58. Kapitel

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Matteo       

Ich höre ihre dumpfen Schritte, die die Treppe runter steigen, bis sie von der Stille verschluckt werden. Immer noch sehe ich den Punkt an, an dem Luna das letzte Mal gestanden ist. Ihre Worte spucken in meinem Kopf herum und ich habe das Gefühl von ihnen aufgefressen zu werden. Ich habe sie enttäuscht. Sie hätte mir alles an den Kopf werfen können. Dass sie mich nicht liebt, dass sie einen anderen liebt oder dass sie es nie ernst gemeint hat. Aber nicht, dass ich sie enttäuscht habe. Denn es ist die bittere Wahrheit. Ich habe sie enttäuscht. Ich hätte es ihr erzählen sollen. Ich habe sie enttäuscht. Genau ich. Ich, der jeden ohne zu Zögern zusammengeschlagen hätte, der sie enttäuscht hätte. Klar sehe ich ihr Gesicht vor mir, wie sie mich angesehen hat. Wie als wäre ihre Welt mit einem Mal zerbrochen. Und ich bin schuld daran.
      »Scheisse.«
Fluche ich flüsternd vor mich hin.
      »Scheisse!«
Rufe ich nun lauter und stehe auf. Ohne noch einen Gedanken darüber zu verschwenden, klettere ich die Treppe runter und renne nach unten in das Erdgeschoss. Angekommen, stosse ich die Tür auf und befinde mich im Regen wieder. Ich schliesse die Tür hinter mir und renne zu meinem Haus rüber. Kaum habe ich die Tür aufgeschlossen, renne ich in die Küche.
      »Mama!«
Erschrocken dreht sie sich um und runzelt die Stirn.
      »Ist Luna hier?«
      »Nein.«
Gestresst fahre ich mir durch die Haare.
      »Würdest du bitte deine Schuhe ausziehen?«
Ich sehe an mir herab und merke, dass ich alles verdreckt habe. Was mich in diesem Moment herzlichst wenig interessiert.
      »Sie hat es herausgefunden.«
Sage ich zu meiner Mutter.
      Sie stutzt
      »Wer hat was herausgefunden?«
      »Luna. Sie weiss, dass sie adoptiert ist.«
Ihre Hand führt sie geschockt zu ihrem Mund.
      »Oh mein Gott.«
      »Und jetzt ist sie enttäuscht von mir, weil ich es gewusst habe und sie läuft irgendwo alleine draussen herum.«
Wild fuchtele ich mit meinen Händen herum. Ich mache mir riesige Sorgen um sie.
      »Keine Sorge. Sie kommt bestimmt zurück und dann könnt ihr reden.«
Verzweifelt schüttle ich den Kopf.
      »Nein, sie wird nie mehr mit mir reden.«
      »Übertreib ni...-«
      »Ich übertreibe nicht.«
Unterbreche ich sie aufgebracht.
      »Das, was sie zu mir gesagt hat, hat mir wortwörtlich das Herz zerbrochen.«
Mitleidig sieht sie mich an.
      »Ich habe sie enttäuscht.«
Wieder fahre ich mir durch die Haare.
      »Ich gehe sie suchen.«
Verkünde ich und gehe auf die Haustür zu.
      »Das bringt doch nichts.«
Ruft mir meine Mutter hinterher, doch ich ignoriere es und trete in die Dunkelheit, um Luna zu suchen. Meine Luna.

Total durchnässt lasse ich mich auf eine Bank fallen. Überall habe ich sie gesucht. Ich habe alle Plätze abgeklappert, konnte sie aber nicht finden. Meine Mutter und Gaston haben versucht mich mehrere hundert Male zu erreichen, ich habe sie aber weggedrückt. Ich muss Luna finden. Ich will doch nur wissen, ob es ihr gut geht. Kurz überdenke ich meinen Satz. Natürlich geht es ihr nicht gut.
                »Scheisse.«
Ich rapple mich auf und versuche in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Mir fällt auf, dass das hier genau der Ort ist, an dem ich ihr meine Liebe gestanden habe. Meine Gedanken wandern an diesen Moment zurück. Es wird nie mehr so sein wie früher. Und es ist meine Schuld. Es ist meine Schuld, dass sie sich in der Nacht alleine in der Kälte herum treibt. Ich reibe meine Hände an meinen Hosen ab, um sie zu trocknen, doch meine Hose ist genauso nass. Wo ist sie?
                Plötzlich nehme ich ein seltsames Geräusch war. Ich lausche wie gebannt, in der Hoffnung mich nicht verhört zu haben. Da, ich höre es wieder. Es ist wie ein Schluchzen. Ich folge dem Geräusch und gelange langsam in den Park hinein. Das ist Luna. Da bin ich mir mehr als nur sicher. Hinter ein paar Gebüschen höre ich ein rascheln, also trete ich näher heran. Als ich sie erblicke, fällt mir ein Stein vom Herzen.
                »Luna.«
Sage ich, woraufhin sie erschrocken zu mir sieht.
                Ich strecke meinen Arm aus, um mir beim Aufstehen zu helfen, doch sie weicht zurück. Was mir einen Stich ins Herz versetzt.
                »Lass mich.«
Gibt sie mir leise zu verstehen.
                »Ich kann nicht, Luna.«
                »Doch, kannst du.«
Widerspricht sie mir.
                »Komm, du kannst nicht mitten in der Nacht hier rumliegen. Du wirst sonst noch krank.«
Gleichgültig zuckt sie mit den Schultern.
                »Dann werde ich halt krank. Ist jetzt doch auch egal.«
Das ist nicht mehr die Luna die ich kenne.
                »Luna, bitte.«
Zum ersten Mal, seit ich hier bin, richtet sie ihren Kopf auf und sieht mir in die Augen.
                »Bitte, lass mich.«
Flehend sieht sie mich an.
                »Am besten für immer.«
Geschockt sehe ich sie an. Das kann sie nicht ernst meinen.
                »Ich kann dich nicht in Ruhe lassen.«
Ich schüttle meinen Kopf.
                »Luna, ich liebe dich.«
Jetzt schüttelt sie den Kopf.
                »Ich dich aber nicht.«
Sie beisst sich auf die Unterlippe, während ihr Tränen die Wangen runtergleiten.
                »Luna, sag das nicht.«
Es fühlt sich so an, als würde mir jemand meine Kehle zuschnüren. Meine Unterlippe bebt.
                »Das meinst du nicht so.«
Versuche ich es noch einmal, doch keine Reaktion von ihr.
                »Luna.«
Es ist nur noch ein flüstern und ich merke, wie mir die erste Träne meine Wange runterrinnt. Als immer noch keine Reaktion von ihr kommt, richte ich mich langsam auf und trete ein paar Schritte zurück. Ich nicke, so wie als würde ich mir selber eingestehen, dass ich es akzeptieren muss. Trotzdem werde ich sie nicht alleine hier lassen. Schniefend hole ich mein Handy aus meiner Hosentasche und rufe meine Mutter an. Sie geht direkt nach dem ersten Klingeln ran.
                »Matteo! Wo steckst du?«
Kurz hole ich Luft.
                »Im Park. Ich habe Luna gefunden. Komm hierher. Am besten mit dem Auto.«
Ich beende das Gespräch und sehe über meine Schulter, wo Luna immer noch zusammengekauert auf dem nassen Boden sitzt. Wie schon so oft an diesem Tag, zerbricht es mir das Herz sie so zu sehen. Auch wenn sie mich nicht liebt, werde ich sie lieben. Immer.

Lutteo - Das Böse Blut in mirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt