Kapitel 113

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Irgendwann schlief ich dann trotzdem. Mario musste später die Vorhänge zugezogen haben. Den ganzen Tag war es ruhig im Haus, nicht einmal Jonas rührte sich. Gegen Mittag hörte ich Felix in der Küche reden, was mich zum Aufstehen brachte. "Hallo", meinte ich leise und stellte mich an die Anrichte. Felix nickte mir nur zu und schaute aus dem Fenster. "Willst du dann nochmal ins Krankenhaus fahren?", fragte ich ihn vorsichtig. "Wir warten bis Marco aufgewacht ist und dann gehen wir los", ordnete er an und verschwand im Badezimmer. Mario warf mir nur einen überlegten Blick zu und schaute aus dem Fenster. "Du schaust hübsch aus heute", flüsterte er und gab mir einen Kuss auf die Backe. "Danke", entgegnete ich mit einem gequälten Lächeln. Wenige Augenblicke später kam auch Marco herein, fertig angezogen und einer Sonnenbrille auf. "Gehen wir los?", war seine erste Frage und ehe ich antworten konnte hatte er seine Schuhe schon an. "Auf gehts", schaufte ich und zeigte in Richtung der Tür. Auf dem Weg ins Krankenhaus sagte niemand etwas, Marco kaute am Rand seines Kaffeebechers herum und Felix auf der Rückbank schaute verschlafen aus dem Fenster. "Ann-Kathrin Gentzel", meldeten wir uns an der Rezeption und Marco und Felix rannten fast auf die Station. "Wie geht es dem Kind?", fragte Felix sofort, als wir fast mit der Krankenschwester zusammenstießen. "Die Lage ist unverändert", begann sie und öffnete uns die Tür. Der gleiche Anblick wie gestern. "Was heißt das jetzt?", fragte Marco. "Es hört sich zwar nicht so an, aber es ist ein kleiner Fortschritt, Louis hat die Nacht überstanden und wir werden bald beginnen ihn aus dem künstlichen Koma zu befreien", erklärte sie und prüfte einige Schläuche an Louis' Körper. "Und Anni?", wollte er dann wissen und setzte sich neben sie. Die Krankenschwester atmete schwer und schaute meine Schwester prüfend an. "Wir müssen warten, bis sie aus dem Koma aufwacht und wir haben keine Ahnung wie lange das dauert", antwortete sie. Marco nickte niedergeschlagen und strich über Annis Kopf. "Sie wird aufwachen", meinte ich und setzte mich neben ihn. "Was macht dich da so sicher?", fragte er und schaute mich an. "Ich hab schon mein Kind und meine Mutter verloren, die lassen es nicht zu, dass ich auch noch meine Schwester verliere", meinte ich kurz und stand auf um zu Louis hinüber zu laufen, "und auch meinen Neffen nicht". Mit diesen Gedanken fuhr ich die nächsten zwei Wochen jeden Tag von früh bis nachts ins Krankenhaus und setzte mich neben die zwei Betten. Felix und Marco hingegen schauten der ganzen Sache eher pessimistisch entgegen. Auch wenn Louis große Fortschritte machte verbesserte sich nichts am Zustand meiner Schwester. Nach 16 Tagen wurde es Felix zum ersten Mal erlaubt seinen Sohn auf den Arm zu nehmen. Die Ärzte hatten ihn tatsächlich wieder einigermaßen aufgepäppelt. "Komm zu Papa", flüsterte die Krankenschwester, als sie ihm aus dem kleinen Bett nahm und ihn zu Felix übergab. Louis schrie nicht, okay er schrie eigentlich nie, sondern hatte seine Augen geschlossen. Mit klapprigen Armen legte Felix seinen Sohn an seine Brust und schaute auf ihn hinunter. "Er ist wunderschön", meinte ich und ließ die beiden alleine. Marcos müde Augen schweiften durch den Raum und auf einmal sprang er auf. "Nein!", rief er und lief zu Annis Bett, "Anni hallo! Schatz, hörst du mich!?" Aufgeregt fuhren wir herum und sahen, dass ihre Augen geöffnet waren. "Oh mein Gott", flüsterte ich und setzte mich auf die andere Seite. Die Krankenschwester war genauso verblüfft und rief sofort einen Arzt. Meine Schwester reagierte überhaupt nicht, sondern schaute mit leerem Blick an die weiße Wand. "Schatz!", rief Marco nochmal, klatschte gegen ihren Backen und winkte vor ihren Augen herum. Wenige Augenblicke später kam ein Arzt herein und schaute sich den Monitor an. "Wie ich befürchtet hatte", seufzte er und leuchtete mit einer Lampe in ihre Augen, "Wachkoma". "Ach du scheiße", zischte Felix im Hintergrund und Marco lehnte sich angestrengt zurück. "Was passiert jetzt, wacht sie wieder auf?", wollte er wissen und winkte noch ein letztes Mal vor ihren Augen hin und her. "Also gut", schnaufte der Arzt und setzte sich mit ans Bett, "wenn sich eine Person im Wachkoma befindet, dann kann das Jahre dauern, aber vielleicht auch nur einige Tage", während er erklärte fuchtelte er heftig mit seinen Händen, "aber natürlich besteht das Risiko, dass sie nie wieder aufwachen". "Kann sie uns jetzt hören, also so ist das doch, jedenfalls in Filmen", wollte Felix wissen. "Ja, Studien und Berichten zufolge bekommen diese Patienten tatsächlich etwas mit, es kann auch sein, dass sie zuckt oder den Kopf dreht", antwortete er. Schlagartig beugte sich Marco wieder über meine Schwester und schaute ihr tief in die Augen. "Christina, sie müssten kurz mit rüber kommen", meinte der Arzt dann und die Krankenschwester sprang sofort auf. Ich wusste nicht auf was ich mich konzentrieren sollte, Anni, Louis oder auf mein klingelndes Handy. Als mich Marco nach einigen Augenblicken genervt aus meiner Trance holte schreckte ich auf und lief aus der Tür. "Ja?", fragte ich mitgenommen und setzte mich auf eine Bank. "Ich bins", meldete sich Mario, "was ist denn los?" "Louis ist stabil", begann ich und fuhr mir durch die Haare. "Das ist doch ein Wunder!", rief er, "wies.."-"Anni liegt im Wachkoma", erklärte ich noch kurz. "Ist das besser oder schlechter?", wollte Mario wissen. "Keine Ahnung, man vergleicht eigentlich scheiße mit beschissen", meinte ich. "Ich hab gute Nachrichten", meinte einer langen Zeit des Schweigens. "Was gibts? Wie geht es den Kindern?", wollte ich wissen. "Gut", antwortete er kurz, "Fabian und Irina haben Nachwuchs". "Gerade eben?!", fuhr ich auf einmal hoch. "Vor ein paar Stunden, vielleicht schaust du mal vorbei", meinte er und lief durch die Wohnung. "Wie heißt er denn?", wollte ich wissen. "Elias", antwortete er. "Okay, danke bis heute Abend", verabschiedete ich mich und nahm noch ein "Ich liebe dich" mit. "Fabian hat gerade Nachwuchs bekommen", erzählte ich, als ich den Raum wieder betrat. "Was?!", fuhr Felix herum. "Mario hat mich gerade angerufen", meinte ich, "wir können ja später mal vorbeischauen". Marco reagierte überhaupt nicht. Er wohnte inzwischen in Annis neuer Wohnung in Grünwald und hatte seitdem kein einziges Mal beim Training vorbeigeschaut, die Presse stand Kopf. "Marco kommst du mit zur Cafeteria?", fragten wir