Verrat und alte Lügen

461 31 1
                                    

Ein letztes Mal überprüfe ich die vielen Taschen an unseren bereitstehenden Pferden. Angespannt klammere ich meine Finger um die schweren Metallschnallen der verschiedenen Beutel bis meine Gelenke weiß hervorstechen. Espen wirft mir einen besorgten Blick zu, doch ehe er mich auf meine Nervosität ansprechen kann, versperrt Yorick sein Blickfeld auf mich mit seinem breiten Rücken. ,,Geht es dir gut, mein Herz?" Ich blicke schweratmend zu ihm auf und lehne mich gegen seine starke Brust. ,,Lass uns keine Zeit verlieren. Ich möchte diese weite Reise nicht auf mich nehmen, nur um dann zu erfahren, dass ich zu spät kam." Ich quetsche mich an ihm vorbei und beachte den bösen Blick nicht, den mein Ehemann Espen zuwirft, ehe er sich schwungvoll auf seinen dunkeln Hengst schwingt. ,,Das wird eine lange Reise." Linneah wirft einen belustigten Blick auf meine drei männlichen Begleiter und auch ich seufze innerlich bereits tief schwer. ,,Das wird es." murmele ich und wende mich wieder an meine Freundin. ,,Ich danke dir, dass du hier für Recht und Ordnung sorgst solange wir fort sind. Es gibt niemanden, dem ich diese Aufgabe lieber anvertrauen würde." Ich schließe sie fest in meine Arme und kämpfe den schweren Knoten in meiner Kehle hinunter. ,, Das ist keinenfalls ein Lebe Wohl, Freya. Lediglich ein Auf Wiedersehen." Ich blicke Linneah an, erkenne aber auch in ihren Augen die Besorgnis und die Anspannung. ,, Ich werde zurückkommen und dann wird alles anders sein. Das schwöre ich bei den Göttern. Ich werde das alles in Ordnung bringen." Ich sehe, wie sie nickt und schmiege mich an ihre raue Hand, die sie über meine Wange wandern lässt. ,,Ich weiß. Tu, was auch immer in deiner Macht steht. Aber Freya. Vertraue auf deinen Kopf, doch kämpfe mit dem Herzen."

Ich steige in den Sattel meines Pferds und werfe einen vorerst letzten, langen Blick auf den Ort, den ich seit kurzem mit Freuden mein Zuhause nenne. ,,Ich vertraue dir Rune. Und du passt auf meinen Bruder auf." Yoricks Blick wandert vom immer noch schmollenden, aber nun deutlich entschlossener dreinblickenden Rune, zu Linneah, die ihm ruhig entgegenblickt. ,,Ich werde die Tage zählen, meine Sonne." schallt plötzlich Rasmus' laute Stimme über den Hof. Er gallopiert auf Linneah zu und schlingt seine Arme um ihren Brustkorb. Lachend zieht er sie zu sich hinauf und platziert einen innigen Kuss auf ihre Lippen. Alle schwelgen für einen Augenblick in dem fröhlichen Moment, ehe Espen sich räuspert und sein Pferd in Bewegung setzt.

Während wir den Hügel hinunter reiten und das Haus hinter uns lassen, blicke ich lange darauf zurück und frage mich, wie lange wir es nicht mehr sehen werden. Ich hoffe bei den Göttern, dass alle eine Chance auf diesen Anblick haben werden.

Als die Dämmerung des zweiten Tages unserer Reise anbrach, beschlossen wir endlich eine Pause einzulegen. Wir waren bereits ein gutes Stück voran gekommen und trotz unseres schweren Gepäcks schnell unterwegs. Als ich endlich aus dem Sattel meines Pferdes glitt, hätte ich vor Freude laut seufzen können. Meine Beine waren taub und die schwere Rüstung hatte meine Schultern wundgescheuert. Vorsichtig ging ich ein paar Schritte und suchte unter den dicken Tannen vor uns einen trockenen Platz für unser Lager. Zufrieden stellte ich fest, dass es den Männern nach diesem langen Ritt auch nicht besonders wohl war. Rasmus lehnte sich erschöpft gegen einen Baumstamm und streckte seinen Rücken lang und auch Espen und Yorick waren damit beschäftigt sich wieder an den festen Boden unter ihren Füßen zu gewöhnen. ,,Ich werde Holz zusammen suchen. Ihr richtet den Rest soweit schon mal her." ,,Du gehst nicht alleine in den Wald." höre ich Yorick, doch ich beachte seinen Protest nicht. ,,Versuch erst gar nicht mir zu folgen. Ich brauche einen Moment für mich. Außerdem habe ich den." Ich halte meinen Dolch in die Luft, der fast die gesamte Länge meines Unterarms in Anspruch nimmt.

