Kapitel 10.

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"Mein Enkel Neville ist ein guter Junge. Hin und wieder ein bisschen beschränkt, aber gut", erzählt Augusta Longbottom und nickt kurz, um ihre eigene Aussage zu unterstreichen. Sofort dannach sammeln sich Tränen in ihren Augen, die sie jedoch schnell weg zwinkert und sich aufrecht hinsetzt. "Was meinem Sohn und seiner Frau passiert ist, war für uns alle sehr schlimm. Sie waren Auroren, sie haben die schlechten Hexen und Zauberer verhaftet. Doch ..."

Sie atmet tief ein und ich wage es nicht, ihr ins Gesicht zu sehen. Sie versucht, so stark zu sein, und das wahrscheinlich immer. Ich will ihr nicht das Gefühl geben, dass sie für mich so etwas wie eine Attraktion ist und sich vor mir bloßstellt. Das bisschen Privatsphäre verdient sie.

"Sie wurden angegriffen und gefoltert ..."

Wortlos schenkt Dumbledore ihr noch eine Tasse Tee ein und sie nickt ihm dankbar zu.

"Jedenfalls sind Sie jetzt im Mungos, seit elf Jahren. Ich besuche Sie oft, Neville ist beinahe jeden Tag in den Ferien dort."

Ich möchte ihr sagen, dass sie nicht weiter darüber reden braucht, das ich schon genug weiß, das es okay ist. Aber ich bringe den Mut nicht auf.

Und das brauche ich auch nicht, denn Dumbledore ist so gütig und wechselt geschickt das Thema. Wir sitzen seit bestimmt zwei Stunden schon hier, die erste Hälfte hat Dumbledore uns zwei alleine gelassen, damit wir einen aufrichtigen ersten Eindruck von unserem Gegenüber bekommen. Augusta Longbottom ist, bis auf ihren, nun ja, eigensinnigen Einrichtungs- und Kleidungsstil, eigentlich in Ordnung. An ihren strengen Ton und die strickte Ausdrucksweise muss man sich zwar gewöhnen, aber in ihrem Wesen scheint sie verständnisvoll, zuvorkommend und ehrlich zu sein.

"Ich unterbreche unser anregendes Gespräch ungern, aber wir müssen uns leider verabschieden, Augusta." Dumbledore steht aus seinem fellbezogenem Sessel auf und ich mache es ihm nach.

"Danke für den Tee, er war echt lecker", sage ich recht einfallslos und halte unsicher lächelnd Augusta meine Hand hin. Sie ergreift sie, ohne eine Regung in ihrem Gesicht. Nur noch ein letzter prüfender Blick wird über mich gezogen.

"Es hat mich gefreut, dich kennen zu lernen", antwortet sie mit ihrem gewohnt höflichem, aber dennoch etwas gröberen Ton.

"Kann ich nur zurück geben."

"Danke für deine Zeit", ergreift wieder Dumbledore das Wort.

"Immer gerne", entgegnet Augusta. "Ich werde dir bald eine Eule zukommen lassen, Albus."

"Sehr wohl, Augusta. Bis demnächst."

Die Tür hinter uns geht ins Schloss und wir treten von dem Grundstück zurück auf die Straße.

"So, Miss Cartwright", sagt Dumbledore geschäftig und zieht ein Buch aus seiner Tasche. Ahnend, was dieses Buch bewirkt, beäuge ich es mit höchster Unmut. "Ich verspreche Ihnen, dass die nächste Reise über Flohpulver geschieht."

Unwissend über das mir unbekannte Flohpulver frage ich trotzdem nicht nach und ergreife das Buch nur beklemmt.

"Wann geht es los?", hinterfrage ich nervös und kaue leicht auf der Innenseite meiner Wange.

"Eine Minute noch. Wir waren knapp dran mit dem Gespräch."

"Okay", entgegne ich, schließe meine Augen und atme tief durch.

Diese Minute, die sich wie eine Ewigkeit anfühlt, verstreicht und reißt mir plötzlich den Boden unter den Füßen weg. Ich kneife meine Augen fest zusammen und zwinge mich, meinen sich drehenden Magen zu ignorieren; semi erfolgreich.

"Jetzt lassen Sie los!", ruft Dumbledore mir zu und ich tue, wie mir geheißen. Wie das mal davor finde ich mich auf dem Boden wieder, meine Wange an den kalten Steinboden gepresst mit Schmerzen in meinem Brustkorb durch den Aufprall. Dumbledore neben mir steht, als sei es selbstverständlich, wie eine eins.

Hustend stelle ich mich auf meine Beine und klopfe mit den Dreck von den Klamotten. Zu meinem Erstaunen befinden wir uns wieder in Dumbledores Büro.

"So, Miss Cartwright", ertönt es hinter mir und ich drehe mich zu Dumbledore, welcher hinter seinem Schreibtisch sitzt und bereit einen Brief mit seiner Feder verfasst. "Ich werde Professor Snape benachrichtigen, dass wir wieder da sind, und er wird Ihnen dann einen der zwei Vertrauensschüler zur Seite stellen."

"Und was soll ich so lange tun?", frage ich ihn und bleibe unschlüssig im Raum stehen. Er blickt auf.

"Sie können sich gern zu mir setzen und wir trinken einen Tee, unterhalten uns. Sie können mir alle möglichen Fragen zur Zaubererwelt stellen, die Ihnen auf der Zunge brennen." Ein leichtes Lächeln umspielt seine Lippen. "Wie klingt das für Sie?"

Dankbar setze ich mich ihm gegenüber und warte schweigend, bis er den Zettel abgeschickt und Tee gemacht hat. Ehrfürchtig beobachte ich, wie Kessel, Tassen, Löffel und Zucker um mich herum schweben und letzten Endes auf dem Schreibtisch vor uns landen.

Nach jedem Schluck Tee mehr taue ich immer mehr auf und traue mich, selbst die dümmsten Fragen zu stellen. Wie zum Beispiel ob Hexen tatsächlich auf Besen reiten würden. Seine Erklärung von Quidditch hat mich dann doch sehr überrascht. Als dann ein Mädchen in Schuluniform Dumbledores Büro betritt und sich als Susanne Farley vorstellt, entlässt mich der Schulleiter und wir zwei ziehen gemeinsam los.

Und Anfangs macht es mir sogar etwas Spaß, mit ihr durch die Schule zu ziehen, als dann aber die Blutsstaten zum Gesprächsthema werden habe ich das Gefühl, dass sich zwischen uns eine Mauer aufbauen würde. Ich meine, Susanne ist immernoch höflich mir gegenüber, aber das wars auch. Die kleinen Witze ihrerseits verschwinden auf einen Schlag und ich fühle mich nur noch wie eine Pflichtaufgabe, die bearbeitet werden muss.

Zum Mittagessen haben wir alles durch und sie entlässt mich in der Großen Halle, um zu ihren Freunden zu gehen. Allein gelassen stehe ich vor dem Tisch mit den Schlangen Bannern und fühle mich so einsam wie noch nie zuvor. Ich vermisse Paul und Karina so schrecklich, sie waren wie Geschwister für mich, die einzige Familie, die ich hatte. Jetzt habe ich beide verloren und bin in einer komplett neuen Welt gelandet.

Als ich den Tropfen meine Wange runter kullern spüre wische ich ihn schnell weg und eile zu einem freien Platz am Tisch, mit dem Blick auf alle anderen Tische. Schweigend lade ich mir etwas von dem köstlich duftendem Essen auf den Teller und vertilge alles bis auf den letzten Rest. Aufmuntern tut mich das zwar nicht wirklich, aber das ist das beste Essen, das ich je hatte; verglichen zu dem Fraß aus dem Waisenhaus.

Ich werde das alles auskosten, beschließe ich. Nicht nur das Essen, sondern auch die Schule, mein neues Leben, die Magie. Irgendwann verdiene ich es auch, mich zurückzulehnen und es zu genießen.

Cartwright - Eine neue Welt (Harry Potter FF) *WIRD ÜBERARBEITET*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt