Der tiefere Sinn eines Bettes

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Abends lag ich erschöpft im Bett und war froh über die kühle Nachtluft, die durch das offene Fenster zu mir hinüberwehte. Ich drehte mich auf die Seite, um die Nachttischlampe auszuschalten. Dabei fiel mein Blick auf das mit einem Tuch verdeckte Glas und automatisch musste ich anfangen zu Lächeln, als ich den Tag Revue passieren ließ.
Denn dort im Glas lag der Stein der Wünsche im Salzwasser. Vielleicht war ich verrückt, weil ich es wirklich gemacht hatte, vielleicht aber ließ ich mich einfach bereits nach einem Tag viel zu leicht von Zara um den Finger wickeln.
Als ich das Licht ausgeschaltet hatte, drehte ich mich wieder auf den Rücken und starrte an die Decke.
Es war komisch, aber es fühlte sich so an, als wäre ich noch nie glücklicher eingeschlafen.

Ich spürte noch die angenehme Wärme des einlullenden Schlafes, als mich etwas weckte. Im ersten Moment konnte ich mich nicht orientieren. Es war noch dunkel – ein Zeichen dafür, dass ich definitiv noch mehrere Stunden schlafen konnte – und träge wollte ich wieder meine Augen schließen, als ich ein leises Geräusch hörte.
Es klang beinahe so als würde jemand aufseufzen.
Sofort öffnete ich wieder meine Augen und richtete mich leicht auf. Ich blinzelte in die Dunkelheit und spitzte die Ohren.
Als sich im nächsten Moment auch noch die Bettdecke neben mir bewegte, schaltete ich blitzschnell und mit klopfenden Herzen die Nachttischlampe ein.

Ich erwartete, dass ich mir etwas zurecht sponn, ich mir etwas einbildete, so wie man oft einen Schatten in der Dunkelheit für eine Person hielt.
Aber dass ich tatsächlich jemanden neben mir vorfinden würde, hätte ich nicht erwartet.

Mein Herz setzte für eine Millisekunde aus und erschrocken schnappte ich nach Luft, als ich Zara neben mir im Bett liegen sah.

Schläfrig hob sie ein Augenlid an. „Hatte ich nicht gesagt, dass das heimliche Anschauen von Personen keinen tieferen Sinn hat?"

„Was machst du hier?", fragte ich sie nur perplex, ohne auf ihre Aussage einzugehen.

Sie gähnte und streckte sich einmal so lang wie eine Katze.
„Ich schlafe", nuschelte sie in meine Bettdecke und zog ihre Knie an.

Ich richtete mich noch etwas weiter auf und versuchte etwas Abstand zwischen uns zu gewinnen. Es war mir unangenehm, so urplötzlich mit ihr konfrontiert zu werden. Denn was zur Hölle tat sie hier?

„Du hast doch ein eigenes Bett in deinem Zimmer."
„Das hier ist doch auch ein Bett." Noch immer schien sie mich nicht richtig zu beachten, sondern schlafen zu wollen
„Ja, aber das ist meins und deins ist-"

Sie unterbrach mich, indem sie sich aufrichtete und anfing den Kopf zu schütteln. Durch das Schlafen standen ihr die Locken nun noch wirrer vom Kopf ab, als sie es sonst noch taten. Eine besonders widerspenstige Locke sprang ihr immer wieder ins Gesicht, sodass sie sie sich mehrmals aus dem Gesicht pustete, bevor sie meinte: „Nein, nein, nein, oder hast du den Samen gesät, aus dem der Baum entstand, dessen Holz schlussendlich benutzt wurde, um dieses Bett bauen zu können? Hast du es verarbeitet und gekauft? Ich denke nicht, also ist es auch nicht dein Bett."

Mit diesen Worten ließ sie sich zurück auf die Matratze fallen und streckte ihre Arme zu den Seiten aus, während sie einmal lang gähnte.
Ich schüttelte meinen Kopf.
Sie war echt unglaublich.
Aber war ich nicht weniger verrückt als sie, dass ich es auch noch zu ließ, dass ihre Aussagen logisch erschienen?

„Dein Bett ist es dann aber auch nicht", erwiderte ich. Etwas siegessicher schmunzelte ich leicht, da ich mir sicher war, nun unseren kleinen Schlagabtausch gewonnen zu haben.
Doch ich irrte mich.

„Das stimmt. Es gehört keinem, aber somit allen. Es ist für alle da, die es benutzen wollen, also sowohl für mich und für dich", fing sie ohne mit der Wimper zu zucken an zu erzählen. „Das ist der tiefere Sinn eines Bettes. Irgendwann wird alles wieder das, was es einmal war. Es ist ein ewiger Kreislauf und es wird nie einem alleine gehören."

Sie unterstrich ihre Worte mit ausschweifenden Gesten.
So komisch es sich auch anhörte, irgendwie machte es Sinn.
Es machte nach Zara-Logik Sinn, deswegen gab ich mich geschlagen.
Meine Neugierde konnte ich jedoch nicht unterdrücken, sodass ich mit leiser Stimme fragte: „Aber warum bist du hier?"

Sie lächelte verschmitzt und stützte ihren Kopf auf ihrer Handfläche ab, während sie ihren Blick durch das schwach erleuchtete Zimmer gleiten ließ. „Dieses Bett ist gemütlicher..." Sie verstummte für einen Moment, bevor sie weiter redete: „Und ich konnte nicht schlafen. Manchmal ist es so, wenn das gläserne Mädchen mir zu viel zu erzählen hat. Dann ist mein Kopf voller Wörter und Bedeutungen, die immer lauter werden. Früher, als ich kleiner war, hatte ich davor Angst, doch seit einigen Jahren verstehe ich den tieferen Sinn dahinter. Nur schlafen kann ich dann nicht mehr."

Ihre Augen trafen auf meine und ihr müsste mein verwirrter Ausdruck auffallen, den ich im Gesicht trug, doch anstatt sich zu erklären, drehte sie sich in die andere Richtung und sprach: „Ich möchte einen gerechten Anteil des Kissens haben, Max. Es ist nämlich für uns beide da."

Sie ließ mir keinerlei Chance, sie nach dem gläsernen Mädchen, das sie erwähnt hatte, oder den Worten in ihrem Kopf zu fragen, sodass ich ihr nur wortlos mein zweites Kopfkissen hinschob.

Für einige Minuten ließ ich das Licht noch an und beobachtete Zara. Ihre roten Locken ergossen sich auf dem Kopfkissen und sie hatte einen Arm unter ihren Kopf geschoben. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, sodass ich nicht wusste, ob sie ihre Augen geschlossen hatte oder vielleicht genauso schweigsam, aber hellwach wie ich, hier lag.
Dann schaltete ich das Licht etwas zögerlich aus, da mir bewusst wurde, dass sie nichts mehr sagen würde.

Die Dunkelheit hüllte uns ein, doch auch wenn ich nichts mehr sehen konnte, so waren all meine anderen Sinne hellwach.
Ich konnte ihren Atem, der immer langsamer wurde, hören.
Ich roch den zarten Geruch von Blumen, der geradewegs von Zara zu kommen schien.
Und ich spürte ihre Bewegungen, als sie sich leicht bewegte.

Sie war längst eingeschlafen, ich hingegen blieb noch lange wach.
Ein Grund war vielleicht, dass mir so viele Gedanken in meinem Kopf umherschwirrten.
Sie waren alle von dem heutigen Tag.
Ich dachte über die erste Begegnung mit Zara, das Mittagessen, die Wunsch-Grotte, den Stein der Wünsche und die tieferen Sinne nach.

Ein anderer Grund, der Hauptgrund höchstwahrscheinlich, warum ich nicht schlafen konnte, war der, dass neben mir ein Mädchen schlief. Bisher hatte ich noch nie zusammen mit einem Mädchen in einem Bett geschlafen und hätte niemals damit gerechnet, dass es so überraschend kommen würde.
Ich meine, wir kannten uns kaum, so gut wie gar nicht. War es für sie normal, einfach so, still und heimlich, mitten in der Nacht unter die Bettdecke eines Jungen zu schlüpfen, den sie erst wenige Stunden zuvor kennengelernt hatte?

Ich drehte mich zu ihr um.
„Zara?", flüsterte ich und wartete dann mehrere Sekunden auf eine Antwort. Doch ich bekam keine. Noch für ein paar Minuten betrachtete ich die schemenhaften Konturen ihrer Haare.
Ich konnte weiterhin ihren ruhigen Atem hören und mit einem Seufzen drehte ich mich wieder auf den Rücken. Ich starrte gegen die Decke, dann gegen die Wand und dann zum Fenster hinaus.
Es war noch immer dunkel, doch an Schlaf war für mich nicht zu denken.

Ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass sich der erste Tag hier so entwickeln würde.
Doch wenn ich ehrlich war, hatte ich in keiner Sekunde des heutigen Tages meine PlayStation vermisst. 

Das Mädchen aus GlasWhere stories live. Discover now