Fluchtversuch

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Ich stehe mit vor der Brust verschränkten Armen am Ufer des kleinen Sees, der sich vor mir erstreckt. Mir ist kalt in meinem dünnen Untergewand. Der ungewohnte Schwung um meine Beine lässt mich innehalten. Ich habe bereits seit Monaten stets Hosen getragen und mein Unterkleid unter den weiten Blusen verborgen. Nun hier in einem Kleid zu stehen irritierte mich zutiefst. Wenige Meter von mir entfernt schrubben sich die restlichen Frauen unbekleidet den Dreck von ihren geschundenen Körpern, während diese Bastarde ihnen mit lüsternem Blick dabei zusehen. Ich fahre mir mit den Fingern durch meine verknoteten Haare und versuche so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen. Als ich mich bücke um mein Gesicht in dem eisigen Wasser zu waschen, fahre ich zusammen, als hinter mir Geschrei ertönt. Ich springe auf und sehe mich um. Geschockt schaue ich dabei zu, wie drei Männer, darunter Arn, lachend dem rothaarigen Mädchen hinterher rennen, das so aussieht als müsste es auf der Stelle tot umfallen. Auch sie trägt ihr Kleid und weigert sich mit Händen und Füßen sich zu entkleiden. Arn hat ihren Arm zu fassen bekommen und reißt sie mit voller Wucht zu Boden. Ich springe auf und renne auf sie zu, dabei stoße ich Arn zur Seite. Weinend zieht das Mädchen ihr Kleid zurecht. Ich helfe ihr aufzustehen und funkele die Männer böse an, dann packe ich das Mädchen am Handgelenk und führe sie zum Ufer, weit weg von den Männern. Ich knie mich neben sie und wasche ihr Gesicht und ihre Hände. Danach entwirre ich ihre rot-braunen Locken. ,, Danke." Ich halte in meiner Bewegung inne und sehe sie an. Das Wort klingt zögernd und fremd in ihrem Mund und sie hat einen seltsamen Akzent, doch ich verstehe sie. Ich lächele ihr traurig zu und umarme sie. Überraschenderweise klammert sie sich an mich wie eine Ertrinkende. ,,Wie heißt du?" murmele ich ihr zu und halte sie auf Armeslänge von mir entfernt. Sie sieht mich an und versteht anscheinend immer noch kein Wort. Fast muss ich lachen, dass ihr erstes Wort in unserer Sprache Danke ist, wenn man unsere Situation betrachtet. Ich deute mit meinem Finger auf mich und sage meinen Namen, danach deute ich auf sie. Sie scheint zu verstehen und sagt ein Wort. Nur eins, und das so schnell, dass ich mich frage, wie ihre Sprache wohl klingen mag.  ,, Laoghaire." wiederhole ich. Sie lächelt mir aufmunternd zu und ich nicke.

Plötzlich werden wir unterbrochen, denn eine Hand packt mich im Nacken und zieht mich nach oben. Ich will aufschreien doch mir wird eine Hand auf den Mund gepresst. ,, Was sollte das vorhin? Hm?" Arn schüttelt mich feste im Genick und ich zucke zusammen. ,, Du hast dich nicht in meine Angelegenheiten einzumischen, hast du mich verstanden?" Ich versuche nach Luft zu schnappen, doch seine riesige Hand drückt sich immer noch auf meinen Mund. ,, Weißt du, wann Temperament gefährlich wird? Wenn es sich in Dummheit verwandelt, und dein Theater vorhin war verdammt dumm." zischt er weiter. Mit einem Ruck dreht er mich herum und packt mich an beiden Oberarmen. Ich würde am Liebstem aufschreien, so fest bohren sich seine Finger in meine Haut. ,, Also, wirst du in Zukunft brav sein?" Er nickt hastig und funkelt mich an. Ich schnappe nach Luft und sehe ihn mit festem Blick an. Plötzlich bildet sich ein wildes Grinsen auf seinem Gesicht und sein Blick wandert an meinem Körper herunter. Ich werde unruhig und versuche mich aus seinem Griff zu befreien. ,, Wenn es doch nur andere Umstände währen..." seufzt Arn dramatisch und beugt sich in meine Richtung. Ich lehne mich so weit ich komme zurück und entziehe mich seinen Händen. ,, Du bist wirklich sehr ungehorsam, Kind. Sag hat dein Vater dich je geschlagen?" Ich stehe zitternd da und rücke mein Unterkleid zurecht.                 ,, Anscheinend ja nicht." Arn kommt drohend in meine Richtung, die Hand erhoben. Ich schreie auf und trete ihm mit voller Kraft gegen sein linkes Knie. Mit einem Brüller geht er zu Boden und hält sich sein Bein. Geschockt sehe ich zu Boden und vertreibe das unangenehme Knacken aus meinem Kopf, was gerade eben ertönt war. Ich sehe, wie zwei der Banditen auf mich zugerannt kommen und ehe ich mich versehe befinde ich mich auf der Flucht. Ich renne den nächsten Hügel hinauf, zwischen den Zelten der Banditen hindurch. Springe über eine erloschene Feuerstelle und weiche dabei immer wieder flinken Händen aus, die die Situation verstanden zu haben scheinen. Ich habe mein Ziel vor Augen, ich muss zurück zu den Käfigen, denn dort waren die Pferde angebunden. Ein atemraubendes Stechen breitet sich unter meinen Rippen aus und ich schnappe nach Luft. Ich darf nicht stehen bleiben, rattert es durch meinen Kopf und ich sehe mich immer wieder um. Es scheint als habe ich meine Verfolger abgehängt aber ich wiege mich noch lange nicht in Sicherheit.

Gerade als ich das Lager hinter mir gelassen habe, tauchen die beiden Banditen vor mir auf. Sie müssen mich umrundet haben. Ich schreie auf, rutsche aus und komme schlitternd zu Fall. Mein Kleid ist grün vom Gras und ich versuche wieder aufzuspringen, doch die beiden Männer haben mich bereits gepackt und ziehen mich zurück. Ich kreische um Hilfe und versuche mich zu wehren, doch ich habe keine Chance. Durch meinen Kopf flimmern die furchtbarsten Szenarien, die jetzt mit mir passieren würden, doch ich zwinge mich zur Ruhe. Wir kommen an mehreren Zelten vorbei, an provisorischen Ställen und noch mehr Käfigen. Mir fällt die Größe des Lagers auf und bin erstaunt darüber. Als ich einen genaueren Blick auf die Käfige werfe, bemerke ich, dass in diesen Käfigen einschließlich Männer gefangen sind. In meinem Augenwinkel blitzt ein heller Haarschopf auf, der sich deutlich von den dunkleren um ihn herum abhebt. Mein Herz flattert vor Panik. ,, Espen?" rufe ich schrill und beobachte, wie der blonde Schopf herumwirbelt. Ich erkenne das suchende Gesicht meines Freundes und das Entsetzen in seinen Augen, als er mein dreckiges Kleid und mein wirres Haar erblickt. Er stürmt zu dem massiven Gitter und rüttelt daran. ,,Freya!" Seine Stimme hallt gellend über den Trubel des Lagers und alleine ihr Klang treibt mir die Tränen in die Augen. Ich weine vor Erleichterung, als meine Hände mit einem Strick verknotet werden und ich an einem Pfosten in der Nähe der Käfige festgebunden werde. Ich sehe Espen von meinem Platz aus im Käfig umhertoben und wie er einen heftigen Tritt von einem der Banditen bekommt. Doch ich bin zu geschockt um darauf zu achten, oder auf sonst irgendetwas. Der einzige Gedanke, der mir durch den Kopf schwirrt ist:

Er ist am Leben, Espen lebt!

Salty TearsWhere stories live. Discover now