04. New cohabitant

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Nachdem wir ein Stockwerk unter dem Atrium aus dem Fahrstuhl getreten waren, führte Florian mich nach links, wo wir in einem Treppenhaus eine weitere Etage tiefer gingen. Als wir wieder auf einem Gang waren, klopfte er an der dritten Tür von rechts und betrat das Studio. Es waren einige Mikrofone aufgebaut, doch was einem zuerst ins Auge fiel war der große, schwarze Flügel, an welchem ein zierliches Mädchen saß. Sie konnte höchstens siebzehn Jahre alt sein, jedoch schätzte ich sie eher auf sechzehn. Sie hatte auf unser Eintreten hin aufgehört zu spielen und drehte sich um. Ihre langen, schwarzen Harre, die blasse Haut und die zu Schlitzen verzogenen Augen ließen auf eine asiatische Herkunft schließen. Anmutig erhob sie sich und schritt zu uns hinüber.

„Hey Flo, und du musst Lena sein", begrüßte sie uns, umarmte meinen Begleiter und reichte mir ihre Hand. „Ich bin gleich fertig, ihr könnt ja beim Schlusspart zuhören wenn ihr wollt", schlug sie vor. Während sie sich wieder an den Flügel setzte, holte Flo uns zwei Hocker, auf die wir uns setzten und ihr zuhörten.

Meine erste Reaktion auf ihr Geklimper war: „Gosh!" Zum Glück hatte ich das nur gedacht und nicht laut ausgesprochen. Sie spielte unglaublich gut und ihre Finger flogen wie selbstverständlich über die Tasten. Hinter so einer Leistung musste viel Talent und viel Arbeit stecken, da war ich mir sicher.

Sie hatte das Einspielen schnell beendet, es war tatsächlich nur noch ein kurzer Part gewesen, den sie dreimal wiederholt hatte. Dann ging sie, nachdem sie ihre Jacke angezogen, ihre Tasche genommen und das Licht ausgeschaltet hatte, mit uns aus dem Raum. Wir stiegen zu dritt die Treppe hoch und betraten schließlich den Fahrstuhl.

„Willst du mit der Tube, dem Bus oder dem Taxi zur Wohnung fahren? Zum Laufen hast du bei Regen wahrscheinlich eher keine Lust, oder?", fragte Lilly und musterte mich aufmerksam.

„Nicht wirklich", gab ich zu. „Also ein Taxi wäre schon cool." Ich hatte schließlich noch keine Zeit gehabt, mir eine Monatskarte für den öffentlichen Nahverkehr in London zu kaufen.

„Okay", lächelte sie mich an. „Du bleibst sechs Wochen, richtig?"

„Ja, meine gesamten Sommerferien", bestätigte ich.

„Cool, ich hätte das mit vierzehn auch gern gemacht. Naja, ich war damals auf einer Klavierfreizeit, das war auch nicht gerade schlecht", grinste sie.

„Die letzten zwei Wochen bin ich übrigens bei Verwandten in Japan, aber es wird immer mindestens eine von den anderen Mädels da sein. Fee ist gerade in Australien auf einer Tour wo sie Schlagzeug spielt und Sandy in Kanada auf einem Cello-Kongress. In deiner dritten und vierten Woche sind wir sogar alle da, was ganz selten vorkommt in letzter Zeit", erklärte sie mir.

„Du musst mir das, glaube ich, alles aufschreiben. Ich werde mir das sonst nie merken", seufzte ich aufgrund der viele Informationen.

„Nicht schlimm. Hauptsache du vergisst nichts von dem, was Simon zu dir sagt", fügte sie hinzu. Im Erdgeschoss stiegen wir aus dem Fahrstuhl und Flo verabschiedete sich von mir.

„Ich arbeite noch ein bisschen. Lilly zeigt dir alles Restliche, wir sehen uns garantiert die Tage", sagte er und umarmte mich zum Abschied.

„Ciao, Flo", verabschiedete ich den Mitarbeiter ebenfalls, er umarmte noch Lilly und stieg dann wieder in den Fahrstuhl.