gegen Mittag, als wir alle langsam Hunger bekamen. "Jenna wir dürfen sie doch jetzt nicht alleine lassen", schüttelte er den Kopf, "sie bekommt alles mit". "Sie schnappt ein Bisschen was auf wenn du Glück hast", wandte Felix ein. Marco warf ihm einen bösen Blick zu. "Wir bringen dir was mit", redete ich dazwischen und zog Felix aus der Tür. In der Cafeteria kannten wir uns aus, hatten sogar schon unseren Stammplatz. "Ist das..?", rief Felix auf einmal und sprang auf, um in Richtung der Theke zu rennen. Er umarmte jemanden, erst jetzt erkannte ich Fabian. "Na du frisch gebackener Papa", grinste ich, als er auf mich zukam, "Herzlichen Glückwunsch euch Beiden". Nachdem wir uns beide wieder auf den neuesten Stand aktualisiert hatten kaufte ich noch ein Brötchen und nahm es mit hoch ins Krankenzimmer. "Wie lange willst du das denn jetzt durchziehen?", schnaufte ich und drückte Marco sein Essen in die Hand. "Solange bis sie aufwacht", entgegnete er und strich Anni über den Kopf. "Das kann Ja.."-"Es ist mir scheiß egal wie lang es dauern kann, wenn ich irgendwas dafür machen kann, dass sie aufwacht, dann mach ich das", unterbrach er mich und biss genervt in das Brötchen. "Du musst aber auch wieder Fußball spielen", meinte Felix, "das Leben geht weiter". "Du bist doch nur froh, dass Louis gesund ist", schüttelte Marco den Kopf, "und mir ist schon klar, dass du jetzt ein normales Leben starten kannst". "Das ist doch Unsinn", wendete ich ein, "du.." -"Jenna du bist schwanger, kümmer dich doch einfach nur mal um dich", flüsterte Marco. "Spinnst du jetzt?", entgegnete ich und sah Marco aufgekratzt an. "Was soll denn das jetzt?", fragte Felix, der schon wieder Louis auf dem Arm hatte, "Streit bringt uns keinen Schritt weiter". Niemand antwortete. Am späten Abend verließen Felix und ich das Krankenhaus, Marco hatte inzwischen ein Besucherzimmer im Krankenhaus bekommen. Als ich neben Mario auf die Couch fiel hatte ich keine Lust irgendetwas zu machen, nicht einmal ihm vom Tag zu erzählen. "Du musst dich auch wieder mehr um dich kümmern Jenna", meinte er auf einmal und strich über meinen Bauch. Unsere Tochter spielte verrückt. "Seit wann ist sie denn so extrem?", wollte er wissen. "Ach schon eine ganze Weile, bin dran gewöhnt", entgegnete ich und nahm seine Hand von meinem Bauch. "Wieso bist du denn so gereizt?!", fuhr er mich von der Seite an. "Weil es nichts Neues für mich ist, die Tritte okay?!", schrie ich zurück und stand auf. "Es tut mir leid, du bist den ganzen Tag nicht da und dann will ich zwei Worte mit dir wechseln und dann tickst du jeden Abend aus!", giftete er, "Mann das kotzt mich an!" "Meine Schwester liegt im Koma, was willst du denn von mir!?", wollte ich wissen und merkte, wie sich die Wut in mir aufstaute. "Sie wacht aber trotzdem nicht auf, wenn ihr wie drei heilige wahrscheinlich Jahre an ihrem Bett sitzt und Händchen haltet!", Warf er mir an den Kopf. "Sie wacht wieder auf!", brüllte ich zurück und merkte, wie mir Tränen in die Augen kamen. "Natürlich tut sie das Jenna, aber ihr müsst nicht jeden Tag neben ihrem Bett sitzen, eine Person reicht!", versuchte Mario zu erklären, "ihr habt doch alle drei Verpflichtungen! Marco wird in der Presse schon mies behandelt, weil er nicht mehr