Kapitel 5

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Im Laufe des folgenden Tages – Jake konnte immer noch nicht sicher sein, wie viel Zeit verging, aber er glaubte, nie so lange geschlafen zu haben, dass dabei eine Nacht vorbeigegangen sein könnte – regenerierten sich ihre Kräfte in beeindruckendem Tempo. Als sie beide wieder sicher stehen konnten, zeigte ihnen Jinx, dass in einem Nebenzimmer Toilette und Dusche waren. Jake wusste nicht, wann er zum letzten Mal die Aussicht auf die Möglichkeit gehabt hatte, mit warmem Wasser zu duschen. Wahrscheinlich, als seine Eltern noch gelebt hatten. Vor 3 Jahren. Er konnte es kaum erwarten, dass Jinx aufhörte, zu reden, und sie endlich allein ließ. Das Mädchen war wirklich eine Labertasche.
Als sie endlich damit fertig war, sie über ihre Herkunft auszufragen – worauf Jake stets einsilbige Antworten gab, denn er wollte nicht zu viel preisgeben - und hinter dem Türrahmen verschwand, sprang Jake förmlich aus dem Bett, rannte in das Nebenzimmer und versperrte die Tür hinter sich. Er riss sich die verschwitzte, 4 Tage alte Kleidung vom Leib, stellte sich unter die Dusche, legte den Kopf in den Nacken und ließ warmes Wasser auf sein Gesicht regnen. Er spürte, wie es alle seine Sorgen wegspülte. Einen Moment lang hatte er den Gedanken, die Chance zu nutzen, zu masturbieren – eine weitere Sache, bei der er sich nicht erinnerte, wann er das letzte Mal die Möglichkeit gehabt hatte. Etwas erschrocken und beinah angewidert von sich selbst schüttelte er den Kopf. Was für ein absurder Gedanke! Er war in feindlichem Territorium, oder zumindest konnte er nicht ausschließen, dass er es war. Er durfte nicht zulassen, dass derart... animalische Triebe ihn dazu brachten, seine Deckung fallen zu lassen. Was war denn mit ihm los?!?
Immer noch diesen Gedanken nachhängend verließ er die Dusche und schnappte sich ein Handtuch.
Er hielt inne.
Schaute das Handtuch an.
Legte vorsichtig noch einmal seine Hand darauf.
Dann schnappte er es sich und drückte es fest gegen seine Brust.
Fast wäre er nackt auf den Gang gerannt, um Daisy zu holen. Er hatte aber zumindest noch genug Geduld, um sich untenrum notdürftig abzutrocknen und eine der bereitliegenden weißen Boxershorts anzuziehen, bevor er losrannte.
„Aaaaaahhh!", rief er, als er zu Daisy ins Zimmer gestürmt kam. „Fass mal an!", forderte er seine vollkommen verdutzte Schwester auf und hielt ihr ein Stück des Handtuchs hin.
Sie tat, wie ihr geheißen, aber bevor sie irgendwie reagieren konnte, plapperte Jake schon weiter: „Es ist einfach SO WEICH! SO FLAUSCHIG! Wie bekommen die das so hin?", drückte sich das Handtuch mit der flachen Hand an die Wange und seufzte verträumt.
Daisy kicherte. „Ja, es ist wirklich extrem flauschig. Und du bist süß", fügte sie hinzu und streckte ihm die Zunge heraus.
„Ich bin nicht süß", erwiderte Jake mit übertriebenem Schmollmund.
„Doch", grinste Daisy zurück. „Total niedlich. Besonders, wenn du behauptest, du wärst nicht süß!"
„Gaaah, das wirst du bereuen!", rief Jake, warf sich auf sie und kitzelte ihre Seiten. „Aaaahh, Hilfe!" rief Daisy, lachte und versuchte, an Jakes Achseln zu kommen.
Sie kempelten eine Weile, dann fragte plötzlich eine Stimme: „Alles okay bei euch?"
Jake und Daisy erstarrten und schauten ertappt zur Tür hinüber. Dort stand eine groß gewachsene Frau Anfang vierzig mit schulterlangen, cyanblauen Haaren.
„Ich habe vom Gang aus jemanden um Hilfe schreien gehört und wollte nachsehen, ob alles okay ist", stellte die Frau klar.
„Oh, ähm..." setzten Jake und Daisy gleichzeitig an. Jake peinlich wurde bewusst, dass er nach wie vor nur eine Boxershorts trug. Verstohlen stand er auf und hielt das Handtuch vor seine Brust.
„Nein, ist alles okay", versicherte Daisy. „Jake wollte mir nur... eure Handtücher zeigen. Die sind nämlich sehr weich."
Jake nickte beständig. „Genau. Handtücher. Wirklich sehr weich."
Die Frau konnte sich nicht mehr halten und brach in Gelächter aus. Unsicher lachten Jake und Daisy mit.
Als sie sich wieder gefangen hatte, fragte die Frau: „Ihr habt wirklich lange nichts mehr zum Kuscheln gehabt, oder? Wenn ihr mögt, kann ich euch ein paar Kuscheltiere besorgen. Wir haben eine ziemlich große Auswahl."
Daisys Augen leuchteten. „Darf ich mir eins aussuchen?", fragte sie und strahlte dabei wie ein Kind, das zum ersten Mal in seinem Leben ein lebensgroßes Plüschmaskottchen herumlaufen sah.
„Klar. Komm mit", meinte die Frau lächelnd, kam an Daisys Bett und hielt ihr eine Hand hin. Daisy ergriff sie und stand auf. Hand in Hand verließen sie das Zimmer.
„Wie heißt du denn?" fragte Daisy.
„Laura", antwortete die ältere Frau. „Und du?"
„Daisy. Und ich bin fast 14 Jahre alt!"
Jake hörte noch dumpf, wie die ältere Frau lachte, dann verhallten die Stimmen. Langsam ging er zurück ins Bad und kleidete sich ganz an. Vielleicht war es doch gar nicht so schlimm hier.
Er erschrak.
Wie hatte er so dumm sein können? Da redete er die ganze Zeit davon, wachsam zu bleiben und dann ließ er zu, dass eine fremde Frau seine Tochter an der Hand nahm und wegführte, um ihr „Kuscheltiere zu zeigen". Er schlug sich mit der Faust gegen die Stirn. Dann rannte er los.

Hamburg 2103Where stories live. Discover now