Lilly rief Vicky, der Sekretärin, ebenfalls ein „Bye!" zu und zog mich dann aus dem Headquarter. An der Straße blieb sie stehen und winkte uns ein Taxi. Es hielt fast sofort eins, und ich bewunderte sie für die natürliche Autorität, die sie trotz ihres jungen Alters ausstrahlte. Ich hätte garantiert mindestens eine halbe Stunde am Straßenrand gestanden, ohne dass ein Taxifahrer mich auch nur angesehen hätte. Wir stiegen in das Gefährt und Lilly nannte die Adresse der Wohnung.

„Wie alt bist du eigentlich?", erkundigte ich mich bei meiner zukünftigen Mitbewohnerin.

„Sechzehn, wieso?"

„Weil ich mich wundere, warum du schon arbeitest. Müsstest du nicht eigentlich noch zur Schule gehen?" Sie lächelte mich an.

„Einer von Simons Komponisten hat mich auf der vorhin erwähnten Klavierfreizeit entdeckt. Simon hat mich eingeladen und vorspielen lassen", erklärte sie. „Als ich die zehnte Klasse abgeschlossen habe, hatte ich bereits einige Jobs für Simon in meinen Ferien erfolgreich erledigt und er hat mir vorgeschlagen, die Schule zu beenden, also ohne die A-Levels bestanden zu haben, und einen Vertrag bei ihm zu unterschreiben. Das habe ich getan, und jetzt bin ich hier. Vielleicht mache ich dann irgendwann noch meinen Abschluss nach, um Musik beziehungsweise Klavier zu studieren, mal schauen. Der Vertrag geht jetzt erstmal für drei Jahre, damit bin ich ziemlich zufrieden", schloss sie.

„Cool. Ich wünschte, ich könnte es in zwei Jahren auch so machen", hoffte ich. „Aber dafür müsste ich erstmal richtig gut in etwas Musikalischem werden, was ich leider nicht bin. Ich verliere immer nach spätestens drei Jahren die Lust an einem Instrument und fange an, ein Neues zu erlernen", gestand ich der Pianistin.

„Das ist doch auch nicht schlecht", baute sie mich auf. „Wir haben viele vielseitige Leute bei uns. Aber erstmal hast du ja jetzt sechs Wochen Zeit, um dich bei unserem Chef einzuschleimen", zwinkerte sie mir zu.

„Das habe ich nicht vor!", protestierte ich.

„So habe ich dich auch nicht eingeschätzt. Aber irgendwann musst du mir mal verraten, wie du an dieses Praktikum gekommen bist. Normalerweise nimmt Simon keine Schülerpraktikanten, außer natürlich sie haben eine besondere Begabung", wunderte sie sich.

„Ich glaube Demi Lovato oder jemand, den sie hier kennt, hat ihm erzählt, ich wäre total musikbegabt und könne einfach alles, was mit diesem Bereich zusammenhängt", erläuterte ich der Schwarzhaarigen. Nun ja, eins konnte ich definitiv nicht, und das war das Songschreiben. Egal wie oft ich es versuchte, irgendwie kam immer etwas total Langweiliges dabei heraus. Demi fand meine Songs klasse, aber das sagte sie mir wahrscheinlich nur, um mich aufzubauen. Die Melodien waren einfach immer dasselbe, und Begleitungen konnte ich noch nie gut schreiben. Demi war auch eine der Einzigen, die überhaupt wussten, dass ich versuchte, Melodien zu erfinden, was ich ganz gut fand. Alles andere wäre einfach nur peinlich. Im Tonstudio bei meinem Onkel beschränkte ich mich auf das Aufnehmen von Covern, klassischer Musik oder kurzen Geschichten. Bisher hatte ich nur einen eigenen Song aufgenommen, zu dem Demi mir die Begleitung geschrieben hatte.

„Das erklärt alles. Niall kann sehr überzeugend sein, wenn er will. Mit seinem Hundeblick hat er bis jetzt alles geschafft." Damit hatte sie nicht nur sich selbst, sondern auch mir erklärt, wie ich an dieses Praktikum gekommen war. Dankeschön, Niall Horan, auch wenn ich dich noch nicht kenne, hast du mir sehr geholfen! Laut Demi war Niall supernett, also hoffte ich natürlich darauf, ihn hier irgendwie zu treffen. Mal abgesehen davon, dass ich ein riesiger Fan seiner wunderschönen Stimme und seiner Fähigkeiten als Gitarrist war.

Don't worry about the age (in a friendship)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt