Auf zu alten Wegen

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Ich atme einige Male tief ein und aus und drücke fest Yoricks Finger zusammen, ehe ich einen Blick in die vor mir versammelte Runde werfe. Mit einem Windstoß weht die Tür zu unserem Haus ein weiteres Mal auf und Rune stolpert gefolgt von Rasmus in den Raum. ,, Ich hab ihn gefunden. Er lag immer noch in der Taverne." erzählt Rune und verkneift sich ein Grinsen. Als sein Blick auf mich fällt, wird er still und gesellt sich zu Linneah und Espen ans Feuer. Während Rasmus zu Linneah wankt und sich neben ihr fallen lässt, wirft diese ihm erst einen tadelnden Blick zu, streicht ihm aber dann die dunklen Locken aus den Augen und drückt ihm einen liebevollen Kuss auf die Stirn. ,, Also meine Liebe, was ist passiert?" richtet sie mir nun ihr Wort zu. Ich konzentriere mich und fange an, mich etwas klarer an die Ereignisse der letzten Nacht zu erinnern. ,, Ich bin in der Nacht aufgewacht, nachdem Yorick und ich-" Ich stocke kurz und versuche meine vor Scham glühenden Wangen zu beruhigen ,, Ihr wisst schon. Ich bin jedenfalls aufgewacht und ging nach unten um die Steine zu holen, die die du mir gegeben hast." Ich deute auf die kleinen Steine, die vor mir liegen. Still und vollkommen harmlos in dem kleinen Kästchen. ,, Ich ging raus, hinters Haus. Ich weiß auch nicht wieso. Jedenfalls kniete ich mich bei einen der abgeholzten Baumstümpfe und begann mit diesem seltsamen Ritual." Verwirrt schüttele ich den Kopf und sortiere in Gedanken meine Erinnerungen, doch sie scheinen immer verschwommener zu werden. ,,Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, weiß ich nicht einmal, wie ich überhaupt wusste, was ich zu tun hatte. Ich tat es einfach. Wie in einer Art-" ,,Trance.", unterbricht mich Linneah und mustert mich ernst. ,, Du hast eine Vision hervorgerufen." Ich sehe sie ernst an. ,, Aber dazu brauche ich kein Ritaul. Ich bin eine Dosmeryn, solche Dinge passieren mir immer wieder. Warum also die Steine und der Vollmond?" ,, Freya, meine Liebe. Was hast du gesehen?" Mit aufkommender Panik nehme ich die Dringlichkeit und, zu meinem Entsetzen, die Angst in Linneahs Augen wahr. In all den Jahren, die ich Linneah nun kenne, habe ich sie niemals voller Furcht gesehen, auch wenn sie jetzt versucht sie gut zu verstecken.

Mit einem Räuspern unterbinde ich das Zittern in meiner Stimme so gut es geht und erzähle jedes Detail der noch so fürchterlichen Vision. Ich zwinge mir diese schrecklichen Bilder nocheinmal ins Gedächtnis, denn ich habe das Gefühl das jedes Bisschen ein wichtiger Hinweis auf die Zukunft sein könnte. Als ich geendet habe, erhebt sich Linneah mit einem tiefen Seufzer. Sie wandert nachdenklich einige Meter vom Feuer weg und ich betrachte die anderen Versammelten. Eine schwere Stille hängt tief in dem kleinen Raum und ich lehne mich an Yorick. Als ich seine starken, sicheren Arme um mich spüre, merke ich wie ein Teil der Anspannung in meinem Inneren nachlässt. ,, Das ist gar nicht gut." flüstert auf einmal Rasmus. Er scheint wieder etwas wacher zu sein und blickt mich traurig an. ,, Wieso was ist los?", ich höre Espens Besorgnis, als er sich vorbeugt um Rasmus besser zu verstehen. Linneah kommt zurück und greift nach Rasmus Hand. ,, Der Unterschied einer willkürlich auftretenden Vision und einer vom Mondlicht erzeugten, ist ihre Wahrscheinlichkeit einzutreffen.", meint sie schließlich leise. ,, Sieh, eine der Visionen, die du nicht steuerst, befindet sich noch im Fluss. Sie ist verknüpft mit der Situation in welcher du dich zum Zeitpunkt dieser befindest. Sie ist leicht veränderbar, sie ist nur eine Ahnung was passieren könnte. Ein Vorhersehungsritual jedoch..." Linneah holt tief Luft und blickt zu Rasmus. ,,Freya, ein Ritual ist mit den Göttern verknüpft. Sie schenken dir einen kurzen Moment lang die Sicht durch ihre Augen. Sie sehen Dinge, die in der Zukunft bereits geschehen sind. Dinge, die ohne jeden Versuch sie zu ändern eintreffen werden." Ich spüre, wie der Schock sich durch meine Adern in meinem gesamten Körper verbreitet und ich alle Farbe im Gesicht verliere, als mir bewusst wird, was das bedeutet. ,, Einen Augenblick, bedeutet das, du hast meiner Frau diese Steine gegeben und sie zu diesem Ritual gezwungen?" Wütend erhebt sich Yorick und kommt einen Schritt auf Linneah zu. ,, Ich habe sie zu rein gar nichts gezwungen, aber ja. Die Steine bekam sie von mir." Schnaubend packt mein Mann meine Freundin an den Schultern und zieht sie zu sich. ,, Wieso, bei Odin würdest du das tun, Noita?" Ich stehe ebenfalls auf und lasse die schwere Felldecke von meinen Schultern fallen. ,,Lass sie gehen, Yorick. Sie trifft keine Schuld. Es war mein Schicksal diese Vision zu sehen." ,, Wie kannst du so etwas auch nur denken?" Yorick wirbelt zu mir herum, sichtlich wütend, oder viel mehr besorgt, wie ich jetzt erkenne. Traurig lächelnd trete ich einen Schritt auf ihn zu und schließe ihn in meine Arme. ,, Ich weiß warum." Ich drehe mich um und schaue Rune an, der nun still an seinem Daumennagel herumspielt. Seine langen Haare fallen ihm bereits tief ins Gesicht und er meidet den Blick zu heben. ,, Was willst du schon wissen?" höre ich Espen hinter mir, doch ich sehe weiterhin Rune an, als er den Blick hebt und mich voller Mitleid ansieht. ,, Sie weiß jetzt, dass ihr Bruder sterben wird. Mit aller Sicherheit." Ich lächle ihn voller Trauer an und wische mir meine nassen Wangen ab. ,, Ja." Meine Stimme bricht und ich spüre alle Blicke auf mir. Leise knie ich mich neben Rune und schaue ihn ermutigend an. ,, Und jetzt weiß ich auch, dass ich einen Weg finden muss um das zu verhindern." Ich schließe ihn in meine Arme und verberge somit seine Tränen, die er beschämt versucht vor den andern zu verstecken.

