Ich bin tot. Ich bin sowas von tot.
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„Wir gedenken an...", begann Mr. Newman und ich hörte, wie schwer ihm das Sprechen fiel. Gerade redete er über „alle Elementenbändiger, die ihr Leben für uns lassen mussten" und ich schloss die Augen, als er anfing, eine ewig lange Liste an Schülern vorzutragen.
Hinter und vor mir schluchzten ein paar Leute auf und ohne es zu wollen zuckte ich bei jedem Namen leicht zusammen. Luke neben mir drückte meine Hand.
Die Sportlehrerin hatte es nicht geschafft. Ebenso Sam - der Kleine, der aussah wie Luke Junior - und Kate, eine Freundin meiner Sportpartnerin Emma. Auch das Mädchen, auf das Jessie eifersüchtig gewesen war, hatte im Kampf ihr Leben verloren.
Ich schluckte, während ich an alle Menschen dachte, deren Freunde oder Geschwister gestorben waren, weil ein paar nachtragende Kleinkinder der Meinung waren, sie müssten die Grenzen ihrer Langeweile austesten. In diesem Moment spürte ich eine unbändige Wut auf die Verturer. Erst töteten sie die Hälfte der Schüler am Internat und dann wollten sie einen Waffenstillstand?
Doch dann fiel mir ein, dass auch wir Elementenbändiger viele Verturer umgebracht hatten. War es überhaupt fair, wütend zu sein?
Irgendwo in der Menge ein paar Meter vor mir entdeckte ich Zoeys blonde Zöpfe und beschloss, zu ihr zu gehen.
Ein Blick nach rechts zwang mich jedoch plötzlich dazu, wieder stehen zu bleiben. Ganz kurz wurde meine Sicht auf einen dunkelhaarigen Jungen freigegeben. Er saß dort, entfernt von der Menschenmenge, an der Mauer gelehnt. Louis. Und er weinte ganz offensichtlich. Verdammt, mein Cousin weinte!
Ich hatte ihn noch nie so gesehen - auch nicht aus der Nähe. Den Kopf auf die Arme gelegt, die Knie hochgezogen. Wie ein Häufchen Elend saß er da. Irgendetwas war passiert.
Dann drängelte sich die Menschenmenge weiter nach vorne und verdeckte somit die Sicht auf meinen Cousin. Sofort begann ich das unmögliche Unterfangen, bei dem ich versuchte, mich durch die Schüler hindurchzuzwängen und mir einen Weg zu bahnen.
Ich wusste, dass es unhöflich war, während einer Trauerrede einfach zu gehen, doch jetzt wollte ich zu Louis. Mein Instinkt sagte mir, dass irgendetwas passiert war - außerdem gefiel es mir nicht, dass mein Cousin weinte.
Luke zog ich einfach hinter mir her. Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass ich immer noch seine Hand hielt.
„Könntest du mich nicht wenigstens vorwarnen oder mir zumindest jetzt sagen, was du schon wieder vorhast?", beschwerte er sich prompt und wich einem Rotschopf aus, der gerade nach vorne stolperte.
„Louis", antwortete ich knapp. Kurz darauf merkte ich, wie sich der Griff um meine Hand verstärkte.
„...Dean Ellen, Jessica Evans, George...", redete Mr. Newman gerade, dann blieb ich wie angewurzelt stehen. Mein Herz setzte für eine kurze Zeit aus. Nein. Das konnte nicht sein. Es war einfach nicht möglich. Jessie war nicht tot! Sie durfte nicht tot sein!
Ich ließ Lukes Hand los und taumelte wieder zwei Schritte zurück, wobei ich irgendjemanden anrempelte. Doch das war mir egal. Ich bemerkte es nicht einmal.
Meine Fingernägel krallten sich in meinen Oberarm, den ich nun festhielt, einfach, um irgendetwas festzuhalten. Benommen stolperte ich jetzt vorwärts, ohne auf Luke zu achten, der im Sekundentakt meinen Namen sagte. Es war mir egal. Es war mir so egal.
Irgendwann hatte ich endlich Louis erreicht. Ich sah ihn an und dann brachen die Gefühle auf mich ein.
Mut- und kraftlos sackte ich in mich zusammen und blieb vor meinem Cousin auf dem Boden liegen. Ich wollte das nicht. Ich konnte das nicht. Warum sie?
Mit der flachen Hand schlug ich ein paarmal auf den Boden, als würde er etwas dafür können. Ich verstand es nicht. Ich wollte und konnte einfach nicht verstehen, warum Jessie ihr Leben lassen musste. Sie hatte nie jemandem etwas getan. Immer nur geholfen, wo sie konnte. Warum also sie? Das war nicht fair. Es war verdammt nochmal nicht fair.
„Sie war tot, bevor die Erdbändiger etwas tun konnten", murmelte Louis und ich hob den Kopf. Mein Cousin hatte den Blick starr geradeaus gerichtet.
Warum hatten sie dann nicht früher etwas getan? Warum hatte ihr niemand geholfen? Warum hatte ich ihr nicht geholfen?
Wieder schlug ich auf den Boden und schüttelte den Kopf. „Nein, nein, nein, nein", flüsterte ich immer wieder, als würde es mir irgendetwas bringen, es zu leugnen. Tat es aber nicht.
Mein Blick war verschwommen. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie ich angefangen hatte zu weinen. Ich sah nur Jessies Gesicht vor mir. Wie sie mit schwacher Stimme sagte, es würde ihr leidtun. Als wüsste sie, dass sie sterben würde. War es das? Tat ihr das leid? Aber das durfte es nicht. Es war nicht ihre Schuld. Es war verdammt nochmal nicht ihre Schuld.
Ich wusste nicht, wie lange ich so dalag, zusammengerollt, wie ein schlafendes Baby.
Doch irgendwann hörte ich wieder meinen eigenen Atem. Meinen eigenen, schweren Atem. Ich hatte aufgehört zu weinen. Nur noch ein paar vereinzelte Tränen tropften auf den Boden.
„Lily", hörte ich eine Stimme über mir flüstern.
Langsam, ganz langsam drehte ich den Kopf. Dunkelblaue Augen sahen mich traurig und mitfühlend an. Luke.
„Sie ist tot", murmelte ich und biss mir auf die Lippe, um nicht wieder zu weinen. Ja. Jessie war tot. Sie würde nicht wieder zurückkommen. Und daran konnte ich nichts ändern, so sehr ich es wollte. „Louis...oh mein Gott, Louis!"
„Ich bin hier." Die Stimme meines Cousins klang so rau und tief, dass ich sie beinahe nicht wiedererkannt hätte. Und auch ihn hatte ich fast nicht wiedererkannt.
Noch immer lehnte Louis an der Wand wie ein Häufchen Elend. Als ich ihn so sah, traten mir wieder die Tränen in die Augen. Er durfte nicht so einen Schmerz fühlen. Nicht schon wieder.
„Lou...", setzte Luke an, doch Louis unterbrach ihn, indem er zwischen zusammengebissenen Zähnen „Lass mich in Ruhe!" zischte. Ich wusste, woran er dachte. Das ganze erinnerte ihn an seinen Vater. Jeder Schmerz, die ganze Trauer, die er gefühlt hatte, kam von neuem an die Oberfläche.
Luke sagte nichts mehr. Er schloss nur die Augen und setzte sich neben mich auf den Boden.
„Ich hab ihr gesagt, sie soll im Gebäude bleiben", flüsterte Louis so leise, dass ich es kaum verstand, „Aber sie wollte nicht auf mich hören. Warum nicht? Warum hat sie nicht einfach auf mich gehört? Und warum hab ich sie nicht aufgehalten? Warum, Lily?"
Ich sah ihn an und schüttelte bloß den Kopf, unfähig, irgendetwas zu sagen, da ich befürchtete, wieder anfangen zu müssen zu weinen.
Luke saß einfach schweigend neben uns und ich glaubte, auch bei ihm eine Träne die Wange herunterlaufen zu sehen.
„Ich konnte mich nicht verabschieden", murmelte ich schließlich doch. Wie ich befürchtet hatte, begann ich wieder, hemmungslos zu schluchzen. Doch das war mir jetzt egal.
Jessie war fort. Sie war einfach gegangen, ohne Bescheid zu sagen. Ohne Lebewohl zu sagen.
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Ähm...sorry? Hm? Hm. Jaaa, mir tut es ja auch weh :( Was ich beim Schreiben durchgemacht hab, wisst ihr ja gar nicht...denn mir sind einfach alle meine Charaktere mit der Zeit ans Herz gewachsen und...hach ja, die gute Jessie :( Es hat sich einfach so entwickelt...
Ich...widme das Kapitel meiner besten Freundin seit der siebten Klasse. Lisa_propst <33 Ich hab dich lieb! *-*
Ich verkriech mich dann mal ganz schnell, sonst passiert mir noch was...man kann ja nie wissen...
Over and out.
Elena aka Sunny.
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Cold Flame (III)
Fantasy~BAND 3 und FINALER TEIL von Frozen Fire & Burning Ice~ „Leg dich wieder hin, Lily, und sei froh, dass du es überlebt hast!" Luke wurde ebenfalls lauter. „Nein, verdammt! Sag mir was los ist!", schrie ich jetzt und plötzlich standen mir Tränen...