum verpflichtet mich an diesem Abend Dad das Essen in sein Arbeitszimmer zubringen. Als ich mich weigere, lässt sie nicht locker und ich gehe schließlich mit einem Tablett in der Hand den Flur entlang und klopfe an der Tür.
Würde ich darauf bestehen, in meinem Zimmer zu essen mit der Begründung ich wäre gerade in meine Arbeit vertieft, gäbe es wahrscheinlich die nächste Familienkrise. Aber Dad darf das.
Als es auf mein Klopfen ein brummendes Geräusch von sich gibt, gehe ich hinein.
Er sitz an seinem Schreibtisch, grübelnd und mit dem Blick auf sein Computer gerichtet.
Es ist muffig und es riecht nach Kaffee. Ich bin nicht oft hier drin, meistens interessiert mich Dads Arbeit nicht. Er ist vernarrt in seinen Beruf (habe ich wahrscheinlich schon einmal erwähnt). Sogar so vernarrt, dass er sich freitags immer die Arbeit mit nach Hause nimmt, weil er einer der wenigen ist, der selten Wochenenddienst hat und genug Zeit hat um zu Hause weiter zu arbeiten.
Über seinem Schreibtisch hängt eine Pinnwand mit Bildern und ein paar Zeitungsausschnitten.
„Reis mit Hähnchen?", frage ich und komme auf ihn zu gelaufen.
Von seinem Schreibtisch aus sieht man auf die Garage der Nachbarn. Nichts weiter als ein backsteinfarbiger Klotz in dem Bobby (auch Bierbauch Bobby) seinen geliebten Mustang stehen hat. Wirklich, ich glaube er verbringt mehr Zeit mit seinem Auto als mit seiner Frau. Zumindest sehe ich ihn öfter mit dem Mustang und manchmal redete er sogar mit ihm. Abartig.

Dad nimmt mir das Tablett aus der Hand, lässt aber keineswegs seinen Blick von seinem Computer schweifen.
„Danke.", brummt er leise und ich war schon dabei aus seinem Zimmer zu laufen, als er sich ruckartig mit samt dem Stuhl umdreht.
„Mellanie." Ich hasse es, dass Dad mich mit meinem vollen Namen anspricht. Mellanie. Keine Ahnung warum ich nur negative Assoziationen dazu finde.
Ich drehe mich zu ihm um und sehe wie er mich zu sich herwinkt. Sein Bildschirm ist inzwischen dunkel.
„Ich habe Christian heute angerufen und ihm gesagt, dass du sehr gerne dieses Soziale Jahr in der Klinik machen würdest." Er schreibt während er redet etwas auf einen kleinen gelben Post-It.
„Was?", frage ich. Ich kann nicht glauben, dass Dad wieder über meinen Kopf hinweg Entscheidungen trifft.
„Es tut dir ganz gut, wenn du nicht jeden Tag aufs Neue zu Hause sitz und wartest wie bald du eine Zusage bekommst. Ein Jahr in dieser Klinik...", er reicht mir den Zettel, „...ist besser als ein verschwendetes Jahr."
Ich schaue erst ihn an, dann den Zettel. Er hat mir die Adresse und beste Straßenbahnverbindung aufgeschrieben. Ganz unten steht das Datum. In einer Woche.
„Ich mach das nicht, vergiss es." Schon zweimal nicht, wenn er es sagt.
„Du wirst das machen, Mellanie. Christian wird nicht umsonst ein gutes Wort für dich einlegen."
Er nimmt gelassen eine Gabel des Essens, sieht mich wieder nicht an, sondern blickt zu Bobby der in die Garage läuft.
„Er muss kein gutes Wort einlegen, ich habe es nicht von ihm verlangt."
„Aber ich habe es von ihm verlangt und ich verlange von dir, dass du nur einmal vernünftig bist und auf mich hörst."
Der Motor von Bobbies Mustang springt an. Wie das Geräusch einer Kettensäge. Die Kettensäge mit der ich Dad an dem Abend gerne ein Bein oder ein Arm abgesägt hätte.


Vielleicht auch morgenWhere stories live. Discover now