,, Ich muss nach Hause. So schnell wie nur irgendwie möglich." Entschlossen suche ich einige Sachen zusammen, die man für eine lange Reise braucht. ,, Freya, ich bin ganz deiner Meinung, aber warte bitte kurz. Du kannst nicht einfach aufbrechen. Eine so lange Reise muss man planen und außerdem wirst du auf gar keinen Fall alleine reisen." Bestimmt ergreift Yorick meinen Arm und zieht mich an seine Brust. Beruhigend beginnt er über meinen Kopf zu streichen, aber ich reiße mich von ihm los. ,, Wir haben aber keine Zeit zu verlieren. Du hast gehört, dass mein Vater und ganz besonders mein Bruder diese Zeit nicht mehr haben." ,, Falls du auf der Reise nach Norwegen umkommst, hat keiner etwas gewonnen!" Ich zucke bei Yoricks Schrei zusammen. Seufzend entspannt er sich wieder, als er mein Gesicht erblickt und entschuldigt sich leise. ,, Ich muss ihm recht geben. Ausnahmsweise, versteht sich." höre ich da plötzlich Espen, der scheinbar vollkommen entspannt an der Wand lehnt. ,, Ich werde dich begleiten und Yorick ebenfalls." ,, Sowie ich." Ich wende mich an Rasmus  und lächle ihm kurz zu, als er mir aufmunternd zuzwinkert. ,, Ich bleibe sicherlich nicht hier, während mein Bruder mit euch nach Norwegen reist!" Alle Blicke fallen auf Rune, der sich breitbeinig vor dem Feuer aufgestellt hat und nun grimmig unsere Blicke erwiedert. ,, Nein, du bleibst mit Linneah zurück und kümmerst dich um das Dorf und den Hof.", höre ich Yoricks bestimmte Stimme und merke, dass Rune keine Chance hat ihn umzustimmen. Auch Rune scheint das zu bemerken, folgt seinem Bruder aber dennoch protestierend nach draußen. ,, Lass uns die Dinge ein wenig überdenken. Ich werde die Weiber im Dorf bitten Brot zu backen und wir werden jagen gehen. Freya, bitte sieh doch ein, dass wir hier nichts überstürzen sollten." Ich schaue besorgt zu Espen und seufze. ,, Natürlich weiß ich das, Espen. Ich habe nur so schreckliche Angst.", gebe ich zu und lasse es geschehen, als er mich in seine Arme zieht. ,, Bei den Göttern, ich verspreche dir, es wird alles wieder gut."

Dankbar löse ich mich von Espen und wende mich Linneah zu. ,, Wir haben einiges zu tun. Lass uns so schnell wie möglich anfangen." Nachdem Espen ins Dorf verschwunden ist, Rune sich um die Pferde kümmert und Rasmus mit Yorick auf die Jagd gegangen ist, mache ich mich mit Linneah auf den Weg zu einem der nahen Felder. Auf Linneahs Schulter sitzt ein dunkler, anmutiger Rabe. Ich bleibe neben ihr stehen und streichle sanft sein glänzendes Gefieder, während Linneah einen kleinen Zettel an seinen Fuß bindet. ,, Er wird niemals so weit fliegen können.", flüstere ich entmutigt. ,, Das wird er." ,,Woher soll er denn wissen, wohin? Und wem soll er die Nachricht unserer Anreise überbringen?" zweifle ich weiter. ,, Vertrau ihm. Er hat mich nie enttäuscht." Verstohlen wirft sie ihm einen Blick zu und stößt anschließend einen hohen, schrillen Pfiff aus. Mit kraftvollen Schwüngen fliegt der Rabe hoch in den Himmel. Fasziniert sehe ich ihm nach und wundere mich, was ihn wohl in meiner alten Heimat erwarten wird.

Salty TearsDonde viven las historias. Descúbrelo ahora