Kapitel 6

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„Scheiße. Scheiße. Scheiße", keuchte er, während er über das Gelände irrte. Sein Kopf fühlte sich an, als würde er jeden Moment explodieren. Er schien seine gesamte Ausdauer verloren zu haben, hatte schon nach hundert Metern die Hände auf die Knie stützen müssen, um Luft zu schnappen. Und sein Orientierungssinn war wohl auch im Arsch. Er war den Gang des Hauses, in dem sie untergebracht gewesen waren, nach links entlanggelaufen, war einmal nach rechts abgebogen und hatte dann das Haus verlassen. Von da an wurde seine Erinnerung neblig. Es sah alles gleich aus! Hier standen gut ein Dutzend alter Bauernhofsbauten, alle aus rissigen, graubraunen, Steinen, an denen sich grüne Pflanzen entlangrankten, mit tiefroten Dächern. Dazwischen Gemüsebeete und ab und zu ein Gewächshaus. Inzwischen hätte er nicht einmal mehr sagen können, aus welchem Haus er gekommen war.
Aus dem Augenwinkel sah er, wie sich eine Person auf ihn zubewegte. Panisch stolperte er zu einem der Gewächshäuser, griff eine der Harken, die daran lehnten, schwang sie über seinen Kopf und schmetterte sie in die weiche Erde, während er aus voller Kehle brüllte.
„WAS HABT IHR MIT DAISY GEMACHT?"
Die Person hob beide Hände vor ihren Körper, wie um ihm zu zeigen, dass sie unbewaffnet war, während sie auf ihn zu lief. „Gar nichts. Beruhige dich bitte."
Jake riss die Harke aus dem Boden und hielt sie sich über den Kopf, bereit, sie jedem, der ihm zu Nahe kam, auf den Kopf zu schmettern.
„BLEIB WEG VON MIR! WO IST SIE? BRINGT SIE HER!"
Der andere wich einen Schritt zurück und blieb dort stehen, seine leeren Hände immer noch nach vorn gestreckt. Nach und nach traten einige weitere Personen aus den Häusern. Einige schienen verängstigt, einige neugierig, einige tuschelten hinter vorgehaltener Hand. Er konnte sie nicht verstehen, da war ein Rauschen in seinen Ohren, das alles andere übertönte.
„RUHE! EINER VON EUCH HOLT MIR JETZT MEINE SCHWESTER! UND DANN LASST IHR UNS UNBESCHADET GEHEN! VERSTANDEN?"
Jakes Stimme war heiser, brach beim letzten Wort und ging in ein Kreischen über, was ihn aber kein bisschen weniger angsteinflößend wirken ließ.
Endlich öffnete sich der Kreis der Zuschauer und Laura trat mit Daisy an der Hand nach vorn. Daisy liefen Tränen über die Wangen. Sie hatte einen Teddybären in der Hand.
Jake verzog verzweifelt das Gesicht. Alles um ihn schien sich zu drehen: „Oh Gott, Daisy, was haben sie mit dir gemacht? Wie konnte ich das nur zulassen?" Dann kreischte er röchelnd: „SCHICKT SIE RÜBER!"
Laura schob Daisy sanft am Rücken und das kleine Mädchen ging zaghaft, am ganzen Körper zitternd und schluchzend, auf ihren Bruder zu, der immer noch eine Harke über seinem Kopf hielt.
Als sie ankam, ließ Jake die Harke achtlos zur Seite fallen, kniete sich hin und drückte Daisy fest an sich. „Oh Gott, oh Gott, oh Gott, was haben sie dir angetan", murmelte er und „Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht."
Plötzlich begann Daisy, sich aus seiner Umarmung herauszuwinden. Verwirrt ließ Jake sie los. Hilflos musste er mit zusehen, wie seine Schwester begann, zu Laura zurückzulaufen. Er erstarrte für einige Sekunden, die Arme noch hilflos nach Daisy ausgestreckt, den Mund in Unglauben geöffnet. Dann kippte er schräg nach vorn und es wurde schwarz um ihn.

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