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Mit einem "Ihr dürft gehen." wurden die Schüler aller Altersstufen aus dem stickigen Raum entlassen.

Es war bereits sechs Uhr, als Luke in den Bus stieg, der ihn nach Hause bringen würde. Eigentlich sollte er schon seit einer Stunde daheim sein, aber dieses beschissene Nachsitzen war natürlich an seiner Verspätung schuld. Eigentlich sollten seine Eltern langsam wissen, dass er immer mindestens an einem Tag in der Woche zu spät kam, aber stattdessen gab es wieder Streit in der Familie, die gar keine richtige Familie mehr war. Sein Vater war drogenabhängig, während seine Mutter starke Alkoholprobleme hatte. Seine älteren Brüder waren schon ausgezogen, aber er selber war noch keine achtzehn Jahre alt und somit hatten seine Eltern noch Aufenthaltsbestimmung über ihn. Jugendamt konnte auch nicht helfen. Hier im Block war das normal, und er war kein Sonderfall.

Als Luke die Haustüre hinter sich schloss, verstummten die Stimmen aus der Wohnung nicht, wurden aber durch die Wand etwas gedämpft. Der Lift, der am Ende des Ganges lag, funktionierte immer noch nicht, und deswegen rief Luke schnell den Techniker an, der versprach, morgen vorbeizukommen. Es war ja nicht das erste Mal.

Er fuhr sich durch die blonden Haare während er durch das Treppenhaus lief, dessen Wände mit Graffiti vollgeschmiert waren. Ab und an traf er einen der Bewohner, denen er geschickt aus dem Weg ging.

Als er schließlich im 33. Stock, dem letzten Stock, angekommen war, stieß er auf eine Sackgasse. Ein Schloss versperrte das Gitter, dass zwischen ihm und seinem Ziel lag. Luke fluche leise und trat gegen das Eisengitter, dass schon verrostet war. Es knarrte als das Tor aufschwang.

Verwirrt öffnete Luke das Tor weiter und trat hindurch, bevor er sich das Schloss genauer ansah. Es war bereits aufgebrochen und sollte nur so aussehen, als wäre es noch heil. Luke schloss das Tor wieder hinter sich und wischte seine Hände an seiner Hose angeekelt ab um den Rost loszuwerden, der an seinen schwitzigen Händen kleben geblieben war. Um die Ecke herum führte die Treppe weiter hoch und endete an einer Falltüre, die Luke mit Leichtigkeit aufdrückte.

Er war auf dem Dach angelangt und sobald er etwas weiter hinausschaute, pfiff der Wind ihm um die Ohren. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.

Der Ausblick aus dem 18. Stock war schon atemberauben, aber das hier war einfach unglaublich. Kein Zaun schützte vor dem Abgrund und so saß der blonde Junge nun an der Kante, die Füße in die, gefühlt, ewige Tiefe hängend und auf die leuchtende Stadt vor sich blickend.

Er hörte die Autos hupen und sah eine Gruppe von Jugendlichen, die einen anderen Typen verprügelten. Er konnte selbst aus der Entfernung erkennen, dass er Ashton war, der den Jüngeren gegen die Wand drängte und ihm ins Gesicht schlug. Plötzlich hörte er ein Geräusch neben sich, aber anstatt sich umzudrehen, sah Luke weiter auf Sydney. Der gebürtige Australier war von dem Anblick viel zu sehr gefesselt.

Wie Seile legten sich die Lichter der Stadt um ihn und zwangen ihn, dort hinzusehen, wo sie am hellsten leuchteten. Erst als er aus dem Augenwinkel ein knalliges rot sehen konnte, drehte er seinen Kopf zur Seite, wandte seinen Blick von der Stadt ab, und sah zu dem Jungen aus dem 21. Stock, der zu einer der Gangs gehörte.

Michael.

(10.06.2016) #1YearSinceOTRAVienna Ich bin tot.

rooftop talks. →muke clemmingsDonde viven las historias. Descúbrelo ahora