Die Verführung (Auszug)

605 6 2
                                    

Mylady,

Ihre Beobachtungen decken sich zweifellos mit meinen, und es gebieten Sitte und Anstand, dass die Umstehenden ein gewisses Maß an Zurückhaltung wahren.
Es kann und darf auch nicht anders sein, denn jede Person, die es wagt, unsere Konversation auf negative Weise zu stören, wird meinen Degen zu spüren bekommen!
Doch hoffe ich, dass Sie mich nun nicht für ein Rauhbein und einen verwegenen, geistlosen Abenteurer halten. Abenteurer bin ich schon, doch bin ich ein Abenteurer des Herzens, der alles, was er tut, im Grunde seiner Seele danach abwägt, was das Herz gebietet, und so entscheidet sich mein Schicksal.

Ihre Bescheidenheit ehrt Sie, edle Dame, doch ziemt es sich nicht, Ihnen diesmal nicht zu widersprechen: die Schönheit Ihrer Worte ruft das im Vergleiche blasse Echo meiner Worte hervor, doch gestatte ich mir, das Mondlicht im Angesicht Ihrer Sonne zu sein - so bin ich zufrieden.

Es schmeichelt mir sehr, dass Sie unsere Konversation genießen, und ich wage kaum zu hoffen, Ihnen an diesem Orte häufiger zu begegnen - doch mein Herzschlag beschleunigt sich, wenn ich nur daran denke, dass dies möglich sein könnte, und in dem, was ich begehre, vergesse ich mich selbst und erröte vor Ihnen. Ich laufe Gefahr, ein offenes Buch vor Ihnen zu sein, und so sehr es mir einerseits gefällt, dass Sie auch meine geheimsten Gedanken kennen mögen, so sehr erfüllt mich dieser Umstand auch mit Scham. Doch seien Sie gewiß, dass ich bei aller Begierde die besten Absichten hege.

Louis Cyphre

aus: Die Verführung, oder: Als Rotkäppchen nicht dem bösen Wolf, sondern dem Teufel begegnete

LUST.Where stories live. Discover now