zum Training kommt, Felix war auch gefühlt zwei Mal und du hast auch deine Arzttermine sausen lassen". "Marco ist psychisch dazu gar nicht in der Lage!", meinte ich, "und Feli.." -"Jenna es geht um dich!", unterbrach er mich wieder. "Hör auf mich ständig zu unterbrechen!", brüllte ich ihn an und stampfte auf den Fußboden. "Du bist schwanger Mädchen!", entgegnete er, kein Stück leiser. "Es dauert aber noch mindestens einen Monat, bis es soweit ist", versuchte sie sich heraus zu reden. "Wir haben schon mal ein Kind verloren, jetzt schon dich mal ein Bisschen!", warf er mir an den Kopf und drehte sich beleidigt von mir weg. "Anni ist meine Schwester, was würdest du machen, wenn Felix vielleicht sterben würde!", heulte ich. "Ich wüsste auch nicht, was ich machen würde, aber ich bin nicht schwanger!", fuhr er herum, "es ist gut, dass ihr bei Anni seid, aber du kannst nicht einfach deine Termine nicht wahrnehmen!" "Es waren zwei Frauenarzttermine!", schnaufte ich, "fahr runter!" "Fahr runter?! Ich sitze seit zwei Wochen mit Philipp und Jonas zu Hause, Dani muss jeden Tag babysitten, weil ich zum Training muss, Philipp macht seine Hausaufgaben nicht mehr, Jonas weint die ganze Zeit, Jenna ich schaff das nicht alleine", jammerte er, "und dann noch die ständige Angst um unsere Tochter, ich hab so Angst, dass wieder was schief läuft". "Es wird alles gut", antwortete ich und drehte mich um. Ich konnte im Moment nicht nett zu Mario sein. Er war nur zwei Mal im Krankenhaus und hatte keine Ahnung von der ganzen Situation. "Du hast Philipp seit zwei Tagen nicht mehr gesehen, falls es dir aufgefallen ist!", schrie er mir nach. "Leck mich doch einfach mal am Arsch Mario, mir geht es ungefähr genauso scheiße wie dir, kack mich nicht von der Seite an!", brüllte ich durch die ganze Wohnung, "meine Schwester schwebt zwischen Leben und Tod!" "Deine Tochter auch bald, wenn du nicht langsamer machst", meinte er und stand auf einmal neben mir, "ich hab dir morgen einen Termin bei deinem Frauenarzt gemacht, um zehn Uhr. Und wehe du gehst nicht hin". Völlig aufgewühlt stieß ich ihn weg und lief auf den Balkon. "Ich muss bei Anni bleiben", schüttelte ich den Kopf und schaute in die Nacht hinaus. "Deine Eltern sind ab morgen auch in München", erklärte Mario von innen, "dann kannst du doch mal Zuhause bleiben". "Sabine ist nicht meine Mutter", fuhr ich ihn an. "Das hab ich doch gar nicht gesagt", entgegnete Mario. "Du hast Deine Eltern gesagt", rief ich. "Tut mir leid, dann eben Dein Vater und Sabine", versuchte er sich zu entschuldigen. "Komm, erspars dir", winkte ich ab. "Was willst du heute eigentlich von mir?", rief er und stellte sich neben mich auf den Balkon. "Ich hab nurnoch einen Vater, weil meine Mutter, die hab ich auch verloren!", schrie ich ihn an, "und ich tu alles dafür, dass ich nicht noch meine Schwester verlieren muss". "Ich habs verstanden", entgegnete Mario desinteressiert und ging wieder nach Innen. "Na endlich!", brüllte ich ihm nach. Ich war auf 0, aber irgendwie auch auf 180.

Hallo, endlich mal wieder was von mir. Meine Weisheitszähne sind raus & deshalb hab ich viel Zeit um zu schreiben, viel Spaß und kommentiert :)♥

Love never runs out (Mario Götze FF - ON HOLD)Where stories live. Discover now