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Minutenlang saß sie wie betäubt in ihrem Auto, unfähig loszufahren. Die Angst vor dem, was sie vielleicht getan haben könnte, zerriss sie innerlich. Hätte Dimitri sie einfach so gehen lassen, wenn er ihr etwas antun wollte? Ihr Gefühlschaos steigerte sich sekündlich. Sie musste dringend mit jemandem reden, bevor sie explodierte. Florian schied aus, unmöglich, ihm von ihrer Liebesnacht mit Dimitri zu berichten. Wer dann? Biene? Die arbeitete in der Apotheke und hätte sicherlich nur begrenzt Zeit. Manuel! Er bot ihr seine Hilfe an. Es wurde Zeit sie in Anspruch nehmen.

Eine halbe Stunde später, saßen sie, wie schon einmal, vor wenigen Tagen, in einem Café und frühstückten. Heute, genauso wie damals, aß er und sie schaute zu. »Ich spüre deine Unruhe Lena«, mahnte er sanft, nachdem sie sich in Schweigen hüllte. Das Thema war ihr unangenehm. Auch wenn sie es noch nicht schaffte, ihn so zu sehen, saß sie dennoch vor ihrem leiblichen Vater, im Begriff, ihm von einer sehr intimen Situation zu erzählen.

»Dimitri und ich«, sie räusperte sich. »Also, ich bin gestern zu ihm gefahren und die Dinge zwischen uns haben sich geändert.« Puh das glich dem reinsten Eiertanz. Am liebsten wäre sie auf der Stelle davongelaufen, aber das half ihr nicht weiter.  »Du bist mit ihm im Bett gewesen«, stellte Manuel trocken fest. Errötend nickte sie. »Hat er dich abserviert?«, schob er besorgt hinterher. Energisches Kopfschütteln. »Nein, aber vielleicht ist das Gegenteil sogar schlimmer.« Manuels von Haus aus ernste Gesichtszüge spannten sich merklich an. »Lena, kannst du bitte mal Klartext reden!« »Heute Morgen begriff ich, dass ich eine Dummheit begangen habe. Er forderte mich ein und ich sagte ja.«

Schlagartig wurde Manuel leichenblass. »Welche Worte benutzte er? Versuche bitte, dich genau zu erinnern!«, sein Ton verhieß nichts Gutes. »Ähm, er meinte, er sei mein Schicksal und ich seines. Ich gehöre zu ihm.« »Hast du geantwortet?« Stummes nicken. »Was?« »Das ich ihm gehöre.« Lena sank bei diesen Worten förmlich in sich zusammen.

Manuels Gesicht verzerrte sich vor Wut. Er hatte versagt. Lena hätte niemals weiterhin Kontakt zu dem Russen haben dürfen. Obwohl er deutlich wahrgenommen hatte, wie es um ihre Gefühle stand, dachte er nicht, dass sie sich zu etwas hinreißen ließe. Die Lage war übel. Lenas Herz und Seele waren jetzt an Dimitri gebunden. Das bedeutete, ab heute konnte er sie, egal wann, für sich und die Schattenwelt nutzen und damit den Tod ihrer Seele herbeiführen. Wie brachte man das schonend seiner gerade wiedergefundenen Tochter bei?

Ihre Miene verriet ihm, dass sie ahnte, was dieses Versprechen besagte. Das arme Mädchen. Ihr bisheriges Leben bestand aus Zurückweisung, Lügen und Angst. Jetzt wusste sie zwar warum, aber es verbesserte sich dadurch nicht. Das Mindeste, was er ihr geben musste, war Ehrlichkeit. »Dimitri hat dich nicht nur an sich gebunden, sondern auch als Portal markiert. Jetzt findet er dich überall, um dich für seine Zwecke zu nutzen.« Augenblicklich entgleisten ihre Gesichtszüge zu einer gequälten Maske. Dicke Tränen quollen aus ihren Augen. Der ganze Körper zitterte, schien gegen diese Tatsache zu rebellieren. Schützend schlang sie die Arme um sich. »Heißt das, er kann mich töten?« Manuels Schweigen war Antwort genug.

Der Schatten naht - Umbra NoctisWhere stories live. Discover now