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Ich bin sehr froh über den Verlauf dieses Tages. Soweit es ging haben mich die Menschen in Ruhe gelassen. Erst als ich meine Birkenstock in den Spint, den ich mir mit Claire teile stelle, schwirrt sein Name in meinen Kopf. Soul.
Hört sich an wie ein Künstlername und nicht wie der eines Jungen in meinem Alter. Wobei, wie alt ist er denn überhaupt? Eigentlich weiß ich gar nichts über ihn und trotzdem fühlt es sich so selbstverständlich an über ihn nachzudenken.
Auf dem Weg nach draußen sehe ich noch einmal in den Innenhof und als hätte er sich kein Meter bewegt, steht er vor dem Blumenbeet und starrt es an.
Ich gehe nach draußen, wieder als wäre es selbstverständlich in seiner Nähe zu sein.
„Sie wachsen endlich.", beginnt er ohne sich zu mir umzudrehen. Zuerst frage ich mich, ob er überhaupt mit mir spricht oder ob vielleicht doch jemand neben ihm steht den ich wegen seiner hypnotischen Wirkung verdrängt habe.
Ohne ihn zu berühren spähe ich an seiner Schulter vorbei. Die Wärme seines Körpers an meiner Brust ist kaum zu spüren, lässt aber mein Herz doppelt so schnell schlagen.
Betreten versuche ich zu erkenne, von was er spricht. Erneut errät er meine Gedanken, obwohl er nicht einmal in mein Gesicht gesehen hat, seit ich hinter ihm stehe.
„Alraunen.", haucht er fast unhörbar.
„Al – was?"
„Alraunen. Die Wurzeln der Mandragora."
Ich reagiere nicht und werfe meinen Kopf in der Gegend herum, weil ich absolut keine Ahnung habe, von was er spricht. Er bemerkt es und mustert mich kurz. Dann beugt er seinen Kopf direkt auf die Höhe meines und wir sind uns plötzlich so nahe, dass ich nicht nur seine Wärme an meiner Brust, sondern auch auf der rechten Hälfte meines Gesichts spüre. Im Augenwinkel erkenne ich den leichten Bartansatz, der sein Gesicht perfekt konturiert.
Er streckte die Hand und den Zeigefinger aus und deutet auf ein kleines Pflänzchen in der hinteren Ecke des Beets.
„Die violette Pflanze dort."
„Wow, die ist ganz schön...Lila." Ich wusste nicht, was ich antworten sollte, weil er wie hypnotisiert von diesem Ding gewesen war.
Er lacht nicht als er die Hand zurücknimmt, sieht mich nicht einmal an als er zurück zur Tür läuft.
„Als du gestern sagtest, die suchen hier andauernd jemand, wie hast du das gemeint?", frage ich mit einem panischen Unterton um dieses Gespräch nicht so enden zu lassen. Ich hoffe er hat ihn überhört. Ich beginne ihm hinterher zu hechten.
„Wie ich das gemeint habe?"
In meiner Panik, bemerke ich nicht wie er stehengeblieben war und sich zu mir umgedreht hatte. Kurz bevor ich mit ihm zusammenstoße reagieren meine Synapsen doch noch.
Gleichgültig setzt er sich auf die Bank und nimmt seine Position ein.
„Die haben Angst, man hätte irgendwo 'ne Rasierklinge geklaut und würde sich damit etwas antun, nichts weiter."
Ich setze mich neben ihn.
„Diese Gedanken hat doch jeder, wenn ein psychisch Kranker verschwunden ist. Dabei wollen manche einfach nur fünf Minuten ihre Ruhe haben."
„Bist du deshalb immer hier draußen?
„Meistens. Hauptsächlich aber weil Doktor Destino mir das verschrieben hat. Es gehört zu meiner Therapie." Das Wort Therapie betont er und mir wird klar, dass er diesen ganzen Laden hier nicht ernst nimmt. Ich verdränge die Tatsache, dass wir uns immer noch in einer Psychiatrie befinden.
„Ein Baum?" Ich klinge ungewollt schockiert.
„Jemand der bleibt." Ich weiß nicht genau ob er nur so tut, oder ob er das was er sagt, wirklich ernst meint.
„Weil der Baum nicht weg kann?"
Ich glaube mir selbst kaum, als ich die Vermutung ausspreche. Wider zu erwarten nickt er. Ein süffisantes Lachen erhellt den Innenhof.
„Bescheuert, ich weiß."
Dann ist es wieder still und wir Beide starren die Glasfront des Gebäudes an. Je länger ich darauf sehe, desto deutlicher erkenne ich unsere Körper gespiegelt in der Scheibe. Klar kann ich erkennen, wie er mich durch die Scheibe ansieht.

„Mella? Soll ich dich mitnehmen?", unterbricht Claires Stimme unsere Stille, die so angenehm scheint. Sie muss aus der Kantine kommen. Obwohl ich nicht gehen will, sehe ich ihn entschuldigend an und sag ihr zu. Alles ist besser als Straßenbahn zu fahren.

Claire fährt mich bis vor meine Haustür. Im Auto habe ich versucht so viel wie möglich mit ihr zu sprechen, in der Hoffnung sie würde mich jetzt immer mit nehmen. Meine Laune hat sich gehoben. In der herbstlichen Abendsonne leuchten die orangenen Blätter des japanischen Ahorns noch heller. Glücklicherweise stört Bobby diesmal nicht die Ruhe in unserer Wohnsiedlung mit seinem ohrenbetäubenden Lärm seines Mustangs.
Mein Herz vollführt fast einen kleinen Tanz als ich sehe, dass kein Auto in der Auffahrt steht. Höchstens Tekla könnte zu Hause sein.
Entgegen meiner Theorie stehen Dads Schuhe im Hausflur. Die Tatsache, dass er vor acht Uhr abends zu Hause ist, macht mich stutzig. Ich halte kurz inne und höre. Aus seinem Büro höre ich das Tippen auf der Tastatur.
Ich bin leiser als sonst als ich meine Sneakers von den Füßen streife und meinen Parka an die Garderobe hänge. Fast auf Zehenspitzen und kaum hörbar schleiche ich zu seinem Büro und spähe hinein. Er hat mir den Rücken zugedreht und trotzdem reagiert er blitzartig. Wie in Überschallgeschwindigkeit drückt er auf den Off-Knopf des Bildschirms und dreht sich mit samt Bürostühl zu mir um.
„Wer hat dich nach Hause gebracht?" Er denkt immer noch, ich würde ihn belügen und nicht jeden Morgen brav in die Klinik fahren. Den Gedanken an Soul verdränge ich gekonnt.
„Danke das du so Misstrauisch bist und mir hinterher spionierst."
Ich mache kehrt. Kurz bevor ich ausrutsche fange ich mich glücklicherweise noch. Dieser verdammte glatte Boden und meine Füße in Socken stellen eine weniger gute Kombination dar.
„Ich kenne dich, Mellanie."
Missmutig stapfe ich die Treppe nach oben. Keine fünf Minuten zu Hause und schon ist meine gute Laune verflogen.
„Wecke mich, wenn das Haus abbrennt oder sonst was spannendes hier passiert."
Was er antwortet höre ich nicht mehr, weil ich schon die Zimmertür hinter mir geschlossen habe.