Mein Blick fällt auf die dicken Felle, die bereits ausgerollt auf den trockenen Tannennadeln liegen, als ich von meiner kleinen Wanderung zurückkehre. Ich schaue mich nach Yorick und Rasmus um, doch ich sehe nur Espen auf dem Boden hocken. Er ist gerade dabei ein paar Steine zu einer provisorischen Feuerstelle anzuordnen. ,,Du bist zurück." Ich sehe wie sein Blick zu den vielen Ästen und Zweigen in meinen Armen fällt. ,,Und die Dame war fleißig." Ich nicke, doch bemerke die unangenehme Spannung zwischen uns beiden. ,,Deine Freunde sollten bald wieder hier sein. Sie häuten einen der Hasen, denke ich." Er sieht kurz in Richtung der Pferde, ehe er sich wieder seiner Arbeit widmet. Still sinke ich neben ihn auf den Boden und sehe ihm zu. Nach eine Weile seufzt Espen und unterbricht sein Tun. Er blickt auf und ich bemerke, wie nah sich unsere Gesichter plötzlich sind und auch die Bewegung seiner Augen, die für den Bruchteil einer Sekunde zu meinen Lippen zucken. Wie um sich zu besinnen, rückt er ein paar Zentimeter von mir ab und ich spüre peinlich berührt, wie mir die Luft aus den Lungen weicht, die ich anscheinend angehalten habe. ,,Freya. Ich habe etwas mit dir zu bereden." Eine Weile blickt er auf seine Finger und scheint nach den richtigen Worten zu finden. Ich entscheide still abzuwarten und blicke ihn an. Sein vom Dreck gefärbtes Haar kringelt sich dunkelblond an seinen Schläfen. Fahrig fährt er sich mit der Hand über das Gesicht und sieht mich anschließend entschlossen an. ,,Ich weiß, du hast mich damals in der Nacht des Feuers erkannt. In Linneahs Freudenhaus. Und bevor du fragst, ja, ich war es wirklich. Ich hatte ein Versprechen, dass ich abgegeben hatte einzulösen." Vollkommen verwirrt schaue ich ihn an und will ihm ins Wort fallen, doch er redet hastig weiter. ,,Jetzt da ich Thorward tötete, habe ich endlich das Gefühl ich kann es dir erzählen." Er holt tief Luft und fängt an mir von einem Pakt zu berichten, den er mit Thorward geschlossen hatte. Dieser hatte Espen ersucht, ohne das ich etwas bemerkt hatte und ihm etwas angeboten im Austausch zu seiner Loyalität. Frustriert will ich Espen am liebsten anschreien, ihn schallen für den Gedanken, doch stattdessen atme ich meine Wut in den Bauch und frage ihn ruhig: ,,Und du hast dieses Angebot angenommen. Espen, hast du den Verstand verloren? Ich habe dir vertraut und du hast mich die ganze Zeit über belogen! Wie konntest du mir nicht davon erzählen?" Niedergeschlagen sieht er erneut zu Boden. ,,Ich konnte sein Angebot damals nicht ausschlagen, Freya. Bitte versteh doch, ich dachte es sei ein vorteilhafter Pakt. Nur ein Auftrag und alles sei erledigt." Ich starre ihn fassungslos an. ,,Was hat er dir für deine Loyalität versprochen?" Ich höre meine Stimme vor Wut zittern. Traurig blickt Espen zu mir auf. ,,Dich." Seine Stimme ist nicht mehr als ein Krächzen. Ich schlucke heftig, was ihm die Zeit gibt sich hastig zu erklären. ,,Freya, ich habe dich geliebt, das tue ich noch immer, und der Gedanke, dass dir etwas zustoßen könnte, ertrug ich nicht! Er bot mir dich an, das hätte deine Sicherheit garantiert. Ich willigte ein. Ich dachte, das er sein Wort halte, doch als ich schließlich merkte, was für ein Auftrag es war, wie egoistisch mein Einwilligen in diesen Pakt war, versuchte ich alles um der Sache zu entfliehen. Aber es war zu spät." Ich verziehe keuchend das Gesicht und rücke von ihm ab. Erschrocken eilt er mir nach. ,,Freya, bitte tu mir das nicht an. Bitte versteh doch. Vertrau mir, ich wollte immer nur das Beste...für uns! Ich bin jetzt mit Laoghaire vermählt, ich liebe sie Freya. Es ist eine andere Art der Liebe, die ich für dich empfinde. Du bist mir wichtig Freya, ich will nicht, dass dir oder den Menschen die dir etwas bedeuten, etwas zustößt."

Ich schreie vor Empörung auf und wische heiße Tränen der Wut von meinen Wangen. "Vertrauen?! Bei Odin, wie kannst du es wagen, von Vertrauen zu sprechen, nachdem du mir einen solchen Verrat gestanden hast." Ich stampfe auf ihn zu und knalle meine Handfläche in sein Gesicht. Wie ein getretener Hund blickt Espen auf mich herunter. ,,Es gab niemals ein Uns. Nicht in dem Sinne, den du dir vielleicht erhofft hattest. Ich vertraute dir mein Leben an und du wurdest mein Vertrauter auf der Reise, aber nur weil wir einander brauchten. Du hast mich verkauft Espen!" Mir stockt der Atem und ich unterdrücke ein Schluchzen. ,,Du hattest kein Recht, und du dachtest du könntest mich im Austausch einer lästigen kleinen Aufgabe für dich in Anspruch nehmen, als sei ich ein Stück Fleisch!" Betreten nickt Espen und nimmt vorsichtig meine Hand in seine. Enttäuscht schaue ich erst zu den Baumkronen auf und dann auf seinen gesenkten Kopf hinunter, als er sich vor mich kniet. ,,Es tut mir unendlich leid. Wenn ich die Dinge ändern könnte, ich schwöre bei den alten und den neuen Göttern, ich würde es tun. Damit leben zu müssen und es dir nicht zu erzählen, war ebenso schlimm und grausam, wie das Geschehene mit meinem Gewissen vereinbaren zu müssen. Ich hoffe, das du mir eines Tages verzeihen und mich verstehen wirst." Ich schaue lange auf meinen alten Freund hinunter und weiß nicht, wie ich reagieren soll. Die Wut hatte sich in Enttäschung verwandelt und nun stehe ich dort mit hängenden Schultern. Schließlich entziehe ich ihm meine Hand und wende mich, ohne ein weiteres Wort zu sagen, um. Zitternd stolpere ich durch den Wald und erreiche irgendwann die Pferde. Als ich an Rasmus und Yorick vorbeirenne, ignoriere ich Yoricks erschrockenen Blick, ihre blutigen Hände und den gehäuteten Hasen zu ihren Füßen. ,,Was ist passiert?" setzt mir Yorick nach und zieht mich an meinem Mantel zurück. ,,Göttin Freya, steh mir bei! Ihr Männer treibt mich in den Wahnsinn und jetzt lass mich los oder ich schreie!" fluche ich wütend. Verdattert gibt Yorick mich frei. Ich mache kehrt und laufe tiefer in den Wald. ,,Aber es ist gleich dunkel." ruft er mir hinterher.

Irritiert wendet Yorick sich an einen grinsenden Rasmus der sein Messer säubert. Er kommt auf Yorick zu, steckt sein Messer zurück in die Scheide an seinem Gürtel und klopft ihm lachend auf die Schulter. ,,Wie eine Furie, deine Kleine. Willkommen in dem süßesten Käfig der Welten, der Ehe." Lachend hält er seinen und Linneahs Ehering in das Licht der schwindenden Sonne. Seufzend nickt Yorick und packt den toten Hasen an den Hinterpfoten. ,,Wahre Worte, mein Freund." Doch er wirft einen letzten Blick besorgt in Richtung der Bäume, hinter denen ich verschwunden bin.



Salty TearsWhere stories live. Discover now