Kapitel 38

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Kapitel 38

Verschlafen richte ich mich auf.

Wo bin ich?

Warum bin ich nackt?

Ich sehe auf den ebenfalls nackten Körper neben mir.

Leo?

Ich wickle die Decke enger um mich.

Wow, wie kann er gleichzeitig so süß, heiß und ,durch seine Tattoos, gefährlich aussehen?

Sein Arm liegt auf der Höhe von meinem Kopf und ich mache es mir darauf bequem.

Gedankenverloren streiche ich über die Tattoos auf seiner Brust.

Was sie wohl bedeuten?

Sollte ich mir auch ein Tattoo stechen lassen?

Ich habe schon oft darüber nachgedacht.

Ich könnte es als Neuanfang sehen.

Sowie wenn Frauen sich die Haare nach einer harten Beziehung färben, steche ich mir nach einem harten Leben einfach ein Tattoo.

Nur was?

Vielleicht kann mir Leo ja dabei helfen.

Sein Atem wird unregelmäßig.

Er ist wach.

Ich höre auf mit dem Streicheln, doch sofort erklingt seine raue, verschlafene Stimme: "Hör bitte nicht auf."

Etwas verwirrt mache ich weiter und lande bei einem Tattoo, eines Kindes.

Es liegt direkt unter seinem Herzen.

Es ist ein Mädchen, doch die eine Hälfte ihres Gesichtes ist nur ein Skelett.

Der Totenkopf ist schwarzweiß und das Mädchen bunt.

"Was bedeuten das?", murmel ich gegen seine Schulter.

Er legt seine freie Hand auf meine und verschränkt unsere Finger miteinander.

"Es steht für das Schöne und das Hässliche in uns.

Für die Vergangenheit und die Zukunft.

Für das was wir haben und das was wir verlieren.

Für alles und nichts.

Das war mein erstes Tattoo."

"Wann hast du es stechen lassen?"

Seine Finger streicheln zart meine.

"Als ich 14 war."

"Bereust du es?"

Er lacht kurz rau auf.

"Nein niemals. Ich bereue nicht. Ich lebe im hier und jetzt."

Ich wünschte ich könnte so denken.

Ich wünschte ich könnte im Hier und Jetzt leben.

Ich entziehe ihm meine Hand und richte mich auf.

Schnell suche ich meine Unterwäsche und ziehe sie sofort an.

Wie können nur immer so schöne Momente in so deprimierende Momente werden?

Wieso kann ich nicht einfach einen Tag, nur einmal, einfach alles vergessen?

Ich nehme meine restlichen Klamotten in die Hand und verschwinde aus seinem Zimmer in meins.

Meint er es ernst mit mir?

Oder war ich nur eine für eine Nacht? War einfach nur der Alkohol schuld?

Ich lasse mich an meiner Tür auf den Boden sinken und winkle meine Beine an.

Mein Gesicht in den Händen versteckt schluchze ich auf.

Warum sind das immer soviele Fragen?

Wieso ist alles so kompliziert?

Ich denke zurück an Leos Worte, als er mich gefunden hat.

"Ich sagte doch ich werde dich finden."

Genau das hat auch mein Vater gesagt.

Er sagte es so oft.

Immer wenn ich mich versteckt hatte vor ihm.

Als sie ihn mitgenommen haben, hat er es auch gesagt.

Ich erinnere mich noch genau an sein dreckiges Grinsen und dieser Wahnsinn in seinen Augen.

"Ich werde dich finden. Ich werde dich immer wieder finden. Ich finde dich egal wo du bist."

Immer mehr Tränen tropfen von meinem Gesicht auf meine nackten Beine und meinen nackten Bauch.

Ich rappel mich schwankend auf und bemerke erst jetzt, dass ich Kopfschmerzen habe.

Amüsiert über meine eigene Dummheit, legt sich ein schiefes Grinsen auf mein Gesicht.

Langsam hole ich mir frische Unterwäsche aus einer Schublade.

Immerhin dies konnte meine Mutter mir kaufen.

Daraufhin trotte ich halbnackt durch die Wohnung ins Badezimmer und dusche erstmal viel zu lange.

Erst als meine Finger aussehen wie die einer hundertjährigen Frau stelle ich das Wasser ab.

Ich komme mir vor wie ein Roboter.

Die Tür geht auf und Leo kommt herein.

Er sieht kurz auf meinen nackten Körper, doch er sieht mir sofort in mein Gesicht.

Lippen kauend kommt er auf mich zu.

Ich sehe unverwandt in seine schönen braunen Augen.

Dieser Junge ist so schön.

Was will er nur mit einem kaputten Mädchen wie mir?

Schonwieder eine neue Frage.

Er streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

Seine Hand legt er auf meinen Kopf und zerstruppelt meine Haare, sodass es das mit der Haarsträhne nicht gebracht hat.

Ich strecke ihm schnell die Zunge raus und ziehe die frische Unterwäsche an.

"Du hättest auch gerne nackt bleiben können."

Ich zeige ihm einfach den Mittelfinger und verschwinde wieder in mein Zimmer.

"Also hat er dich..?", flüstert May und sieht mich geschockt an.

Ich zucke die Schultern und nicke langsam.

Sie hat die Wahrheit verdient, immerhin ist er auch ihr Vater.

Sie schnieft und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht.

Ich nehme sie in den Arm und flüstere in ihre Haare: "Ist schon okey, ich kann damit leben. Ich bin nur froh das er nicht auch bei dir.."

Ich lasse den Satz unbeendet.

Der erste Teil stimmt zwar nicht, aber umso auftichtiger meine ich den zweiten Teil.

Ich streiche ihr noch beruhigend übers Haar und löse mich schließlich zögernd von ihr.

"Du bist so erwachsen."

Ich lache und schüttel den Kopf.

Das muss ich auch sein.

Ich bin es aber nicht.

Erwachsen sein, bedeutet für mich sich nur auf sich selbst zu konzentrieren.

Arbeiten, Kinder kriegen und sterben.

So will ich aber nicht sein.

Glück.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt