Prolog

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Das stetige prasseln des Regens auf die Dachschräge beruhigte Lena. Der monoton plätschernde Rhythmus lullte sie ein. Früher besaßen ihre Eltern einen Wohnwagen. Sie fuhren oft damit in den Urlaub. Es gab nichts Schöneres für sie, als das Geräusch, wenn die Regentropfen auf das Dach des Wohnwagens prasselten. Es schuf eine komplett eigene Welt, in der sie abtauchen konnte. In den regnerischen Tagen und Nächten ihrer Kindheit malte sie sich immer aus, sie käme aus einer anderen Dimension und sei auf der Erde gestrandet. Auf dem Planeten, von dem sie ursprünglich kam, hatte jeder die Gabe des Vorhersehens. Sie war die Eine, die Auserwählte, um die Erde zu retten. So versuchte Lena damals ihre Andersartigkeit für sich zu erklären.

Heute wusste sie, dass sie nicht von einem fremden Planeten kam, sondern eine Wächterin der Finsternis ist. Ihr Leben wurde dadurch aber nicht unkomplizierter, wie sie sich erhoffte. Im Gegenteil, sie musste sich neuen Herausforderungen stellen. Die wohl größte war ausgerechnet sie selbst, denn sie hatte sich in die falsche Person verliebt: Einen Schattenmann.

Vor Kurzem erst erfuhr Lena, dass sie eine Wächterin der Finsternis sei. Der Fachausdruck hierfür: Patrona Caliginis. Menschen mit solch einer Begabung, sahen die Zukunft voraus und genügend ausgebildet, bestand sogar die Chance, diese in manchen Fällen zu verändern. Ihr war dieses Glück nicht vergönnt. Bei Eltern aufgewachsen, die nichts von ihrer ungewöhnlichen Gabe wussten, hielt sie sich immer für sonderbar. Ihre Adoptiveltern ebenso. Übersinnliches gab es nicht und deshalb schickten sie Lena zum Psychiater. Jahrelang quälte sie sich mit der Frage, was denn eigentlich mit ihr nicht stimmte?

Vor knapp drei Monaten änderte sich ihr Leben mit einem Paukenschlag.

Die Lichtkrieger: Lux Bellatorius, suchten den Kontakt zu ihr. Nach einem ziemlichen Verwirrspiel ihrer Gefühle für Florian, ihrem Beschützer unter den Lichtkriegern, wurde sie endlich mit der kompletten Wahrheit konfrontiert. Lenas Eltern hatten sie mit sechs Monaten adoptiert. Ihre richtigen Eltern hießen Tara und Manuel. Tara war eine Wächterin gewesen, Manuel ein Lichtkrieger. Nachdem Tara auf tragische Weise ums Leben kam, gab Manuel sie zur Adoption frei.

Als gäbe es hierbei nicht schon genug zu verdauen, musste sie sich damit auseinandersetzen, dass es eine Art Zwischendimension gab. Die sogenannten Schatten der Dunkelheit. In diesem Reich lebten die Seelen von Menschen, die zu Lebzeiten große Schuld auf sich luden. Sie ernährten sich von den Ängsten der Lebenden und versuchten mit aller Macht, wieder ins Leben zurückzukehren.

Die Visionen, welche Lena ihr Leben lang quälten, waren Vorboten, von Geschehnissen, die durch diese Schattenmänner ausgelöst wurden. Sie versuchten, eine Wächterin zu finden, deren Seele sie töten und übernehmen konnten, um Portale zu erschaffen. Mithilfe derer wäre es ihnen möglich weitere Übergänge zu öffnen und wieder auf der Erde zu leben.

Lena musste innerhalb kurzer Zeit lernen sich vor den Schatten zu schützen. Ebenso in den Nebeln zu wandeln, um die Zeichen nahender Gefahren, richtig deuten zu können. Beides fiel ihr ungemein schwer. Die Belastung war groß, sie hatte so viel Neues zu verarbeiten. 

Um etwas Abstand zu gewinnen, fuhr sie in die Schweiz und fand ein wenig zu sich selbst. Aber das Schicksal hielt eine weitere Überraschung für sie bereit. Lena lernte den Halbrussen Dimitri kennen.

Von Beginn an konnte sie sich seiner charismatischen Ausstrahlung nicht entziehen. Ihre innere Stimme warnte sie, dass er gefährlich sei, doch ihr Herz und ihr Körper pfiffen auf den Verstand.

Nach ihrer Rückkehr in ihr fränkisches Heimatdorf besuchte Dimitri sie kurze Zeit darauf. Lena konnte nicht mehr leugnen, dass sie sich in ihn verliebt hatte. Sie stand auch gegen die Warnungen der Lichtkrieger, er sei ein Schattenmann, zu ihm.

Jetzt, den Kopf an seine Brust gelehnt, lauschte sie seinem Herzschlag und besann sich der letzten Nacht.

»Ich bin dein Schicksal und du meines. Du gehörst zu mir! Sag es, jetzt!«, hatte Dimitri eingefordert. »Ich gehöre dir!«, sicherte sie bereitwillig zu. »Mein!«, hatte er daraufhin noch einmal bekräftigt und sie heute Morgen an diesen Pakt erinnert.

Der Schatten naht - Umbra NoctisWhere stories live. Discover now