Ich weiß nicht ob es der Geruch nach Essen war, dermich aufweckt. Jedenfalls war es schon dunkel vor meinem Fenster und ich quälemich überhaupt einen Schritt aus dem Bett zu wagen. Jedoch hab ich unglaublichHunger und einen wirren Traum, den ich nicht noch weiter träumen möchte.
Tekla sitzt mit Kater vor dem Fernseher und Mum steht in der Küche. Sie schiebtmich zur Seite, als ich ihr hungrig über die Schulter spähe.
„Essen gibt es in zehn Minuten und keine Sekunde früher."
Sie wedelt mit dem Kochlöffel vor meinem Gesicht herum.
„Ich werde verhungern. Ich werde verhungern in diesem Haus.", sage ich theatralisch,lasse mich auf den Küchenstuhl fallen und schlage mir die Hand vor die Stirnund den Kopf in den Nacken.
Ich Augenwinkel erkenne ich meine gestreifte Bluse auf dem Tisch liegen.Gleichzeitig frage ich mich, was die hier zu suchen hat. Im nächsten Momentfällt es mir wieder ein. Chyra hatte sie seit ungefähr einem halben Jahrausgeliehen und mir nie zurück gebracht.
„Hat Chyra die vorbeigebracht?", frage ich irritiert.
„Ja, vor ungefähr einer halben Stunde."
„Was? Wieso hast du mich nicht geweckt?"
Mum rührt einige Sekunden nur im Topf mit den Nudeln im Salzwasser.
„Sie hat darauf bestanden, dass wir dich nicht wecken. Zudem hatte ich dasGefühl sie war nicht wegen dir hier." In ihre Stimme lag dieser ich-brauche-dringend-eine-NotlügeTon.
Sofort fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Tekla und sie machen geheimeSachen. Und ich glaube ein schmieriger Typ namens Fabian spielt die Hauptrollein ihrem Verkuppelungsplan.
Wütend springe ich auf und stampfe Richtung Wohnzimmer.
„Tekla du kleine Kröte.", motze ich lautstark und stürme hinein.
Zu meinem Bedauern, ist Kater der einzige der sich noch im Zimmer befinden undder gafft mich nur verschlafen an.
Auf 180, weil ich es hasse, wenn man über meinem Kopf hinweg bestimmt, rase ichzu Dad ins Arbeitszimmer. Weit kann sie noch nicht gekommen sein.
Das Schicksal meint es allerdings heute sowas von böse mit mir, denn auch dortwar weder Tekla noch Dad.
Als ich schon fast den Raum wieder verlassen habe, fällt mir das Bild auf DadsBildschirm auf, der ausnahmsweise nicht ausgeschaltet ist.
Irgendetwas daran macht mich neugierig. Dad schwärmt ungefähr jeden Abend einehalbe Stunde von seinem neuen Fall. Ich glaube, er will Mum mit seinem Gelaberüberzeugen. Überzeugen davon, die neue Stelle als Oberkommissar gut zu heißen.
Kurzzeitig vergesse ich die Wut auf Tekla und Chyra. Obwohl ich jetzt direktvor dem Bildschirm stehe und ihn anstarre, kann ich nicht entziffern was es darstellensoll. Sieht aus wie der Lenker eines Rollers. Eines weißen Rollers, der imblauen Meer schwimmen gegangen ist.
Ich lege meinen Kopf schräg und versuche krampfhaft zu entziffern was da vormir auf dem Bildschirm zu sehen war. Schritte auf der Treppe lassen michhellhörig werden. Dad sollte mich auf keinen Fall hier in seinem Büro sehen undvor allem sollte er nicht mitbekommen, dass ich mich soeben erfolgreich inseine Ermittlungen eingemischt habe. Die einzige Bedingung die er an unsstellte, war nämliche genau die, niemals in seine Unterlagen zu sehen,geschweige denn sich einzumischen.
Ich bin gerade dabei das Zimmer zu verlassen, da sehe ich Tekla, die im Flur an der offenen Tür desArbeitszimmers vorbeihuschte und die Treppe hoch gesprintete. Im gleichen Momentweiß ich wieder wieso ich noch vor zwei Minuten auf Hundert Achtzig gewesen bin. 

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⏰ Last updated: Oct 25, 2016 ⏰

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