Ein tieferer Sinn des Lebens

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„Wenn du noch länger mit offenem Mund schläfst, fängst du an zu sabbern", riss mich eine Stimme aus meinem hoch und heilig verehrten Schlaf. Stöhnend drehte ich mich von Zara weg und vergrub mein Gesicht in mein Kopfkissen, um schnellstmöglich wieder in meine Traumwelt gelangen zu können.

„Nichts da, du Langschläfer! Steh schon auf!"

Ich spürte, wie etwas gegen meinen Rücken prallte und bevor ich überhaupt reagieren konnte, hatte Zara mich bereits aus dem Bett geschmissen. Unsanft landete ich auf den Boden und riss erschrocken meine Augen auf.

„Hey!", rief ich empört und rieb mir meinen Ellenbogen, auf dem ich gelandet war. Sofort richtete ich mich auf und sah mit finsterer Miene zu Zara, die unschuldig über die Bettkante hinweg zu mir nach unten blinzelte

„Ich wollte dich nur wecken. Es ist spät." Es klang beinahe wie eine Entschuldigung, doch als ich ihr Grinsen sah, wusste ich, dass sie ihre Tat keineswegs bereute.

„Geweckt hast du mich auf jeden Fall", grummelte ich missmutig und stand wieder auf. Dann fiel mein Blick auf den Wecker und am liebsten wäre ich an die Decke gegangen.
Stattdessen hob ich nur stöhnend und voller Theatralik meine Arme in die Luft und ließ sie dann wieder schwunghaft fallen.
„Ist das dein Ernst? Es ist gerade mal halb sechs morgens. Halb sechs, verdammt nochmal!"

Ich machte Anstalten, mich wieder ins Bett zu legen, doch Zara ließ sich blitzschnell auf ihren Rücken fallen und breitete ihre Arme und Beine wie ein Seestern zu allen Seiten so aus, dass sie das gesamte Bett einnahm, ich somit keinerlei Möglichkeiten mehr hatte, mich hinzulegen.

„Halb sechs ist spät", meinte sie hastig, als sie versuchte zu verhindern, dass ich ihren linken Arm zur Seite schob.

„Es ist der erste richtige Ferientag, an dem ich ausschlafen kann, Zara!" Als sie ihre Hand in das Bettlaken krallte, gab ich es auf, ihn wegbewegen zu wollen. „Und für mich bedeutet ausschlafen, dass ich mindestens bis kurz vor elf im Bett liege", erklärte ich ihr und bewegte sie endlich erfolgreich mit einem gezielten Schubser auf die andere Seite des Bettes.

Sie gab sich jedoch nicht geschlagen. „Das ist doch aber kein tieferer S- "

"Verdammt nochmal! Ich bin müde und wenn du unbedingt überall nen tieferen Sinn sehen musst, dann frage ich mich, warum ich nicht ausschlafen darf! Es ist immerhin mein Leben und nicht 'unser alles'!"

Sie zuckte erschrocken zurück und ein verletzter Ausdruck trat in ihre Augen. Sofort tat es mir leid und ich bereute meine harschen Worte.
Ich war noch nie ein Morgenmensch gewesen, doch nun wünschte ich mir, dass ich meine Launen etwas besser unter Kontrolle hätte.
Zwar war Zara keineswegs normal, sondern geradezu verrückt, aber dennoch mochte ich sie komischerweise sehr.
Denn es war sicherlich nicht verständlich, dass man nach nicht mal einem Tag so in einer Gruppe aufgenommen wurde, besonders da die anderen doch sicherlich auf einen Blick hätten sehen müssen, dass ich nicht der Typ Junge war, der die erste Wahl bei einer Kandidatur zum besten Freund wäre.

Denn welcher gute Freund verlor gleich am zweiten Tag die Kontrolle über seine schlechte Laune? Hiermit war definitiv belegt, dass ich nicht dafür geeignet war, mit irgendwem befreundet zu sein.

Ich fuhr mir durch meine Haare und suchte verzweifelt nach den richtigen Worten: „Tut mir leid, ich meinte es-"

Sie stand auf und unterbrach mich: „Es ist alles in Ordnung. Ich kann die persönliche Sichtweise ja nicht verändern, wenn derjenige es gar nicht will. Ich lass dich in Ruhe, ja?"
Etwas in ihrer Stimme hatte sich verändert. Sie war um einiges leiser geworden und während sie sprach, sah sie auf die Decke.
Ihre Hand löste sich von dem Bettlaken und sie hatte ihre dünnen Beine bereits aus dem Bett geschwungen, als ich realisierte, was sie gesagt hatte und sie mit hastiger Stimme zurückrief: „Halt, warte. Wenn ich müde bin, bin ich immer ein bisschen launisch, es hat nichts mit dir zu tun, sondern-" Ich stockte, schüttelte dann den Kopf und sprach den Satz zu Ende: „Sondern ich bin es einfach nicht gewöhnt, so früh geweckt zu werden."

Das Mädchen aus GlasWhere stories live. Discover now